„Das ist eine schiefe Rechnung“
Beim Manöver der Panzertruppe im Gefechtsübungszentrum bei Gardelgen erklärt Oberst Jörg Tölke, 56, der neue Kommandeur der Panzertruppenschule Munster, wie sich die Panzertruppe der Bundeswehr einer veränderten militärischen Realität anpasst. Rund 300 Kampfpanzer „Leopard“ hat das deutsche Heer derzeit, weitere 123 sind bestellt. Hinzu kommen rund 800 Schützenpanzer der Typen „Marder“ und „Puma“, der Puma ersetzt schrittweie den ältern Marder. Insgesamt soll die Panzertruppe in den kommenden Jahren weiter aufwachsen.
WELT AM SONNTAG: Herr Oberst, welche Rolle soll die Panzertruppe im System der verbundenen Waffe spielen – in einer militärischen Umgebung, die immer stärker durch Drohnen und automatisiere Waffen geprägt sein wird?
Jörg Tölke: Panzertruppen fassen wir immer zusammen – das sind Grenadiere und Kampfpanzer, sodass wir ein Gesamtsystem haben. Deren Aufgabe war und ist es, Raum zu nehmen, Raum zu halten. Das wird auch in der Zukunft nicht anders sein, egal, wie die Automatisierung voranschreitet. Insofern bleibt die Kernrolle der gepanzerten Truppen auch in Zukunft erhalten.
WAMS: Im Ukrainekrieg ist zu sehen, wie Drohnen sehr schnell immer stärker in die Kriegsführung integriert werden.
Tölke: Ich glaube, die Rolle der Kampfpanzer und der Schützenpanzer als gepanzerte Truppen wird bleiben. Auch wenn neue Systeme wie Drohnen eingeführt werden, wird sich die grundlegende Aufgabe der Panzertruppen nicht ändern. Wo man sich sicherlich anpassen muss, ist die Frage, wie schaffe ich den nötigen Schutz für die Kampf- und Schützenpanzer? Wie ermögliche ich den gepanzerten Truppen, ihre Aufgabe zu erfüllen? Das ist eigentlich der Blickwinkel. Es geht nicht darum, brauche ich keine gepanzerten Truppen mehr oder doch oder mehr oder weniger, sondern es geht darum, wie ermögliche ich es den Soldaten, ihre Aufgaben zu erfüllen? Am Ende läuft es immer wieder darauf hinaus, eben Raum zu nehmen, Raum zu halten, Raum zu verteidigen. Und das kann man nur mit „Boots on the Ground“. Das ist letztendlich das, was die gepanzerten Kampftruppen mit ihrer Stoßkraft am besten und auch am sinnvollsten tun können.
WAMS: Wie verändern sich die Inhalte Ihrer Ausbildung durch Waffensysteme wie Drohnen?
Tölke: Die Kernaufgaben für diejenigen, die wir ausbilden, die Panzerkommandanten, die Zugführer oder Kompaniechefs, bleiben zunächst mal gleich. Marsch und Angriff, die Verteidigung mit gepanzert Kampftruppen, das wird sich nicht groß ändern. Hinzu kommt die Bedrohung durch Drohnen oder auch das Nutzen eigener Drohnen als weitere Facette. Das ändert aber nicht das Grundsätzliche, was wir ausbilden. Insofern bleiben große Teile der Ausbildung gleich. Man muss das Programm um die Dreidimensionalität durch Drohnen am Himmel oder auch Drohnen am Boden erweitern. Der Kern bleibt, viele Ausbildungsinhalte bleiben. Man muss sie nur modern anpassen.
WAMS: Ein Kampfpanzer „Leopard“ kostet mehr als 20 Millionen Euro. Müssen Sie – angesichts der Zerstörungskraft relativ billiger Drohnen – intern Diskussionen über die Kosten von Panzern und deren Verhältnismäßigkeit führen?
Tölke: Das ist eine schiefe Rechnung, die man so nicht machen kann. Sicher, billige Drohnen sind deutlich günstiger als ein Kampfpanzer. Allerdings ist das ja auch nicht unbedingt das, was gegeneinander kämpft. Wenn ich eine feindliche Angriffsdrohne habe, habe ich auch Verteidigungsdrohnen, also Drohnenabwehrmittel. Ob es nun lasergestütze Drohnen sind oder auch kinetische mit Waffenwirkung, das ist ja eigentlich das, was man aufrechnen muss. Man muss die Schutzglocke über den gepanzerten Kampftruppen denken und nicht den Kampfpanzer selbst. Der übt seine Rolle aus. Aber defensive und offensive Drohnen kann man gegeneinander aufrechnen.
WAMS: Wird also das neueste Modell Leopard 2A8 mehr Luft- oder Eigenschutz haben?
