Wirtschaftsweise rügen die Bundesregierung scharf
Wer die Jahresgutachten des Sachverständigenrats für Wirtschaft der vergangenen Jahre nebeneinander legt, stellt erstaunliche Parallelen fest. Die Probleme, die die sogenannten Wirtschaftsweisen darin beschreiben, ähneln sich – was auch heißt: angepackt wurden davon bislang nur wenige.
Nun also, ein neuer Versuch. Mittwochmittag, Berlin-Mitte. Die fünf Ökonomen Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer, Achim Truger und Martin Werding halten ein 603 Seiten dickes Dokument mit dem Titel "Perspektiven für morgen schaffen – Chancen nicht verspielen" in die Kameras – ihr neues Jahresgutachten. Darin werden sie, wieder einmal, extrem deutlich. Das Schuldenpaket der Bundesregierung? Eine Art Mogelpackung, jedenfalls kein Investitionsbooster. Bürokratieabbau? Dauert zu lang. Und die Weltwirtschaft? Ist deutlich wettbewerbsfähiger als das teure Deutschland. Gerade einmal um 0,2 Prozent dürfte die Wirtschaft dieses Jahr wachsen – und das vor allem wegen Vorzieheffekten. Nächstes Jahr dürften es 0,9 Prozent werden – im günstigsten Fall.
"Die Herausforderungen sind nicht kleiner geworden", sagte die Vorsitzende Monika Schnitzer auf der Pressekonferenz am Mittwoch. Es sind gewaltige Hausaufgaben, die die Sachverständigen der Bundesregierung mitgeben. Im Großen und Ganzen fasst der Rat sie in vier Blöcken zusammen: Sondervermögen verbessern, Europa ausbauen, Unternehmenssteuern reformieren und Vermögensaufbau stärken. Für jedes Ziel nennt das Beratergremium dabei drei Herausforderungen und für jede Herausforderung wiederum drei konkrete Maßnahmen.
Wirtschaftsweise kritisieren Schuldenpaket
Bei ihrer Kritik stürzen sich die Wirtschaftsweisen dabei vor allem auf das 500 Milliarden schwere Sondervermögen (SVIK), das mit der alten Mehrheit im Bundestag zu Jahresbeginn beschlossen wurde, und das die neue Bundesregierung gerade aufsetzt. Das Urteil könnte kaum deutlicher ausfallen. "Unter dem derzeitigen Ausgabenpfad bleiben die positiven makroökonomischen Effekte gering", heißt es im Gutachten. In der Wissenschaftssprache bedeutet das: durchgefallen.
Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Mittelverwendung: Statt das Geld, wie vorgesehen, zu investieren, zeige sich der befürchtete Verschiebebahnhof. Davor hatten die Wirtschaftsweisen bereits in ihrem Frühjahrsgutachten gewarnt. Letztlich fließen geplante Investitionen aus dem Kernhaushalt ins Sondervermögen. Die frei werdenden Mittel im Kernhaushalt werden dann für Wahlgeschenke wie die Mütterrente genutzt.
Im Bundeshaushalt 2025 sinken die geplanten Investitionen so um 18,3 Milliarden Euro, während die SVIK-Ausgaben um 18,9 Milliarden Euro steigen. Netto sei das Investitionsniveau so nur minimal – und es droht sich in Zukunft ähnlich fortzusetzen. "Die Zusätzlichkeit der Ausgaben wird unterlaufen", schreiben die Ökonomen. Für die Länder und den Klima- und Transformationsfonds (KTF), die jeweils 100 Milliarden Euro aus dem SVIK bekommen, gibt es beispielsweise keine Regeln, mit der die Zusätzlichkeit der Mittel gewährleistet werden.

