Es sieht eng aus in dem Sitzungsraum in Luxemburg. Männer in Anzug und Krawatte sitzen um den Konferenztisch, Frauen im Kostüm. Dahinter sitzen und stehen in der zweiten Reihe noch einmal genauso viele Leute, auch in Anzügen; die Stühle reichen nicht für alle.

Mitten in der Szene, veröffentlicht auf einem Foto auf X (vormals Twitter), sitzt eine Frau mit schwarzen Haaren, auf die Unterlagen vor sich hat sie ein Tablet mit Tastatur gestellt: Es ist die deutsche Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU). Sie nahm am Montag in Luxemburg am Treffen der sogenannten Nuklear-Allianz teil, einer Gruppe von EU-Staaten, die sich – anders als Deutschland – dem Ausbau der Atomenergie verschrieben hat.

Schon einmal, im Juni, war sie dabei – und erntete prompt Kritik von ihrem Kabinettskollegen, Umweltminister Carsten Schneider (SPD). Der hatte die Teilnahme der CDU-Politikerin als Alleingang und nicht im Sinne der Bundesregierung dargestellt. Jetzt hat Reiche es wieder getan.

Bei den Grünen sorgte der erneute Auftritt für Aufsehen. „Reiche kümmert sich in Europa um Atomkraft, in die bei uns niemand investiert. Wir brauchen endlich eine Wirtschaftsministerin für die boomenden Erneuerbaren“, schrieb Sven Giegold, stellvertretender Grünen-Bundesvorsitzender und ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium auf „Linkedin“. Für die erneuerbaren Energieformen stehe viel auf dem Spiel, die EU arbeite an der „Aushöhlung der Green-Deal-Gesetze“. Das sei nicht im deutschen Interesse, schrieb Giegold. Was ihn besonders stört: Parallel zur Nuklear-Allianz tagte in Brüssel eine Ministerrunde für Erneuerbare Energie – ohne Reiche.

Eine Sprecherin des Wirtschafts- und Energieministeriums (BMWE) wiegelt auf WELT-Anfrage hin ab: „Das BMWE war auch beim parallelen Treffen zum Thema Erneuerbare Energien vertreten.“ Nur eben nicht durch die Ministerin. Reiche tausche sich „am Rande des EU-Energieministerrats mit allen Ländern in verschiedenen Formaten aus“, erklärte die Sprecherin weiter.

Im Ministerium versucht man, die Bedeutung der abermaligen Teilnahme an der Atom-Runde herunterzuspielen. Reiche habe den Kreis nur besucht, um dort bei einer Vorstellung der deutsch-französischen Wirtschaftsagenda anwesend zu sein. Die Präsentation wiederum erledigte ihr französischer Amtskollege. Unmittelbar danach habe sie das Treffen wieder verlassen.

Nuklear-Allianz will neue Atomkraftwerke

Auf dem Foto der Runde ist sie dennoch zu sehen. Der ungarische Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó verknüpfte das Foto auf X mit einer deutlichen Botschaft an alle Gegner der Atomenergie: „Egal, wie sehr sie versuchen, Druck auf uns auszuüben, die meisten EU-Mitgliedstaaten nutzen Kernenergie. Nur so können die niedrigen Versorgungskosten in Ungarn gesichert werden.“

In Deutschland ist eine Rückkehr zum Atomstrom für die Regierung kein Thema. Umweltminister Schneider hatte nach Reiches erstem Besuch bei den Atomstaaten von einer „Einzelentscheidung meiner Ministerkollegin“ gesprochen. Auch in der SPD hatte die Annäherung für deutliche Kritik gesorgt. Jetzt will sich Schneider nicht noch einmal äußern. Im Umweltministerium sieht man Reiches Aktion als Privatvergnügen an, das nicht auf der Linie der Bundesregierung liegt.

Die Nuklear-Allianz hatte sich 2023 gegründet. Zu den Mitgliedern zählen unter anderem Frankreich, Belgien, Finnland, Polen und die Tschechische Republik. Die Länder streben gemeinsam einen Ausbau der Atomkraft in Europa an, auch um die Klimaziele zu erreichen. Bis 2050 solle die Kapazität von Reaktoren in der EU von heute 100 Gigawatt auf 150 Gigawatt steigen, heißt es im Gründungspapier. Das entspreche 30 bis 45 neuen Reaktoren.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.

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