Wirtschaftlich in der Krise, Deindustrialisierung in vollem Gange und bei der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz, die unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wohl fundamental ändern wird, abgehängt – die düsteren Diagnosen zum Wirtschaftsstandort Deutschland sind schnell zur Hand. Erst kürzlich hatte Palantir-Gründer Alex Karp beim KI WELT Summit deutlich gemacht: „Deutschland steckt in einer Krise – und wenn es nicht handelt, verliert Europa sein industrielles Herz.“

Gar nicht düster allerdings wollte die Stimmung am Mittwochabend bei der Verleihung des Deutschen KI-Preises sein. „Das Glas ist halb voll“, betonte Björn Viebrock, Mitglied der Geschäftsführung von PwC Deutschland beim Event mehrfach. Man werde in den nächsten zwölf Monaten zwar sicher kein neues Europäische OpenAI aus dem Hut zaubern und müsse mit der aktuellen Abhängigkeit umgehen. Aber dabei dürfe man nicht pessimistisch werden: „Wir müssen diesen positiven Geist hier ein Europa wiederbeleben“, so Viebrock. Und: „Wir können das auch.“

Als Beispiel dienten ihm unter anderem die beim Event ausgezeichneten Unternehmen. Zum siebten Mal verlieh WELT mit Unterstützung von DHL und PwC den Preis für herausragende Verdienste um die Erforschung und Entwicklung sowie die Anwendung und Kommerzialisierung Künstlicher Intelligenz, einem der wichtigsten Preise seiner Art in Europa. Er wurde in drei Kategorien verliehen. Der wichtigste Innovationspreis ging an das deutsche KI-Start-up N8N, mit dessen Plattform sich komplexe Arbeitsprozesse und KI-Agenten automatisieren lassen – auch ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse. Mit diesem Ansatz sind die Berliner unter Gründer und CEO Jan Oberhauser kürzlich zum Einhorn aufgestiegen. So nennt man ein Start-up, dessen Bewertung die Marke von einer Milliarde US-Dollar übersteigt.

Der KI-Anwenderpreis ging an das Start-up Taxy.io. Das Spin-off der RWTH Aachen hat sich der Automatisierung der Steuerberatung für Unternehmen gewidmet. Es soll also Steuerberater bei ihrer Arbeit unterstützen, und greift dabei durch Partnerschaften mit Fachverlagen auf die aktuellste Fachliteratur zurück. Es ist auch die erste KI, die deutsche Steuerberater-Prüfung bestanden hat.

In einen völlig anderen Bereich ging hingegen der KI-Ehrenpreis. Die US-amerikanische Komponistin und Musikerin Holly Herndon arbeitet bereits seit mehr zehn Jahren mit Künstlicher Intelligenz, um die menschliche Stimme zu bearbeiten, zu verändern und sogar anderen zu erlauben, mit ihrer eigenen Stimme zu singen. Das Magazin Time zählte sie bereits 2023 zu den hundert einflussreichsten Personen im Bereich KI.

Zuletzt gab es noch drei Pitches live auf der Bühne, bei denen sich das Start-up Simply Onno im Publikums-Voting gegen den Compliance-Helfer Certivity und die Unternehmens-KI-Plattform Zive durchsetzte. Auf Simply Onno können Nutzer ihre Arztbriefe hochladen und bekommen – medizinisch gesicherte – Erklärungen sowie mögliche Fragen, die sie ihren Ärzten stellen können.

Auch Dr. Klaus Dohrmann, Head of Innovation beim Logistik-Riesen DHL, wollte angesichts der Ideenfülle nicht in Standort-Pessimismus verfallen: „KI ist nicht nur ChatGPT und auch nicht nur generative KI“, betonte er. Man müsse das Thema differenzierter betrachten, weil es viele kleinere KI-Anwendungsfälle gebe, in denen es auch für deutsche Start-ups weiter Raum für Chancen gebe.

Trotzdem stehen auch fundamentale Änderungen am Arbeitsmarkt ins Haus, so der Tenor der Preisverleihung. Intelligenz werde durch KI von einem knappen zu einem nahezu unbegrenzten Gut. Viele Unternehmen spüren das bereits. Bei PwC etwa fallen durch Automatisierung klassische Einstiegsaufgaben weg – Jobs, die früher Routine vermittelten, aber heute von Maschinen übernommen werden. „Wir stellen weniger junge Menschen ein“, sagte Björn Viebrock, „dafür wächst der Bedarf an Neugier, Empathie und analytischem Denken.“

DHL-Innovationschef Klaus Dohrmann warnte dagegen vor einer Verengung der Debatte: Nicht die KI selbst bremse Einstellungen, sondern ein schwieriges Marktumfeld. In seiner Branche sei eher das Gegenteil der Fall: Zehntausende neue Kräfte werden jährlich gebraucht. Der eigentliche Wandel liege nicht im Abbau, sondern in der Umverteilung von Arbeit.

Steffen Bosse ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie und der Beratungsbranche.

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