Reform Zündstoff Erbschaftsteuer: Dieses neue Gutachten erhitzt die Gemüter
capitalDazu kommt: Das vorhandene Geld wird auch noch schlecht eingesetzt. Im sogenannten "Länder- und Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz (LuKIFG)", das eigentlich eine Priorisierung und Zielgenauigkeit der Mittel sicherstellen soll, fehlen eben jene Punkte. Nicht einmal ein konsequentes Monitoring, wie die Mittel verwendet werden, sei abgesichert.
Das sei nicht nur bedauerlich, sondern verhindere Wachstum nahezu fahrlässig, urteilen die Wirtschaftsweisen. Grundsätzlich sei das Schuldenpaket nämlich zu begrüßen und habe großes Potenzial, Deutschland wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen – aber eben nur, wenn die Mittel auch ankommen und zusätzlich sind.
Jahresgutachten zeigt die alten Probleme auf
Daneben kritisieren die Sachverständigen eine Reihe bekannter, struktureller Probleme. Etwa, dass die demografischen Probleme nicht energisch genug angegangen werden. Rente, Gesundheit, Bildung – all diese Felder liegen unter der neuen Regierung weitestgehend brach. Letztlich spitzt der Rat hier nur die Kritik der Vorjahre weiter zu.

Wirtschaftsministerin Katharina Reiche und das Erbe von Ludwig Erhard
capitalDie Lösungsansätze sind ebenfalls wohlbekannt. Europa etwa sei der Ausweg aus dem geopolitischen Sturm. Dafür müssen Handelsbarrieren abgebaut – sowie ein gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt geschaffen und Verteidigungsfähigkeit aufgebaut werden.
Hohe Steuern, wenig Leistung
Aber auch Deutschland selbst muss sich verbessern. Die Steuerbelastung etwa ist zu hoch – gemessen am Rest der Welt, aber auch an dem, was Unternehmen dafür bekommen. Und die Steuern, die erhoben werden, wirken zudem investitionshemmend. Die Ökonomen schlagen etwa vor, Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung steuerlich gleichzubehandeln. Aktuell gebe es hohe steuerliche Anreize, Fremdkapital aufzunehmen – wodurch allerdings die Risiken bei Unternehmen und auf dem Finanzmarkt erhöht würden.

Deutsche Wirtschaft Wie bekommen wir da wieder Luft rein?
Statt die Gewinne simpel zu besteuern, schlagen die Wirtschaftsweisen eine sogenannte "Allowance for Corporate Equity" (ACE) vor, mit der Eigenkapitalkosten von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden können, ähnlich wie bei den Zinsaufwendungen für Fremdkapital. In Belgien führte dies dazu, dass Unternehmen ihre Eigenkapitalquote um drei Prozentpunkte auf 39 Prozent erhöhten. Aber: Unter einer ACE ist die Bemessungsgrundlage schmaler, da nur ökonomische Renten (abzüglich kalkulatorischer Kosten) und nicht der gesamte buchhalterische Gewinn der Steuer unterliegen. Dies führt zu einem geringeren Steueraufkommen. Außerdem dürfte die Bankenlobby wenig begeistert sein.
Vermögensaufbau stärken
In der Finanzszene dürfte allerdings der vierte Vorschlag auf offene Ohren stoßen. Denn die Experten schlagen gezielte Maßnahmen vor, um den Vermögensaufbau zu stärken. Was im vergangenen Jahr unter dem Stichwort "privates Altersvorsorgedepot" kursierte, befürworten die Ökonomen erneut. Dieses sollte nun bestenfalls direkt mit der geplanten Frühstart-Rente zusammen gedacht werden.
Außerdem sollten Ungerechtigkeiten bei Erbschaften und Schenkungen abgebaut werden. "Anstelle der bisherigen Freibeträge, die mehrmals in Anspruch genommen werden können, könnte ein Lebensfreibetrag für alle im Lebensverlauf kumuliert erhaltenen Vermögensübertragungen eingeführt werden", schlagen die Ratsmitglieder vor. Der Status quo führe zu Steuergestaltung und erschwere soziale Aufstiege. "Hohe Betriebsvermögen werden in vielen Fällen annähernd oder komplett steuerfrei übertragen", stellen die Ökonomen fest. Eine stärkere Ausrichtung am Leistungsfähigkeitsprinzip sei dringend nötig.
Capital ist eine Partnermarke des stern. Ausgewählte Inhalte können Sie mit Ihrem stern+ Abo sehen. Mehr aus Capital finden Sie auf www.stern.de/capital.
- Wirtschaftsweise
- Wirtschaftswachstum
- Bundesregierung
- Deutschland
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke