MDR AKTUELL: Herr Prof. Häfner, wie steht es um die Innovationskraft deutscher Unternehmen? 

Constantin Häfner: Früher waren deutsche Firmen oft ganz vorne mit dabei, aber der Schwung lässt nach und andere holen auf. Das sieht man auch an den schlechteren Platzierungen im internationalen Ranking. Das ist einfach reflektorisch, dass die Welt sich verändert hat und dass das klassische exportgetriebene Geschäftsmodell von Deutschland nicht mehr so gut funktioniert. 

Also stimmt letztlich der Eindruck, dass Deutschland nicht mehr in der ersten Liga spielt?

Ich würde es differenzierter bezeichnen: Wir spielen in der ersten Liga, aber nicht auf allen Positionen. Und unsere Torausbeute ist vielleicht etwas zu gering. Wir sind weiterhin Weltklasse, gerade wenn es um physikalische Präzision, industrielle Anwendung oder den Anlagenbau geht. Aber wir sind eben auch nicht mehr in allen Bereichen ein global wettbewerbsfähiger Standort.

Wir spielen in der ersten Liga, aber nicht auf allen Positionen. Und unsere Torausbeute ist vielleicht etwas zu gering.

Für uns spricht: Wir sind nach wie vor bei Patenten Weltspitze. Wir sind das führende Herkunftsland für europäische Patentanmeldungen, weltweit sind wir auf dem zweiten Platz. Das zeigt: Unsere Forschung liefert exzellente Ideen. Fraunhofer zum Beispiel ist erneut unter den Top 20-Anmeldern und wir sind auch stark im Digitalen. Selbst bei Computertechnologie und der KI liegen wir global auf dem dritten Platz nach den USA und China. Wir verzeichnen dort auch ein starkes Wachstum von mehr als 12 Prozent bei den Patenten. 

Beim Thema KI redet eigentlich kaum jemand über Deutschland. Gibt es möglicherweise ein Problem, diese Forschung, von der Sie gesprochen haben, in die Wertschöpfung zu überführen?

Das würde ich so gar nicht beschreiben. Zunächst einmal hängt die Wahrnehmung hinterher, weil unsere Stärken in Deutschland sehr komplex und wir eine Business-to-Business orientierte Gesellschaft sind. Das heißt: Wir sind nicht auf dem Smartphone sichtbar. Alles, was wir jetzt in der KI erleben, sind die Large Language Modelle, die in den Suchmaschinen aktiv werden. Aber in unserem Maschinenraum, da laufen Innovationen in den Laboren. Da tut sich auch massiv viel.

Es ist ein wenig die Diskrepanz zwischen der gebremsten Wahrnehmung und den laufenden Innovationen. In der Quantentechnologie zum Beispiel bauen wir das Fundament der Zukunft selbst. Da müssen wir uns jetzt tatsächlich gut aufstellen, die Technologien bringen, dann werden wir zum generellen Technologielieferanten für die Welt. 

Wie groß ist denn die Nachfrage von Unternehmen? Wie ist Fraunhofer hier aufgestellt und in welchen Feldern können Sie tatsächlich wieder Weltspitze werden? 

Die Nachfrage aus der Industrie ist sehr, sehr hoch. In Jülich haben wir den Quantensupercomputer. Das ist ein ganz wichtiges, zentrales Hardware-Element sozusagen. Da kommt eine hohe Nachfrage, insbesondere auch in den KI-Themen. Insbesondere fragen die Unternehmen nach industrieller KI zur Prozessoptimierung. Und in der Chemie- und Pharmaindustrie sind zum Beispiel die Quantenstimulationen wichtig für extrem komplexe Probleme, um sie zu beenden.

Wir konzentrieren uns dann wirklich auf die industrielle KI. Insbesondere dort haben wir auch die Datenstruktur. Die Daten liegen bei uns, bei den Unternehmen und sind natürlich nach außen nicht frei verfügbar, so wie jetzt das Internet, auf dessen Basis die existierenden Large Language Models (LLM) trainiert worden sind. Dann schaffen wir mit Projekten, wie zum Beispiel "OpenGPT-X" die Basis für eigene und vertrauenswürdige Modelle, um eine digitale Souveränität zu garantieren. 

Was genau ist das? 

Das ist zum Beispiel das "Teuken 7B". Das ist ein eigenes LLM und wir trainieren diese Modelle. Wenn wir zum Beispiel Bleche schweißen, was ganz einfach ist. Jede Firma hat ein proprietäres Wissen darüber, wie man das macht, welche Fläche man nimmt, welche Einstellungen man an den Maschinen vornimmt, damit der Prozess optimal läuft. Mit der KI kann man das alles sehr viel schneller machen. Wir gewinnen dadurch Agilität, sind dann damit schneller auch am Markt. 

Welche Bereiche müssen uns noch interessieren? Wo sind wir möglicherweise in Deutschland innovativer, als viele denken? 

Ich denke, die sind jetzt zum Beispiel auch adressiert worden durch die Hightech-Agenda der Bundesregierung. Das ist eine absolut wichtige Weichenstellung und deswegen gehen wir diese Themen an. Das sind die sechs Schlüsseltechnologien: KI, Mikroelektronik, Kernfusion, Mobilität, Biotechnologie. Die Hightech-Agenda sieht 18 Milliarden Euro über die nächste Legislatur vor. Das ist schon eine Ansage. Es ist mutig und das finde ich gut. 

