In Japan sah Sexspielzeug lange obszön aus. Das wollte der Autoschrauber Koichi Matsumoto ändern – und gründete die Marke Tenga. Zu Beginn testeten seine Freunde die Produkte.

Während laut Studien die Generation Z ein weniger ausgeprägtes Sexualleben als frühere Generationen haben soll, wächst das Geschäft mit Erotikspielzeug kontinuierlich weiter. Gerade erst ist auch Popstar Harry Styles mit seiner Marke Pleasing sehr öffentlichkeitswirksam ins Business mit Vibratoren und Gleitgel eingestiegen. Beides war binnen weniger Stunden ausverkauft.

Deutlich länger dabei, seit genau 20 Jahren, ist Koichi Matsumoto (58) mit seinem Unternehmen Tenga. In Japan ist Tenga längst Marktführer. Matsumoto hat es geschafft, Sexspielzeug aus der Schmuddelecke herauszuholen und zu einer Art Designobjekt zu machen. Und zwar zunächst allein für Männer. Statt in normalen Sexshops, biete Tenga seine mittlerweile rund 1200 Produkte beispielsweise im modernen Flagship-Store in Tokios Nobelviertel Ginza und bei Handelspartnern in 73 Ländern an. Etwa 100 Millionen dieser Toys konnte Tenga seit 2005 bereits verkaufen, zu Preisen von rund 6 Euro für das "Tenga Egg" im Hosentaschenformat bis zum ausgeklügelten Vollautomat für um die 400 Euro. 

Rund 200 Mitarbeiter zählt das Unternehmen aktuell. In Deutschland, dem größten Absatzmarkt in Europa, befindet sich auch die Tenga-Dependance auf dem Kontinent – stilecht in Düsseldorfs Stadtviertel "Little Tokyo". Selbst in den Weltraum exportierte Koichi Matsumoto sein Sexspielzeug: 2021 schoss die Firma gemeinsam mit dem Unternehmen Interstellar Technologies eine Tenga-Rakete mit dem Ur-Produkt "Original Vacuum Cup" ins All.

Die weltweiten Marktdaten zum Geschäft mit Sexspielzeug variieren zum Teil stark. Je nach Statistik bewegte sich der Umsatz 2024 global zwischen 17 und 35 Mrd. Dollar, die Prognose bis 2034 weist eine Spanne von 60 bis 85 Mrd. Dollar auf. Unstrittig scheinen immerhin die Geschlechterverteilung von 72,4 Prozent Kundinnen und 27,6 Prozent Kunden zu sein sowie ein mögliches Wachstum von sieben bis neun Prozent pro Jahr. Kein Wunder also, dass Koichi Matsumoto beim virtuellen Interview von der Erotik-Fachmesse Erospain in Barcelona glücklich in die Webcam lächelt.

Herr Matsumoto, wie kommt man auf die Idee, sich mit Sexspielzeug selbstständig zu machen?
Über Umwege und ein wenig auch aus der Not heraus, würde ich sagen. Ich hatte zunächst in der Autoindustrie Karriere gemacht.

Auch sexy.
Unbedingt. Seit der Grundschule zog es mich in die Welt der schnellen und formschönen Automobile. Also machte ich die entsprechende Ausbildung und arbeitete lange für eine Firma, die Supersportwagen auf Kundenwunsch umrüstete. Lamborghini, Porsche, Ferrari. Als Japan von einer Wirtschaftskrise erfasst wurde, verlor ich den Job und lebte zeitweilig in meinem eigenen Auto. Ich hielt mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, bis ich einen Job als Mechaniker für die Restaurierung von Oldtimern ergatterte.

In seiner ersten Karriere erfüllte Koichi Matsumoto den Besitzern von Supercars und Oldtimern jeden Tuning-Wunsch (hier 1986) © Tenga / privat

Klingt solide, warum dann Tenga?
Weil mich auch dort die Misere fand und ich oft monatelang nicht bezahlt wurde. Ich konnte zwar im Anschluss meine lange Erfahrung in der Branche als Verkäufer von Gebrauchtwagen nutzen, mit großem Erfolg, aber der Wunsch in mir, etwas Eigenes zu starten, wurde irgendwann unüberhörbar. Etwas, auf das zuvor niemand gekommen war.

Was war Ihr Plan?
Ich hatte keine Ahnung, und durch meine finanzielle Schieflage hatte ich über Monate den Konsum weitgehend eingestellt. Deshalb streifte ich nun durch verschiedenste Geschäfte, wollte herausfinden, was angeboten und gekauft wurde. Baumärkte, Elektronikkaufhäuser, Läden für Autozubehör. Ich war beeindruckt, wie übersichtlich die Präsentation war. Auf einen Blick sah der Kunde die Vorteile eines Produktes, das Design, die Leistung, die Garantie. Eines Tages ging ich in einen DVD-Laden für Pornofilme.

J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Meine Freundin erwartet, dass ich ihre Wünsche errate und schmollt, wenn ich es nicht schaffe

Für Recherchezwecke?
Natürlich. Damals gab es in Japan rund 2400 davon, und oft wurde in einer Ecke auch Sexspielzeug verkauft. Hier fehlte alles, was ich anderswo gesehen hatte: keine bekannten Markennamen, keine Angaben zu Features, Garantie oder Herkunftsland. Im Regal mit der Aufschrift "Neuheiten" fiel mir zudem auf, dass auf fast jeder Verpackung sich räkelnde Frauen und weibliche Anatomie in Großaufnahme zu sehen war. Die Botschaft war eindeutig: Selbstbefriedigung ist obszön und schmutzig. Was für ein Quatsch, dachte ich spontan, nahezu jeder macht es.

Da kam Ihnen die Idee?
Als mein Leben kurzzeitig in so dramatischen Bahnen verlief, ich prekäre Verhältnisse überstehen musste, war mir klar geworden: Nur zwei Dinge sind fundamental wichtig – sich ernähren zu können und Sex zu haben. Also entschloss ich mich zu einer Revolution, ich wollte Sexspielzeug entwickeln, dass dem Spaß und der Normalität unseres Sexuallebens gerecht wird. Ohne schlechtes Gewissen, ohne schmuddelige Abbildungen. Das war die Geburtsstunde von Tenga.

Haben Sie Ihren Auto-Job direkt gekündigt?
Nein. Ich blieb ein weiteres Jahr Autoverkäufer, zahlte die aufgehäuften Schulden ab und legte insgesamt 70.000 Euro auf die Seite. Dann kündigte ich und stürzte mich von 6 Uhr morgens bis 2 Uhr in der Nacht in die Arbeit an den ersten Produkten. Dreieinhalb Jahre später, am 7. Juli 2005, präsentierte ich dann die ersten fünf Modelle meiner neuen Firma.

Ob Classic Car oder Sexspielzeug – Koichi Matsumoto besitzt viel Erfahrung mit innovativen Materialien und perfekten Formen © Tenga

Wie hat eigentlich Ihr Umfeld auf die Business-Idee reagiert?
Damit hatte niemand ein Problem. Ich spannte sogar einige gute Freunde als Tester von Prototypen ein und bat sie um Feedback.

Wie fiel das aus?
"Zu eng, zu breit, genau richtig", waren die wichtigsten Kommentare. Bedeutete für mich, dass ich den perfekten Sitz für alle finden musste. Die Lösung fand ich in einem Drogeriemarkt, wo mir Damenstrümpfe mit verschieden weiten Zonen gegen müde Beine auffielen. Ich passte das Innere der "Original Vacuum Cup" also dementsprechend an, denn Tenga, das hieß vom Start weg immer: Technologie trifft Design.

Ihre Masturbations-Helferlein gleichen eher Lavalampen, Blumenvasen oder Requisiten aus einem Weltraum-Epos.
Exakt. Ich wollte kein Spielzeug in beige oder blassrosa, nichts, was aussah wie aus der weiblichen Anatomie herausgeschnitten. Irgendwie entmenschlicht, entwürdigend. Es ging doch nie um den Ersatz eines Partners aus Fleisch und Blut, sondern um Spaß allein oder zu zweit, ohne Scham, sondern mit Lust.

Energydrink? Blumenvase? Das innovative, neutrale Design verhalf Tenga bereits beim Launch 2005 zum Durchbruch © Tenga

Wie hat sich der Markt seit 2005 entwickelt?
Am besten kann ich das natürlich für Japan sagen, und dort, das ist nicht übertrieben, ist uns die geplante Revolution wirklich geglückt. Als wir anfingen, galt ein Sexspielzeug, das 5000 Mal verkauft wurde, als Bestseller. Wir haben bereits im ersten Jahr eine Million Produkte verkauft, in 500 belieferten Shops. Heute sind wir allein in Japan in 24.000 Läden präsent, darunter in angesagten Trendvierteln wie Ginza oder Harajuku. Als wir damals die erste Marktforschung durchführten, sagte einer von 100 Männern, er habe bereits ein Sexspielzeug benutzt. Vor wenigen Jahren haben wir die Umfrage wiederholt und knapp 40 Prozent gaben an, schon mal ein Tenga-Produkt benutzt zu haben. Wir haben also die Produktgattung aus dem Rotlichtmilieu in den Mainstream geholt.

