Der nächste EZB-Zinsentscheid steht bevor, im Rat selbst dreht sich das Personalkarussell: Sieben Mitglieder scheiden in diesem Jahr aus, vor allem Hardliner. Das könnte Folgen für die Geldpolitik haben.

Der atemberaubende Blick aus dem 41. Stockwerk des Frankfurter Eurotowers auf Main, Taunus und Metropole ist auch für Kenner immer wieder ein besonderes Erlebnis. Für Robert Holzmann, Chef der Österreichischen Zentralbank, ist es diese Woche wohl das letzte Mal, dass er diese herrliche Aussicht genießen kann. Denn das Treffen mit seinen Kolleginnen und Kollegen findet nur wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit als Chef der Notenbank in Wien statt.

Sechs Jahre lang stand der renommierte Wirtschaftswissenschaftler mit zahlreichen Lehraufträgen rund um den Globus an der Spitze der österreichischen Währungshüter. Der 76-Jährige, der im politischen Wien gut vernetzt ist, hat sich im EZB-Rat vor allem als überzeugter Hardliner einen Namen gemacht. Er steht für eine restriktive Geldpolitik; wohl auch, weil Österreich nach der Corona-Krise besonders hart von hoher und hartnäckiger Inflation getroffen wurde.

Einzige Stimme gegen Lockerung

Noch im Frühsommer stimmte Holzmann als Einziger im 26-köpfigen EZB-Rat gegen eine weitere Lockerung der Geldpolitik und hatte auch kein Problem damit, seine Position öffentlich zu machen. Der "Falke unter den Falken", wie man die Hardliner nennt, die sich für eine straffe Geldpolitik einsetzen, musste sich dabei nicht nur manchen Seitenhieb der EZB-Präsidentin Christine Lagarde gefallen lassen. Insider sprachen auch vom "Holzmann machen", wenn es darum ging, Argumente gegen die weitere Lockerung der Geldpolitik zu positionieren. Letztere wird von den "Tauben" vertreten, die gerne die Zügel etwas mehr schleifen lassen.

Holzmann ist der spektakulärste Abgang aus dem Lager der "Falken", aber nicht der einzige. Schon vor einigen Wochen schied der langjährige Chef der niederländischen Zentralbank, Klaas Knot, aus. Auch er vertrat tendenziell einen sehr restriktiven Kurs, entschied sich manchmal aber auch ganz pragmatisch. Dem 58-Jährigen, der das dienstälteste Ratsmitglied mit hohem Ansehen und großem Einfluss war, folgte Olaf Sleijpen - einst persönlicher Referent von Wim Duisenberg, dem ersten Präsidenten der EZB. Sleijpen, wie sein Vorgänger angesehener Wirtschaftswissenschaftler, dürfte einen moderaten Kurs verfolgen.

Auch die Mandate der Notenbank-Chefs der Slowakei, Sloweniens und Portugals laufen in diesem Jahr aus. Die Amtszeit des Präsidenten der Zentralbank von Malta, Edward Scicluna, endet ebenfalls Ende des Jahres. Allerdings ist er schon jetzt nicht mehr im EZB-Rat, weil er sich in der Heimat wegen Vorwürfen des Betrugs und der Veruntreuung verantworten muss. Scicluna weist die Anschuldigungen zwar zurück, übergab sein Amt aber bereits im vergangenen Sommer kommissarisch seinem Stellvertreter Alexander Demarco. Finnlands oberster Zentralbanker Olli Rehn wurde für eine zweite Amtszeit nominiert.

Liste mit beiden Lagern

Durch die Veränderungen wird insgesamt das Lager der "Falken" geschwächt und das der "Tauben" gestärkt, schätzt etwa Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Das Institut aktualisiert regelmäßig eine Liste mit den beiden Lagern. Das Pendel schlage eindeutig zu den "Tauben" aus, so Krämer, der diese Verschiebung aber auch schon vor dem Ausscheiden der "Falken" Holzmann und Knot beobachtet hat. Das liegt zum Teil auch daran, dass einige "Falken" gar nicht so massiv ihre Position zum Ausdruck bringen, wie man das denken könnte.

Besonders gilt das für Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Während sein Vorgänger Jens Weidmann trotz seiner umgänglichen und diplomatischen Art Positionen der Hardliner vertrat und sich dabei nicht nur einmal mit dem damaligen Präsidenten Mario Draghi anlegte, fährt Nagel eine pragmatische, moderate Strategie. In den vergangenen Ratssitzungen war es auch eher der Österreicher Holzmann als der Deutsche Nagel, der zumindest verbal auf den Tisch haute.

Lagarde versteht sich auch als Moderatorin

Ohnehin haben die Streitigkeiten im EZB-Rat seit der Amtsübernahme von Christine Lagarde, die selbst zu den "Tauben" gerechnet wird, deutlich nachgelassen. Lagarde ist keine Freundin von Differenzen und Dissens und legt größten Wert darauf, dass nach außen eine einheitliche Position des EZB-Rates vertreten wird. Im Unterschied zu Draghi versteht sie sich als Moderatorin, die verschiedene Positionen zusammenführt, anstatt knallhart eine Meinung durchzudrücken. Zugute kommt ihr dabei, dass die Maßnahmen der Geldpolitik insgesamt weniger umstritten sind als zu Amtszeiten Draghis. Damals führte allein schon die Frage, ob die EZB Staatsanleihen kaufen darf oder nicht, zu massiven Meinungsverschiedenheiten.

Während Draghi die Gemeinschaftswährung gegen Angriffe auf den Finanzmärkten retten und Deflation eindämmen musste, ist Lagardes oberste Aufgabe, die überbordende Inflation zu bekämpfen. Hier liegen die Anschauungen von "Falken" und "Tauben" häufig deutlich näher. Selbst der Hardliner Holzmann bescheinigt Lagarde, ihr sei "nicht hoch genug anzurechnen, dass sie den EZB-Rat zu einer Einheit geformt hat".

Wie viele Zinssenkungen sind genug?

Trotz alledem könnte die neue Harmonie in dem wichtigsten Entscheidungsgremium der Zentralbank bald an ihre Grenzen stoßen. Bei der Frage nämlich, wie weit die Zinsen noch gesenkt werden. Die "Falken" sind schon seit einiger Zeit der Meinung, die acht erfolgten Zinssenkungen seien genug - dies auch angesichts der ungewissen Inflationsschübe, die der Handelsstreit mit den USA voraussichtlich mit sich bringen wird, egal wie er am Ende ausgeht.

Die "Tauben" hingegen haben andere Probleme im Blick: die wirtschaftliche und finanzpolitische Lage von Frankreich und Italien. Diese Länder kommen wegen ihrer hohen Staatsschulden erneut in die Bredouille und verlieren Vertrauen bei Investoren. Die Folge: Sie müssen Käufern ihrer Staatsanleihen zunehmend höhere Zinsen zahlen. Vor allem Frankreichs Premierminister François Bayrou fordert daher lautstark von der EZB, den Zinssenkungskurs unvermindert fortzusetzen, um die Wirtschaft stärker zu unterstützen.

Doch trotz dieses Appells ist es eher unwahrscheinlich, dass der EZB-Rat diese Woche eine weitere Zinssenkung beschließen wird. Zwar liegt die Inflationsrate in der Eurozone jetzt genau bei den von den Währungshütern angestrebten zwei Prozent, so dass es Spielraum gäbe. Doch viele Ratsmitglieder fürchten tendenziell wieder eine anziehende Teuerung. Grund ist nicht nur der Handelsstreit mit den USA. Die EZB hat auch noch nicht in allen Bereichen der Inflation ihre Hausaufgaben gemacht: Bei Lebensmitteln und Dienstleistungen gibt es weiterhin keine Entspannung. Hier liegt die Inflationsrate weiter zum Teil deutlich über zwei Prozent.

Vermutlich passiert nichts

Die meisten Beobachter gehen deshalb davon aus, dass diese Woche nichts passieren wird und die EZB die Leitzinsen stabil hält. Entsprechende Andeutungen hatte die Präsidentin selbst bereits nach der vergangenen Ratssitzung gemacht. Da sich die Unsicherheit in der Weltlage seitdem nicht verändert hat, gebe es keinen Handlungsbedarf, sagt etwa Felix Schmidt, Volkswirt bei der Berenberg Bank. Auch zur Ankurbelung der Konjunktur ist aus seiner Sicht "eine zusätzliche Nachfragestützung nicht mehr erforderlich", weitere Zinssenkungen also vorerst unnötig. Würde man mit zu niedrigen Zinsen über das Ziel hinausschießen, treibe das nur erneut die Inflation an. Ähnliche Positionen vertreten auch Bundesbankpräsident Nagel und Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel, die ebenfalls für eine Pause in der Geldpolitik plädieren.

Christine Lagarde wird deshalb vermutlich auf die nächste Ratssitzung im September verweisen. Für die Chefin der EZB, die nicht nur in diesem, sondern auch im kommenden Jahr weitere Ratsmitglieder verabschiedet, neigt sich die eigene Amtszeit ebenfalls langsam dem Ende zu. Für die Nachfolge im Herbst 2027 werden jetzt auch schon erste Namen genannt: Klaas Knot, der erfahrene Notenbanker aus den Niederlanden, zeigt Interesse und gilt derzeit als der aussichtsreichste Kandidat. Sollte er das Rennen machen, käme trotz der Mehrheit der "Tauben" im Rat ein "Falke" auf den Präsidentenstuhl.

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