Tölke: Ich würde das gar nicht auf den Kampfpanzer oder den Schützenpanzer selbst beziehen. Wir sprachen eben vom Gefecht der verbundenen Waffen. Wir rüsten jetzt ja zum Beispiel auch Luftverteidigungssysteme wie den Skyranger nach. Und auch andere Systeme im Kampf gegen Drohnen, ob es Netzwerferdrohnen sind oder ähnliche Systeme, das kommt jetzt alles. Den Kampfpanzer müssen sie dann fairerweise gegen andere Kampfpanzer oder Großwaffensysteme auf der anderen Seite aufrechnen. Ansonsten geht die Rechnung schief.
WAMS: Als der Schützenpanzer Puma eingeführt wurde, gab es Probleme mit der hochkomplexen Bordelektronik, Bundeswehr und Industrie schoben sich gegenseitig die Verantwortung dafür zu. Kann das Zusammenspiel zwischen der Bundeswehr und den Rüstungsherstellern verbessert werden, auch direkt bei den Waffengattungen wie der Panzertruppe?
Tölke: Wenn man neue Großsysteme einführt, gibt es immer Kinderkrankheiten. Das haben wir bis jetzt bei nahezu allen Waffensystemen gehabt. Das ist auch ganz normal, glaube ich. Inzwischen ist es aber so, dass der Puma und die anderen eingeführten Waffensysteme Stand der Technik sind, zuverlässig laufen, durchsetzungsfähig sind, eigentlich genau das, was wir haben wollen. Kann man das im Rüstungsprozess optimieren? Optimieren kann man sicherlich. Allerdings sind wir mit dem Endergebnis, so wie es jetzt dasteht, für uns sehr zufrieden.
WAMS: Bei der Entwicklung neuer, hoch automatisierter Modelle, etwa dem Kampfpanzer „Panther“, sind vielleicht nur noch zwei Menschen an Bord anstelle von vier heutzutage beim Leopard. Wirkt die Panzertruppenschule bei Innovationen oder im Entwicklungsprozess beratend mit?
Tölke: Die zentrale Stelle ist für uns das Amt für Heeresentwicklung. Sicherlich stehen wir mit unserer Erfahrung des Truppenalltages mit Rat und Tat zur Seite. Aber wenn es letztendlich um die Idee der Weiterentwicklung geht, zeichnet dafür das Amt verantwortlich. Am Ende geht es uns darum, dass das Gesamtsystem der verbundenen Waffen funktioniert. Was brauchen wir für Einzelsysteme? Da gibt es viele kluge Ideen. Das Erste, was wir brauchen, ist durchsetzungsfähiges Gerät auf dem Stand der Technik von heute, dass gut vernetzbar ist. Und wenn es dann auch noch so einfach zu bedienen und zu erlernen ist, dass man schnell und gut Leute ausbilden kann, denke ich, haben wir alle Voraussetzungen erfüllt. Ob dann zwei oder drei Menschen das Gerät bedienen, ist eine nachrangige Frage.
WAMS: Es gibt eine neue, intensive Diskussion über Wehrpflicht oder Gesellschaftspflicht. Bekommen die Panzertruppen ausreichend diejenigen Frauen und Männer, die sie brauchen, um ihre Einsatzfähigkeit zu erhalten? In einer Situation, in der die Bundeswehr mit etlichen Arbeitgebern um die besten Kräfte konkurriert – und vielleicht auch die Waffengattungen in der Bundeswehr untereinander?
Tölke: Das Personal wird zentral verteilt durch das Bundesamt für Personalmanagement. Eine Konkurrenz zwischen den verschiedenen Teilstreitkräften oder Truppengattungen sehe ich da nicht. Man muss ja immer im Gesamtsystem denken. Wir brauchen ausreichend Personal, damit das System funktioniert. Es kann mal sein, dass einer mehr, einer weniger bekommt, aber am Ende geht es darum, das Gesamtsystem zum Laufen zu bekommen. Dass wir da als Waffengattung im Hintertreffen wären einer anderen gegenüber, das sehe ich derzeit nicht.
WAMS: Die Infrastruktur in Deutschland ist an vielen Stellen in einem schlechten Zustand. Es gibt Brücken, die können keine hohen Lasten mehr tragen. Wird dadurch zum Beispiel die Verlegung von schwerem Gerät wie Kampfpanzern oder Haubitzen beeinträchtigt?
Tölke: Ich glaube schon, dass man Infrastruktur anpassen und erneuern muss. Allerdings müssen wir auch sehen, dass die großen Truppenbewegungen, wie wir sie derzeit erwarten würden, mit Masse ohnehin über Eisenbahntrassen gingen und nicht über Autobahnbrücken. Insofern wird bei den Verkehrswegen sicherlich etwas angepasst und getan werden müssen. Aber wo im Detail, das kann ich nicht beurteilen.
Seit August führt Oberst Jörg Tölke, 56, die Panzertruppenschule Munster südlich von Hamburg, die zentrale Ausbildungsstätte der Bundeswehr für die Waffengattung, die auch am Deutschen Panzermuseum beteiligt ist. Tölke war unter anderem Referatsleiter im Bundesverteidigungsministerium, stellvertretender Kommandeur der Panzerbrigade 21 in Augustdorf, und im Einsatz in Afghanistan.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet regelmäßig über die Rüstungswirtschaft und auch über die Bundeswehr.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke