In den Wintermonaten treten jedes Jahr durchschnittlich zwei Dunkelflauten auf, die zwischen zwei und acht Tagen dauern. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche möchte den Extremfall mit gleich 20 Gigawatt an neuen Gaskraftwerken absichern. Zu viel? Zu wenig? "Genau richtig", sagt Werner Götz. Der Chef des baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW vergleicht die Anlagen im "Klima-Labor" von ntv mit einer Investition in eine Feuerwehr und ist überzeugt: Der Ausbau von dringend notwendigen Batteriespeichern wird nicht darunter leiden. Aber ihm zufolge ist Tempo angebracht: "Unsere aktuelle Feuerwehr sind Kohlekraftwerke aus den 60er- bis 80er-Jahren", sagt Götz. "Allmählich mache ich mir große Sorgen um deren Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit."

ntv.de: Gaskraftwerke sind gerade in aller Munde: Wie viele werden in Deutschland benötigt? Wirtschaftsministerin Katherina Reiche möchte 20 Gigawatt bauen. Ist das zu viel oder zu wenig?

Werner Götz: Das ist genau richtig. Wir - also die Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur - haben 2023 ermittelt, dass für Notfälle 20 Gigawatt flexible und steuerbare Leistung notwendig sind. Unserer Meinung nach sollte ein Drittel der Kraftwerke im Norden Deutschlands positioniert sein und zwei Drittel im Süden. Der Presse kann man entnehmen, dass Frau Reiche genau diesen Vorschlag unterstützt.

Sie sprach von einem "Südbonus".

Richtig. Der hat einen simplen Hintergrund: Die Kraftwerke sollen nicht ausschließlich Wirkleistung erzeugen, also Energie, die wirklich verbraucht werden kann. Sie werden auch für systemdienliche Einsatzzwecke wie Netzwiederaufbau, Redispatch oder Erzeugung von Blindleistung benötigt. Dafür ist die Verortung der Anlagen von hoher Relevanz.

Besonders intuitiv wirkt der Plan nicht. Wir diskutieren darüber, dass unser Stromnetz überlastet ist, weil sich immer häufiger zu viel Energie darin befindet. Gleichzeitig bauen wir 20 Gigawatt an Gaskraftwerken, die in Zukunft wenige Stunden Dunkelflaute im Jahr absichern sollen. Das rechnet sich doch nicht.

Ob es sich rechnet, hängt davon ab, wie viel Geld man für sein Produkt bekommt. Ein Gaskraftwerk verkauft klassischerweise Energie. Nur damit würde sich der Bau nicht rentieren. Wir benötigen die Kraftwerke aber auch, um Kapazitäten vorzuhalten. Das ist das zweite Produkt, wie bei einer Feuerwehr: eine unverzichtbare und wirtschaftlich sinnvolle Investition, auch wenn sie nur zweimal im Jahr ausrückt. Bei den Gaskraftwerken ist es ähnlich. Sie werden im Regelfall nicht benötigt, in kritischen Stunden schon.

Die sind eine Art Versicherung?

Ja, falls es massive Abweichungen bei Prognosen für Erzeugung oder Verbrauch geben sollte oder wir im Winter eine längere Dunkelflaute haben.

Die Deutschen sind dafür bekannt, überversichert zu sein. Gibt es keine anderen Optionen, bevor man sich für viele Jahrzehnte an Gaskraftwerke kettet, die einen Brennstoff benötigen, den wir eigentlich nicht benutzen möchten?

Die Gaskraftwerke werden anfangs mit Erdgas befeuert. Alle Neubauten sind aber dafür ausgelegt, perspektivisch mit Wasserstoff und somit CO2-neutral betrieben werden zu können.

Wären Batteriespeicher für wenige Stunden Dunkelflaute nicht trotzdem sinnvoller?

Das ist kein Entweder-Oder. Batteriespeicher sind extrem hilfreich, um kurzfristige Schwankungen im Netz auszugleichen. Aber jeder, der eine Solaranlage auf dem Dach und einen Speicher im Keller hat, weiß: Wenn drei Tage lang Schnee auf den Modulen liegt, hilft der Speicher spätestens nach dem ersten Tag nichts mehr. Im Winter kann es aber passieren, dass zwei bis drei Wochen kein Wind weht oder keine Sonne scheint. Diese Dunkelflaute müssen wir beherrschen können - erst recht, wenn viele Menschen künftig im Winter mit Wärmepumpen heizen.

Aber wo bleibt der Anreiz, Batteriespeicher auszubauen, wenn etliche Gaskraftwerke bereitstehen, die jederzeit einspeisen können?

Batteriespeicher sind ein hoch lukratives Geschäft. Auf Bundesebene gibt es aktuell etwa 500 Anfragen für neue Projekte. Dieser Business Case lässt sich leicht darstellen.

Man lädt sie auf, wenn die Strompreise niedrig sind, und speist die Energie ins Netz ein, wenn die Preise steigen.

Ja. Das ist hochrentabel. Das größere Problem sind Anreize für Investitionen in Gaskraftwerke. Dieses Thema müssen wir lösen.

