Zur Rushhour in der «Stau-Hauptstadt» der Welt
Die Fahrt beginnt – wie könnte es anders sein – mit einer Verspätung. Er sei im Stau stecken geblieben, entschuldigt sich mein Taxifahrer.
Dann aber geht es los. Wir starten auf Victoria Islands, im Geschäftszentrum von Lagos. Hierhin fahren viele Bewohner der nigerianischen Megacity am Morgen zur Arbeit. Und von hier fahren nun, um halb sechs Uhr abends, viele zurück nach Hause. Es ist Rushhour in Lagos.
Was das heisst, spüren wir bereits nach wenigen Minuten. An der ersten Kreuzung stecken wir fest. Lastwagen, Busse, Taxis, Pickups – alle stehen sie hier plötzlich dicht an dicht. Eine Stunde lang bewegen wir uns im Kriechgang, erst dann löst sich der Knoten, aber es ist nur der erste von vielen.

Irgendwie geht es immer
Wir nähern uns der grossen Brücke, die über die Lagune führt und das Geschäftsviertel mit dem sogenannten «Mainland» verbindet. Dort, im schier endlosen Häusermeer, sind die meisten der rund 25 Millionen Einwohner von Lagos zu Hause.
Am Strassenrand winkt ein älterer Herr, wir lassen ihn einsteigen. Er sei hier aufgewachsen, sagt der Geschäftsmann, für ihn sei Stau normal: «Was erwarten Sie denn von einer Stadt mit über 20 Millionen Einwohnern?»
Man müsse eben planen, die Randzeiten nutzen, am Morgen um fünf Uhr losfahren statt um sieben. Zudem seien die Leute hier bekannt dafür, die Herausforderungen des Alltags zu meistern.
Es ist dunkel geworden. Nach rund eineinhalb Stunden sind wir auf dem «Mainland», bald geht es wieder nur im Schritttempo voran. Auf den Trottoirs stehen kleine Marktstände, die Fussgänger weichen auf die Strasse aus. Alles vermischt sich – ein Strom aus Blech und Gummi und Mensch, der zäh über den Asphalt und durch eine Wolke aus Abgasen fliesst.
Eine junge Frau steigt zu, sie ist Modedesignerin. Sie stecke oft im Stau, «der Verkehr hier ist wirklich schlecht». Aber auch sie strahlt diese positive Einstellung aus, die man in Lagos allenthalben antrifft. Irgendwie schaffen wir es immer: Das ist so etwas wie das inoffizielle Motto dieser Stadt.
Tatsächlich ist zuletzt einiges besser geworden auf den Strassen von Lagos. Es gibt weniger Schlaglöcher als vor einigen Jahren, viele Ampeln funktionieren wieder, neuerdings gibt es zwei Zuglinien in der Stadt, und erst vor wenigen Wochen wurden erstmals Radarfallen installiert.

Nollywood anstatt Strassenkino
Wir fahren weiter, bleiben stehen, fahren weiter: durchs lebhafte Quartier Ikeja, am Flughafen vorbei, an vielen Kreuzungen, wo es immer wieder stockt.
Es ist halb neun, wir sind drei Stunden unterwegs, langsam wird das Strassenkino eintönig. Mein Fahrer weiss sich zu helfen: Am Armaturenbrett hat er einen Bildschirm installiert, auf dem er einen nigerianischen Film anwählt. Nollywood-Drama als willkommene Ablenkung im Dauerstau.

Wir erreichen das Quartier Ikotun hinter dem Flughafen und fahren kilometerlang an Ess- und Marktständen vorbei. Dann, plötzlich: ein tropischer Platzregen. Für uns ist es Zeit, umzukehren.
Auf dem Rückweg – nun gegen den Pendlerstrom – sind die Strassen frei. Eine Stunde später sind wir zurück am Ausgangspunkt.
Die Bilanz: fünf Stunden Fahrt – für 80 Kilometer. Drei Unfälle und vier Pannen haben wir gesehen, eine Schlägerei beobachtet und ob all dem eine erstaunliche Einsicht gewonnen: Lagos, das ist nicht nur die Stadt des täglichen Verkehrswahnsinns. Lagos ist auch die Stadt der Menschen, die sich trotzdem nicht unterkriegen lassen.
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