Lassen Sie uns bei der Kernfusion bleiben. Es gibt die Vision, dass Deutschland den ersten funktionierenden Reaktor in dieser Technologie herstellen könnte. Wie groß ist das Potenzial als technologisches Alleinstellungsmerkmal in der Forschungswelt? 

Bei der Kernfusion müssen wir Folgendes betrachten: Auf der einen Seite sind wir bei der Magnetfusion in der Grundlagenforschung absolute Weltspitze. Auf der anderen Seite, in der Laserfusion, sind wir Weltspitze in der Hochleistungslaser- und Optiktechnologie. Unsere Industrie ist tatsächlich führend, und das ist die Schlüsselkompetenz für die Laserfusion. Man muss aber Laserfusion langfristig denken, denn es ist eine Wette auf die Zukunft. Diese Wette zahlt sich aber nicht erst beim Durchbruch aus – wenn also tatsächlich der erste Reaktor steht –, sondern sie schafft sofort neue, auch hochprofitable Spillover-Märkte. Also in der Zulieferindustrie.

Die Entwicklung dieser Fusionsanlagen erfordert wirklich tausende von Hochpräzisionskomponenten. Und Deutschland kann dann zum globalen Zulieferer und Anlagenbauer werden für diesen Zukunftsmarkt. Und es gibt den Technologietransfer. Nehmen wir die Hochleistungslaser: Die kommen sofort der Industrie zugute – nicht nur in der Fertigung, sondern in ganz vielen neuen Gebieten, die heute noch nicht erschlossen sind. Ich sage immer: Es wird irgendwann den Laser-Toaster geben. Die Laser werden so billig werden, dass wir Toaster nicht mehr mit Glühdrähten bauen, sondern mit Lasern.

Wird das alles überlagert von der Krise in der Automobilindustrie, sodass niemand wahrnehmen kann, was sich dahinter entwickelt? 

Die Automobilindustrie transformiert sich derzeit ganz gewaltig und auch hier sind neue Investitionen, neue Technologien notwendig. Das passiert in einem atemberaubenden Tempo. Ich glaube, dass die deutsche Automobilindustrie hervorragend aufgestellt ist für die Zukunft. Sie hat vielleicht etwas spät angefangen. 

Ich glaube, dass die deutsche Automobilindustrie hervorragend aufgestellt ist für die Zukunft.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung? Alle reden darüber, dass die Automobilindustrie den Zug verpasst hat, dass sie die Transformation nicht so richtig hinbekommt, dass andere sehr viel schneller sind und dass wir möglicherweise zum Verbrenner zurückkehren. 

Zurückzukehren zum Verbrenner ist, glaube ich, eine strategische Entscheidung, weil der Markt derzeit die neuen Automobile noch nicht ausreichend annimmt. Insgesamt ist es aber klar, dass es in diese Richtung gehen wird. Und die Profitabilität in der Produktionstechnik der Automobilindustrie ist bei weitem höher und besser als bei vielen Mitbewerbern auf dem internationalen Markt. Deswegen glaube ich, dass die deutsche Automobilindustrie nach wie vor hervorragend aufgestellt ist. Aber sie ist in dieser Transformationskrise. Das heißt, dass die Wertschöpfungstiefe im Automobilbau abnimmt. Das ist eben der Nachteil des Elektroantriebes. 

Was genau meint der Wissenschaftler mit der Wertschöpfungstiefe? 

Wenn Sie sich einfach die Anzahl der Komponenten, die Sie in einem Auto haben vorstellen, dann sehen Sie, dass in dem Elektroantrieb sehr viel weniger Komponenten benötigt werden. Damit nimmt die Wertschöpfungstiefe ab. Auf der anderen Seite verlagert sich die Wertschöpfung in die digitalen Komponenten. Das heißt also in das Erleben des Autofahrens, in den Innenraum. Auch hier sind wir eigentlich ganz gut aufgestellt. Auch Fraunhofer hat hier sehr viele Technologien, die Ihnen heute im Auto schon begegnen, zum Beispiel "das hörende Auto".

Aber wir sind bei der digitalen Umstellung etwas spät gekommen. Und jedes Mal, wenn sie Change machen, kostet das Geld. Sie müssen sich strukturell und strategisch verändern. Da sind wir vielleicht etwas verwöhnt gewesen in den vergangenen Jahren, dass wir uns nicht zu genügend angestrengt haben, immer vorne dabei zu sein und den Wandel mitzugehen. Nur wenn Sie schnell und agil sind, dann sind Sie eben vorne- Ich glaube aber, wir werden das gut schaffen und dann auch wieder wettbewerbsfähig sein. 

Was machen denn Wirtschaftsmächte wie die USA oder China besser bzw. anders als Deutschland? 

Die amerikanischen und die chinesischen Märkte sind grundsätzlich sehr verschieden. Der chinesische Markt ist ein sehr stark top-down-orientierter Markt. Der amerikanische Markt ist ein sehr liberaler Markt. In einem liberalen Markt haben Sie eine sehr starke Vernetzung zwischen Venture Capital. Das heißt, Sie gehen sehr schnell in die Skalierung. Die Skalierung ist etwas, was wir in Deutschland bisher nicht so gut können. Wir sind sehr stark in der Innovation, wir sind sehr stark in der Forschung, wir haben auch sehr hohe Ausgaben für die Forschung und die Entwicklung. Aber dann, wenn es darum geht, in die Skalierung zu gehen, sind wir noch nicht so gut. Da müssen wir tatsächlich besser werden.

Das Interview führte Sven Kochale.

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