Klingt wie eine Erfolgsstory in kürzester Zeit …
Oh nein, wir haben klein angefangen. Sehr klein. Unser erstes Büro war gerade groß genug für mich und zwei Mitstreiter, die Miete betrug etwa 800 Euro im Monat. Für die Pressefotos der ersten fünf Produkte haben wir noch Film entwickeln lassen, und ich erinnere mich, dass ich das irre teuer fand. Die Ausgaben haben sich aber gelohnt: Weil Sexspielzeug von Tenga so anders aussah, eher wie Designobjekte ohne erkennbare Funktion, gingen wir viral damit. Kurz nach dem Launch rief mich ein Journalist des "Forbes"-Magazins an, ein Jahr später wurden wir mit eben jenen Bildern dort vorgestellt. Das hat die Orderzahlen angekurbelt und uns 2007 den Einstieg in den Exporthandel ermöglicht. Wobei bis heute 60 Prozent der Verkäufe innerhalb Japans stattfinden.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz jetzt oder zukünftig in der Entwicklung neuer Erotikartikel von Tenga?
In meiner Kindheit habe ich Science-Fiction-Romane und -Filme geliebt, und diese Faszination hat sich bis heute erhalten. Nun wird das erweitert durch Themen wie Robotics und KI, und ich sehe mich ein Stück weit auch als Laien-Forscher in diesen Bereichen. Insofern, ja, wir beobachten die wachsenden Möglichkeiten mit sehr großem Interesse. Und, nein, dazu kann ich mehr an dieser Stelle leider nicht verraten.

Suzumi Suzuki Von der Pornodarstellerin zum Literaturstar

In letzter Zeit legte eine Reihe von Studien nahe, dass die Generation Z deutlich weniger Sex hat als noch die Millennials. Die vermuteten Gründe reichen von neuen Technologien über Zukunftsängste bis zu einer geringen Motivation, erwachsen zu werden. Sind das für ein Unternehmen, das Sexspielzeug herstellt, schlechte oder gute Nachrichten?
Da unser Geschäft in den letzten 20 Jahren relativ konstant geblieben ist, bis auf einen branchenweiten Boom im ersten Pandemie-Jahr, kann ich mögliche Folgen nicht beurteilen. Noch merken wir davon unterm Strich nichts. Ganz persönlich hoffe ich, dass jede neue Generation echte Leidenschaft erleben kann – mit oder ohne einen Partner. Vielleicht können Produkte wie unsere dabei helfen, die eigenen Vorlieben zu ergründen, zu experimentieren und so Selbstvertrauen zu gewinnen. Das hilft sicherlich auch beim Dating. Sex ist wie ein Tango, wie ein gutes Gespräch: Man braucht zwei Menschen dazu. 

Mit welchen westlichen Vorurteilen über das Sexualleben von japanischen Singles und Paaren würden Sie gern aufräumen?
Das sind natürlich Hentai, eine Art von Porno-Comics, und B*kkake. Was das bedeutet, googeln Sie am besten selbst – und besser nicht auf dem Firmenrechner. Das sind Extreme, die in Animes und Mangas transportiert werden, und sich im Westen als Stereotype "des japanischen Sexuallebens" halten. Ich glaube, das stammt noch aus einer Phase, als die eingangs erwähnten DVD-Läden in starker Konkurrenz miteinander standen und durch immer krassere Angebote auffallen wollten  – so wie Clickbait im Internet. Es dürfte aber eine sehr kleine Gruppe in meiner Heimat sein, der solche Praktiken gefallen. Vermutlich nicht mehr als anderswo, der Rest ist reine Fantasie.

Wie wichtig sind eigentlich Zielgruppen wie die LGBTQ-Community für die Bilanz von Tenga?
Dazu gibt es aus Gründen der Privatsphäre natürlich keine Daten, und wir wollten schon immer allen Menschen möglichst viel Spaß bereiten. Als eine von wenigen japanischen Firmen haben wir schon früh Events wie die Pride-Demonstrationen unterstützt. Damals wusste kaum jemand, was sich hinter den Buchstaben LGBTQ verbarg, noch wollten sich Marken als Sponsor outen. Gerade von schwulen Männern kommt zudem oft das Feedback, wie dankbar sie seien über die neutrale Form unserer Masturbationshelfer.

Capital ist eine Partnermarke des stern. Ausgewählte Inhalte können Sie mit Ihrem stern+ Abo sehen. Mehr aus Capital finden Sie auf www.stern.de/capital.

  • Japan
  • Unternehmergeist
  • Alltag

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke