Der Gerichtssaal vor Richterin Andrea Wegscheider gleicht einem Rockkonzert. Fotografen umstellen den Eingang, auf den Sitzplätzen drängen sich die Besucher. Einen Blick auf den Protagonisten dieser Veranstaltung können sie aber nur durch Verrenkungen erhaschen. Abgeschirmt von fast einem Dutzend breitschultriger Justizwachebeamten wird dieser in den großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts Innsbruck geführt: René Benko, einstiges Wunderkind der Immobilienbranche und milliardenschwerer Gründer des Unternehmens Signa – das die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte hingelegt hat.

Ob Benko im Zuge dieser Pleite Gläubiger geprellt hat, soll Richterin Wegscheider diese Woche herausfinden. Wird der Angeklagte ihr dabei helfen? Wegscheider nimmt die Formalien des Mannes im dunklen Anzug und mit den zurückgegelten Haaren auf. „Haben Sie ein Einkommen derzeit“, will sie von dem einstigen Milliardär wissen. „Nein, derzeit nicht“, antwortet Benko. Auf Wegscheiders Frage, ob seine vier Kinder bei ihm leben würden, schüttelt Benko den Kopf. „Nein, die Kinder sind bei meiner Frau. In U-Haft geht das leider nicht anders“, sagt er.

Die Pleite des Immobilienunternehmens Signa gilt als einer der größten Wirtschaftskrimis der Gegenwart. Staatsanwaltschaften in Österreich, Italien und Deutschland sind mit der Aufarbeitung der Milliardenpleite beschäftigt. Im Mittelpunkt der Vorwürfe um die Milliardenpleite steht dabei der einst schillernde Unternehmer Benko.

In Innsbruck findet diese Woche nun der erste Strafprozess gegen Benko statt. Die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft Benko vor, Gläubigern Vermögen in der Höhe von rund 670.000 Euro entzogen zu haben, obwohl sich die Pleite der Signa bereits abgezeichnet hat. Konkret soll Benko die Miete für eine Immobilie für Jahre im Voraus bezahlt haben, um dieses Geld vor Gläubigern zu sichern. Auch eine Schenkung an seine Mutter sollte sein Vermögen sichern. Benko bestreitet die Vorwürfe.

Was war legal, was war illegal?

Dass die gerichtliche Aufarbeitung des Signa-Dramas ausgerechnet in der Tiroler Landeshauptstadt beginnt, ist dabei nicht ohne Ironie. Keine 500 Meter entfernt von dem örtlichen Landesgericht steht das Kaufhaus Tyrol, mit dessen Errichtung Benkos kometenhafter Aufstieg als Immobilienunternehmer begann, die in Deutschland rasch ihre Fortsetzung fand. Mit der Übernahme der Kette Galeria Kaufhof, des Berliner Luxuskaufhauses KaDeWe oder der geplanten Errichtung des Elbtowers wurde der Österreicher ohne Abitur zu dem wohl bekanntesten Immobilienentwickler der Bundesrepublik – und wohl auch dem umstrittensten.

So war das Unternehmen Signa auch für seine Intransparenz berüchtigt. Fragen von Journalisten wurden in der Regel mit einstweiligen Verfügungen beantwortet. Wie undurchsichtig das Unternehmen wirklich ist, zeigte sich insbesondere nach der Insolvenz der ersten Signa-Gesellschaften. So stießen Staatsanwälte und Insolvenzverwalter auf ein Geflecht aus mehr als Tausend Gesellschaften, zwischen denen fröhlich Geld hin und her verschoben wurde. Was davon legal, was möglicherweise illegal und was davon Benko zugerechnet werden kann, müssen nun die Gerichte klären. Wie schwierig das werden dürfte, darauf gab bereits der erste Verhandlungstag am Dienstag einen Vorgeschmack.

