Sonntagvormittag in einem Vorort von Orlando im US-Bundesstaat Florida. Menschen strömen in eine Kirche, die aussieht wie eine grosse Lagerhalle. Draussen ist es heiss und die Sonne brennt, drinnen ist es kühl und abgedunkelt.

Legende: Die StoryLife Church von aussen. SRF / Barbara Colpi

Es ist eine evangelikale Kirche, also eine protestantisch konservativ ausgerichtete, die grossen Wert auf Bibelstudium, Gebete und Missionieren legt.

Legende: Etwa 100 Gläubige sind an diesem Pfingstsonntag in der StoryLife Church. SRF / Barbara Colpi

Der charismatische Prediger Brad Knight spricht von einem unsichtbaren spirituellen Krieg gegen alles, was die christliche Weltordnung bedrohe.

Er redet laut, mit theatralischer Stimme: «Die Bibel ist die ultimative Richtlinie und es ist herausfordernd, die christliche Weltanschauung im Alltag umzusetzen, oft gegen den Zeitgeist oder andere Denkweisen», sagt er. Die Gemeinde ruft zurück: «Amen», «Das ist richtig», «Hallelujah». Zwei Stunden dauert die Zeremonie.

Ideologischer Kampf

Für viele hier ist der Glaube eine Entscheidung: nicht nur für Christus, sondern auch gegen die «anderen», gegen alles, was als antichristlich gilt. Gegen Linke, gegen «Wokeness» ... gegen die Medien. Politik und Religion sind hier längst eins. Die meisten Gläubigen wollen nach der Feier nichts ins Mikrophon sagen.

Der 22-jährige Gavin verteilt Borschüren, «Will America be great again?» steht auf dem Cover in Anlehnung an Donald Trumps Versprechen, Amerika wieder grossartig zu machen. Es sei wichtig, dass sich die Kirche ganz klar auch politisch engagiere, sagt er: «Wir versuchen Einfluss zu nehmen auf den Kongress und die Menschen in der Hauptstadt Washington.»

Präsident Trump mache seine Arbeit hervorragend. Auf die Frage, ob es nicht auch ein biblisches Gebot sei, sich um die Armen zu kümmern, während der Präsident Hilfsgelder kürzt und die internationale Entwicklungszusammenarbeit fast gänzlich eingestellt hat, erwidert Gavin, dass es auch dazu gehöre, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen, vor allem wenn es um das Geld anderer – der Steuerzahler – gehe. «Das ist wie bei uns in der Kirche, mit dem Zehnten, den die Gemeinschaft abgeben muss. Dieses Geld müssen wir verantwortungsbewusst ausgeben.»

Die Glaubensrichtung der StoryLife Church wird als Wohlstandsevangelium bezeichnet. Eine Überzeugung, dass Gott Wohlstand schenke, wenn man ihm vertraue. Und Trump? Ist für viele ein sichtbares Zeichen dieses Segens.

Die StoryLife Church war bis vor Kurzem das Reich von Paula White, einer bekannten Fernseh-Predigerin und seit den frühen 2000er-Jahren die persönliche spirituelle Beraterin von Donald Trump.

Legende: US-Präsident Donald Trump (links) mit der Predigerin Paula White (rechts). Sie ist die Besitzerin der «Paula White Ministries», zu der auch die StoryLife Church gehört. (28.10.2024) Reuters / Brendan McDermid

Für viele hier war der Tötungsversuch von Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung der letzte Beweis dafür, dass Trump von Gott gerettet worden sei und nur deshalb überlebt habe. Und Trump übernimmt das Narrativ, ein Werkzeug Gottes zu sein.  

Staat und evangelikale Agenda vermischen sich

Der Präsident hat gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ein Dekret erlassen, um das «White House Faith Office» einzurichten: eine eigene Regierungsabteilung unter der Leitung von Paula White, die zur Aufgabe hat, religiöse Lobby-Organisationen in politische Entscheidungsprozesse zu verankern.

Wenig später richtete Donald Trump eine Taskforce mit dem Ziel ein, «antichristliches Verhalten» in den Regierungsbehör­den zu identifizieren und zu beseitigen. Beispielsweise, wenn jemand obligatorisch an Regierungsprogrammen teilnehmen muss, die sich mit Themen wie Genderpronomen, queerer Inklusion oder Transgenderpolitik befassen. Programme, die in konservativen Kreisen als mit dem Glauben unvereinbar angesehen werden.

Und damit nicht genug: Anfang Mai gründete Donald Trump eine Kommission, die klären soll, wo religiöse Freiheit bedroht sei: bei Impfpflichten, in Schulen, bei öffentlichen Gebeten. Kritische Stimmen warnen vor einer gefährlichen Vermischung von Staat und evangelikaler Agenda.

Donald Trumps Religionsoffensive richtet sich nicht nur gegen linke Identitätspolitik. Sie trifft auch einen ganz anderen Bereich – einen, der auf Belegen, Daten und Experimenten basiert: die Wissenschaft. In konservativen Kreisen, wo die Bibel wortwörtlich ausgelegt wird, gibt es Widerstand gegen Klimaforschung, gegen moderne Medizin und gegen die Evolutionstheorie.

Kreationistische Weltanschauung

Ein Ort bringt diese Haltung besonders greifbar zum Ausdruck: das «Creation Museum» in Kentucky. Hier beginnt die Weltgeschichte nicht mit Urknall und Evolution, sondern mit dem ersten Buch der Bibel, dem Buch Genesis, das die Schöpfungsgeschichte und die Ursprünge der Welt und des Menschen erzählt.

