Sie lassen die Kinokassen gehörig klingeln: 1,2-Milliarden US-Dollar spielte der Animationsfilm «Die Eiskönigin» ein. Die Fortsetzung «Die Eiskönigin 2» toppte den Rekord sogar mit knapp 1,5 Milliarden US-Dollar Einnahmen für den Disney-Konzern.

Den Grundstein für den Erfolg legte ein Märchenerzähler aus Dänemark: Hans Christian Andersen. 1844 veröffentliche er das vielschichtige Kunstmärchen die «Die Schneekönigin» mit einer wortwörtlich kalten, aber ambivalenten Titelfigur.

Legende: Die Schneekönigin ist heute vor allem als Elsa aus dem Disney-Film «Frozen» bekannt. Dass die Figur auf ein Märchen von Hans Christian Andersen zurückgeht, wissen wohl nur wenige. Imago/Capital Pictures

Ein knappes Jahrhundert später interessierte sich Walt Disney für eine Adaption von Andersens «Schneekönigin». Daraus wurde aber zunächst nichts: Die Filmemacher taten sich schwer, die Figur der Schneekönigin dem Publikum zugänglich zu machen.

Das gelang 2013 mit dem Animationsfilm «Die Eiskönigin» umso besser. Aus der Schneekönigin wurde die sensible und unabhängige Eiskönigin Elsa. Mit ihr schuf Disney ein Sinnbild für weibliche Selbstbestimmung und überführte Andersens Märchenfigur in die Gegenwart.

Die queere Meerjungfrau

Auch andere Gestalten aus Andersen-Märchen gelten heute als Figuren des Empowerments. 1989 erschien mit «Arielle, die Meerjungfrau» Disneys Zeichentrick-Adaption der unglücklich verliebten «kleinen Meerjungfrau».

Um bei ihrem Prinzen in der Welt der Menschen leben zu können, tauscht die Meerjungfrau bei einer Meereshexe ihre Flossen gegen ein paar Beine. Als Preis muss sie aber ihre Stimme aufgeben, weshalb es ihr im Märchen nicht gelingt, dem Prinzen zu sagen, dass sie ihn liebt.

In den Literaturwissenschaften gibt es die These, dass Andersen diese Geschichte als Reaktion auf eine eigene missglückte Liebe schrieb. Man nimmt an, dass sich der Schriftsteller zu Frauen und Männern hingezogen fühlte. In Briefen gestand er seinem Freund Edvard Collin seine grosse Zuneigung. Collin erwiderte die Liebe aber nicht.

Legende: Wie so oft in der Literatur stellt sich auch beim dichtenden Märchenerzähler Hans Christian Andersen die Frage: Wie viel seiner eigenen Biografie steckt in seinen Geschichten? Imago/glasshouseimages

Kurz darauf entstand das Märchen «Die kleine Meerjungfrau». Es wird darum als Ausdruck einer Welt verstanden, in der eine homosexuelle Liebe weder gelebt noch ausgesprochen werden kann.

Für die LGBTQ+-Bewegung sind Andersens Geschichte und vor allem der Disney-Film heute ikonisch. Das liegt auch an Nebenfiguren wie der Meereshexe Ursula. Bei ihr orientierten sich die Zeichner von Disney an der Drag-Szene der 1980er-Jahre. Vor allem der US-amerikanische Drag-Künstler «Divine» gilt als optisches Vorbild.

Es ist darum kein Zufall, dass das Schauspielhaus Zürich im Frühjahr 2025 «Die kleine Meerjungfrau» als queeres Drag-Spektakel auf die Bühne brachte.

Eitle Machthaber

Und dann ist da noch ein Andersen-Märchen, das derzeit besonders aktuell ist. Das stellt der Professor für Nordische Philologie Klaus Müller-Wille fest: «‹Des Kaisers neue Kleider› ist ein Märchen, auf das in der ständigen Diskussion um Donald Trump wieder und wieder hingewiesen wird.»

Legende: Wie im Märchen: Donald Trump als moderner Kaiser ohne Kleider – eine Allegorie auf Macht, Selbsttäuschung und öffentliche Blindheit. Die Figur stammt von US-Akitivisten Joshua «Ginger» Monroe. Keystone/EPA/MIKE NELSON

Tatsächlich findet man in den Medien zahlreiche Vergleiche des US-amerikanischen Präsidenten mit dem eitlen Kaiser, der sich täuschen lässt und selbst täuscht. Das Märchen sei, so Müller-Wille, zu einer Art moderner Mythos geworden, den man heranzieht, um die Welt zu erklären.

Die Beispiele zeigen: Hans Christian Andersens Märchen sind jung geblieben. Weil sie zeitlose Themen benennen und weil sie genug Spielraum liefern, um immer wieder neu adaptiert und gedeutet zu werden. 

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