Im Innsbrucker Gerichtssaal hat nun Norbert Wess das Wort, der Strafverteidiger von René Benko. Wess sei „der letzte Beistand, den Herr Benko noch hat“, wird der Anwalt später sagen. Aber zunächst schießt der schlanke Mann mit der Brille sich auf die Staatsanwälte ein. „Ich verstehe die Anklageschrift nicht“, tönt Wess Stimme durch den holzgetäfelten Saal mit dem Bundeswappen der Republik Österreich über dem Richterpult. Die Anklage sei „vom Sachverhalt“ her falsch. Sie sei „von der rechtlichen Beurteilung falsch“ und überhaupt gehen sie am Kern der Sache vorbei.

Wess ermutigt die Schöffen auf der anderen Seite des Saals dazu, in die Lebenswelt von René Benko kurz vor der Insolvenz Ende des Jahres 2023 und Anfang 2024 einzutauchen. Damals seien zahlreiche Unternehmen durch Corona, den Ukrainekrieg und die Zinswende in eine Krisensituation geraten, besonders die großen. „Herr Benko hat damals um sein Lebenswerk gekämpft – und zwar rund um die Uhr“, so Wess. Verglichen mit Benkos Arbeitswut sei er, Wess, regelrecht faul, ließ er die Schöffen und Richterin wissen.

Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft weist Wess allesamt zurück. Die Vorauszahlung für die Miete für mehrere Jahre betrachtet Wess als keineswegs unüblich. So sei Benko überzeugt gewesen, die Insolvenz noch abwenden zu können, habe dabei aber einen sicheren Wohnplatz für die Familie schaffen wollen. Dass Benko eine Schenkung an seine Mutter vorgeworfen wird, zeige für Wess, dass die Staatsanwaltschaft nichts vom Stiftungsrecht verstehe. Auch verwahrt er sich dagegen, dass Benkos Mutter von Ermittlern und Journalisten als „Strohmama“ dargestellt wird.

Und was sagt Benko selbst zu den Vorwürfen? „Bekennen Sie sich schuldig, teilschuldig oder nicht schuldig?“, will Richterin Wegscheider von Benko wissen, der wieder auf dem Tisch vor dem Richterpult Platz genommen hat. „Nicht schuldig“, antwortet Benko. Dann macht er eine knappe Aussage zu den Vorwürfen. „Die Unterstellungen der Staatsanwaltschaft sind falsch“, sagt er. Ob er noch weitere Fragen beantworten will, fragt die Richterin. „Ich werde keine Frage mehr beantworten“, sagt Benko.

Das Schweigen Benkos und die Verteidigungsstrategie seines Rechtsanwalts lassen dabei schon erahnen, wie schwierig die Signa-Aufarbeitung werden könnte. Leonhard Dobusch, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Innsbruck, gehört zu jenen, die bereits vor Jahren vor den Problemen bei der Signa warnten. Mit Blick auf den anlaufenden Prozess warnt er nun davor, sich allzu große Hoffnung auf eine Aufklärung des Signa-Komplexes zu machen. So sei der Sachverhalt in diesem Prozess – im Gegensatz zu den gut einem Dutzend weiteren Ermittlungsstränge der WKStA – sehr gut ausermittelt.

Wenn die Anklage in diesem Prozess Probleme bekommen könnte, dann erst recht in den noch zu erwartenden Prozessen gegen Benko und Signa-Manager. „Benko hatte in keiner der mehr als 1000 Gesellschaften der Signa eine operative Rolle. Um ihm überhaupt eine mögliche Schuld nachweisen zu können, müsste man ihm nachweisen, dass er faktisch Geschäftsführer war“, sagt Dobusch. Doch das würde angesichts des undurchsichtigen Konstrukts der Signa Jahre der Ermittlungen brauchen. „Und die Zeit spielt gegen die Ermittler. Denn je länger eine Tat zurückliegt, desto schwieriger ist sie aufzuklären“, so Dobusch.

Die Suche nach der vergangenen Zeit findet auch am Landesgericht Innsbruck statt. Strittig ist etwa, ab wann die angemietete Immobilie von Benko überhaupt bewohnt werden konnte. Während die Staatsanwaltschaft einen längeren Wasserschaden und Unbewohnbarkeit ortet, will Benkos Anwalt Wess dort Blumen und Betten gesehen haben. Wer Recht hat, muss nun Richterin Wegscheid klären. Am Mittwoch wird die Verhandlung fortgesetzt.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheit.

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