Legende: Eine Tafel im «Creation Museum» in Kentucky. «Biblische Geschichte ist der Schlüssel, um Dinosaurier zu verstehen» steht auf einer Tafel. SRF / Barbara Colpi

Zu Beginn des Museumsrundgangs läuft ein Video, das die beiden Weltanschauungen gegenüberstellt: «Die naturalistische Weltanschauung versucht die Welt ohne einen Schöpfer zu erklären die biblische Weltanschauung sagt uns, dass Gott eine perfekte Welt erschaffen hat», tönt es aus einem Lautsprecher.

In der Ausstellung gehen Adam und Eva und Dinosaurier als lebensgrosse Figuren gemeinsam im Garten Eden spazieren. Die Wissenschaft datiert dagegen Dinosaurierfossilien auf über 65 Millionen Jahre vor dem Menschen. Für das Museum ist das ein Irrtum – oder eine Verschwörung. Hinter dem Museum steht die christliche Organisation «Answers in Genesis» – «Antworten im Buch Genesis».

Wissenschaft infrage gestellt

Mark Looy ist Mitgründer dieser Bewegung und Teil der Geschäftsführung. Stolz sagt er, dass sie hier seien, um Christinnen und Christen Antworten zu geben, über Dinosaurier, über Datierungsmethoden oder über die grosse Sintflut. Alles immer mit wissenschaftlichen Belegen.

Legende: Mark Looy betont, dass auch Harvard-Abgänger zu den Museumskuratoren gehörten. SRF / Barbara Colpi

Auch Looy habe früher an die Evolution geglaubt, doch heute sei er Kreationist. Seit dem Amtsantritt der neuen Regierung, unter Präsident Trump, habe es ein Umdenken gegeben, beobachtet Mark Looy: «Präsident Trump zeigt mehr Offenheit und hinterfragt, ob das, was in öffentlichen Schulen gelehrt oder im Fernsehen und Wissenschaftsmuseen gezeigt wird, möglicherweise nicht ganz zutreffend ist.»

Legende: Im Museumsshop gibt es eine ganze Abteilung mit Schulbüchern und Lehrmaterial für den Unterricht zu Hause für sämtliche Altersstufen. SRF / Barbara Colpi

Tatsächlich besetzte der Präsident Regierungsämter mit Personen, die ihre Stimmen kritisch gegenüber der Wissenschaft erhoben. Zum Beispiel Robert F. Kennedy Junior als Gesundheitsminister.

Trump zweifelt gewisse wissenschaftliche Bereiche an, wie den Klimawandel, und er führt eine Offensive gegen wissenschaftliche Forschung, indem er Budgets kürzt und wissenschaftliche Mitarbeitende entlässt.

Mark Looy gibt sich diplomatisch, sagt, sie seien keine politische, sondern eine evangelikale Organisation, doch seine Bewunderung für den US-Präsidenten ist offensichtlich.

Für viele konservative Christinnen und Christen geht es längst nicht mehr nur um Glaubensfragen – sondern um Kulturkampf, Identität und Macht.

Und kaum jemand beschreibt diese Dynamik so analytisch wie Aaron Renn.

Religion als politische Waffe

Aaron Renn ist ein konservativer Intellektueller, selbst evangelikaler Christ, Politikberater und Essayist. In seinem Buch «Life in the Negative World» beschreibt er, wie sich das Verhältnis zwischen Christentum und amerikanischer Öffentlichkeit verschoben hat: vom kulturellen Mainstream zum Gefühl, in einer feindlichen Umwelt zu leben – in einer «negativen Welt», wie er sie nennt.

Legende: Der konservative Intellektuelle Aaron Renn. SRF / Barbara Colpi

«Das konservative Christentum in den USA hat sich von einer gesellschaftlichen Mehrheit zu einer verunsicherten Minderheit entwickelt. Viele Gläubige fühlen sich marginalisiert. Nicht mehr anerkannt, sondern ausgelacht. Nicht mehr gehört, sondern gecancelt.», sagt er.

Trump habe dieses Lebensgefühl nicht geschaffen, aber er habe es verstanden. Und: Er nutze es politisch: «Ich halte Donald Trump nicht für einen besonders religiösen Menschen, doch er praktiziert eine transaktionale Politik, das heisst eine interessenbasierte, pragmatische und opportunistische Politik.»

Zugehörigkeit zu politischen Lager

Dazu käme, dass Religion in der amerikanischen Gesellschaft eine grössere Rolle spiele, als in den meisten anderen westlichen Demokratien und dies werde sich nicht so schnell ändern, ist Aaron Renn überzeugt. Religion werde in den USA auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, vielleicht sogar mehr denn je, sagt er.

Darin liege die Macht, die Donald Trump aus der Religion ziehe, und ihr gleichzeitig nehme. Denn je stärker der Glaube zum politischen Banner werde, desto mehr verliere er an Tiefe. Was einst spirituelle Orientierung war, werde zur Frage von Loyalität und Lagerzugehörigkeit.

Trump gibt dem Glauben eine neue politische Rolle

Wohin das führen kann, zeigt sich jetzt schon deutlich: Die christliche Gemeinschaft in den USA ist gespalten, denn längst nicht alle stimmen ein in das Lob, das Donald Trump von grossen Teilen der Evangelikalen erfährt.

Die Frage, was christlich ist, ist heute mehr denn je eine politische Streitfrage. Donald Trump hat den Glauben nicht neu erfunden, aber er hat ihn neu codiert: als Abgrenzung, als Loyalitätsbeweis und als Machtinstrument. Was bleibt, ist ein Land, das nicht weniger gläubig geworden ist, aber anders und gespaltener.

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