Stimmt. Gaskraftwerke baut niemand freiwillig. Aber wenn man sie subventioniert, lohnen doch Batterieprojekte nicht mehr, oder?

Das sehe ich nicht so. Es gibt sicherlich Funktionen, bei denen sich Gaskraftwerke und Batteriespeicher überlappen, aber grundsätzlich sind sie komplementär: Die Gasturbine läuft, wenn die Feuerwehrfunktion angefragt wird, oder in einer Dunkelflaute. Dann ist der Marktpreis für Strom so hoch, dass er über den Brennstoffkosten liegt und sich der Einsatz rechnet.

Es bleibt aber dabei: Robert Habeck wollte den Bau massiv subventionieren. Katherina Reiche muss das auch tun, oder sehen Sie eine andere Option?

Ich finde den Begriff schwierig, denn letztlich bieten die Kraftwerke einen Service an, den man vergüten muss und der im aktuellen System nicht adressiert wird: Sie halten Leistung vor. Dieser Service wird nachgefragt und benötigt. Diese Instrumente einzuführen, hat nichts mit Subventionieren zu tun. Sie erfüllen einen Bedarf.

Und dann erhalten private Unternehmen Geld vom Staat, um eine Feuerwehrfunktion zu erfüllen? Finden Sie das gerecht?

Es ist eine Grundsatzdiskussion, ob die Energieversorgung als Daseinsvorsorge in staatliche Hände gehört. Wenn Sie mich persönlich fragen: Das funktioniert mit Marktkräften deutlich besser als staatlich reguliert. Und wenn wir von diesen Unternehmen einen signifikanten Beitrag zur Energiewende erwarten, muss man einen Anreiz bieten. Die benötigen einen Business Case für ihre Investitionen, sonst haben sie nichts davon. Dafür muss man sich nicht schämen.

Der Bedarf besteht aber jetzt, denn die Gaskraftwerke sollen auch die alten und viel schmutzigeren Kohlekraftwerke ersetzen, auf die wir uns derzeit als Reserve verlassen. Die 20 Gigawatt sind doch frühestens in 10 oder sogar erst 20 Jahren einsatzbereit, oder?

Das hängt davon ab, wann wir den Startschuss geben. Die reine Bau- und Genehmigungszeit beträgt drei bis fünf Jahre. 2030 wäre als Ziel im Rennen. Aber ja, wir haben nicht beliebig Zeit. Unsere aktuelle Feuerwehr sind Kohlekraftwerke aus den 60er- bis 80er-Jahren. Die kommen in ein Alter, in dem ich mir große Sorgen über deren Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit mache.

Es besteht keine Gefahr, dass der Bau so lange dauert, dass die Gaskraftwerke in der Zwischenzeit von anderen Technologien überholt werden? Speziell die Solarenergie und auch Batteriespeicher werden seit Jahren gleichzeitig besser und günstiger.

Diese Sorge habe ich nicht. Ich habe selbst eine Solaranlage auf dem Dach und weiß, dass sie super funktioniert. Wir leben nahezu autark, aber nur von März bis November. Und trotz aller Fortschritte: Auch in 15 Jahren wird nachts keine Sonne scheinen. Es wird immer Grenzszenarien geben, auf die man vorbereitet sein muss.

Ihr Unternehmen ist derzeit aber selbst Teil eines Pilotprojekts, das Elektroautos als Netzstabilisator nutzt. In 15 Jahren werden dafür hoffentlich viele Millionen E-Autos bereitstehen.

Das hilft und ist ein weiteres Instrument, um das System stabiler und auch günstiger zu machen. Damit wird aber kein Gaskraftwerk ersetzt.

Das E-Auto taugt nicht als Reserve für eine Dunkelflaute?

Wir entnehmen keine Energie aus dem Auto. Das bidirektionale Laden wird bei diesem Projekt nicht getestet. Die beteiligten Kunden von Octopus Energy erlauben uns, den Ladevorgang zu steuern, um das Netz zu entlasten. Wenn das Auto abends an die Ladestation angeschlossen wird und um 6.30 Uhr vollgeladen sein soll, bleibt ein Zeitfenster von ungefähr zehn Stunden. Ist das Netz um 22 Uhr überlastet, schieben wir den Ladevorgang auf 0.30 Uhr. Die Kunden bekommen davon nichts mit.

Mit welchem Ziel?

Wir möchten der Bundesnetzagentur beweisen, dass dieses System netzdienlich funktioniert und einen regulatorischen Rahmen schaffen, um es perspektivisch großflächig wirklich mit vier Millionen E-Autos oder mehr zu machen - in Postleitzahlen scharfen Gebieten.

Was haben die Kunden davon?

Die bekommen einen günstigeren Stromtarif. Ohne finanziellen Vorteil würden sie nicht mitspielen.

Und wann kann dieses System großflächig zur Entlastung des Netzes genutzt werden?

Es muss uns gelingen, diese Flexibilitätsprodukte bis 2030 zu etablieren. Wir sehen in Großbritannien, dass es funktioniert, wirtschaftlich ist und akzeptiert wird. Das hat einen Mehrwert für Netzbetreiber wie uns, Octopus und die Kunden - das ist Win-win-win.

Mit Werner Götz sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

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