Und dann weist Baerbock einen arabischen Journalisten zurecht
Als Annalena Baerbock kurz nach 12 Uhr Ortszeit vor die Kameras der Welt-Öffentlichkeit tritt, macht ihre Pressesprecherin gleich zu Beginn klar: Heute wird es keine große Gelegenheit für Interviews geben. Drei kurze Fragen seien zugelassen, hier im Forum des Hauptsitzes der Vereinten Nationen in New York, wo sich dutzende Journalisten und Kamerateams eingefunden haben. Der Terminkalender der neuen Präsidentin der UN-Vollversammlung sei heute leider sehr eng.
Wenige Minuten davor hatte Baerbock von ihrem Vorgänger, Philémon Yang aus Kamerun, den symbolischen Holzhammer der Vereinten Nationen in Empfang genommen. Sie hat nun das protokollarisch höchste Amt bei der UNO inne. Im weißen Hosenanzug legte sie den Schwur ab, dann ging es nach kurzer Unterbrechung vor die Kameras.
Drei Minuten dauert das, was Baerbock der internationalen Presse zu sagen hat. Ihre Sätze wirken dabei auswendig gelernt, teilweise liest sie ab. Versprecher aber – wie bei anderen Reden auf Englisch zuvor – leistet sich die ehemalige Bundesaußenministerin keine. Zunächst spult Baerbock das diplomatische ABC ab, betont, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit sei, kommt dann auf das Motto der neuen Legislatur zu sprechen, das da heißt „Better together“.
Dann aber wird es konkreter. Baerbock spricht vier aktuelle Konfliktherde an: Zunächst Gaza, Ukraine und den Sudan – Länder, in denen seit nunmehr Jahren Krieg herrscht, ohne, dass sich eine schnelle Friedenslösung andeutet. Als viertes, für viele wohl überraschend, wird Haiti genannt. Dort herrscht kein Krieg. Doch im Zuge der Nachwehen des mörderischen Erdbebens im Jahr 2010, hat sich dort eine Gewaltherrschaft nahe der Anarchie etabliert. Gangs kontrollieren große Teile des Landes, internationale Helfer und Diplomaten haben das Land verlassen, ebenso wie zehntausende Haitianer, die Zuflucht in den USA suchen. In allen vier Konflikten habe die UN „nicht geliefert“, findet Baerbock. Das sei „ein Versagen“ der Weltgemeinschaft.
Generell spart sie nicht mit Kritik an der UN. Diese befinde sich am Scheideweg: finanziell und politisch. Über Wladimir Putin oder Xi Jinping wird Baerbock hingegen nicht sprechen. Auch nicht über Donald Trump, der den UN kürzlich die Mittel gekürzt hat und immer wieder deutlich machte, dass er von dem Gremium herzlich wenig hält. Schließlich sagt Baerbock einen Satz, über den wohl noch zu sprechen sein wird: Die UN müsse fit werden fürs 21. Jahrhundert.
Die Gelegenheit nachzufragen, was sie damit meine und was denn in den vergangenen 25 Jahren passiert ist, ergreifen die drei Journalisten, denen es erlaubt wird, eine Frage zu stellen, jedoch nicht. Stattdessen drehen sich alle drei Fragen – darunter zwei arabischsprachige Medien, die aufgerufen werden – um den Nahost-Konflikt.
Die UN werde liefern, kündigt Baerbock an
Die erste Frage stellt eine Reporterin von Al Jazeera, sie will ein Statement zum jüngsten israelischen Luftangriff auf ranghohe Hamas-Mitglieder in Katar. Baerbock antwortet – und es wird klar, dass sie mit genau dieser Frage gerechnet hat. Wieder ist ihr Statement zum Teil abgelesen, wirkt hölzern. „Die Eskalation von heute ist offensichtlich besorgniserregend“, sagt sie. „Die Souveränität und territoriale Integrität aller Mitgliedstaaten muss respektiert und darf von keinem Mitgliedstaat verletzt werden.“
Dann ruft Baerbock alle Parteien zu höchster Zurückhaltung auf, wie es die UN-Charta erfordere. „Wir brauchen keine weiteren Spannungen in der Region“. Es folgt eine Aussage, wie sie schon oft davor zu hören war und die angesichts des schwelenden Konflikts in der Region vorerst wohl ein frommer Wunsch bleiben dürfte: Es müsse intensive diplomatische Bemühungen in Richtung eines sofortigen und dauerhaften Waffenstillstands geben sowie eine Verbesserung der humanitären Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen durch die israelische Regierung, so Baerbock. Die Hamas müsse zudem alle Geiseln in ihrer Gewalt freilassen.
Die zweite Frage eines Reporters, der sich als Abdelhamid Siyam von der arabischsprachigen Tageszeitung „Al Quds“ vorstellt, zielt auf eine angebliche Äußerung Baerbocks in ihrer Zeit als deutsche Außenministerin ab. Ob es sich dabei um jenen Abdelhamid Siyam handelt, der heute als Professor in New York arbeitet und nach eigenen Angaben mehre Jahre selbst „Spokesperson“ bei den UN war, bleibt zunächst unklar.
Laut Siyam jedenfalls, habe Baerbock einst gesagt, dass es vertretbar sei, dass Israel im Gazastreifen zivile Ziele bombardiere, beispielsweise Krankenhäuser. Ob sie sich heute davon distanziere, will er wissen. Ohne auf den Nahost-Konflikt näher einzugehen, antwortet Baerbock kurz und präzise. Diese Äußerung sei so nie gefallen, stellt sie klar. Sie bitte darum, in Zukunft von der Presse doch richtig zitiert zu werden, weist sie den Reporter an. Der wiederum sagt daraufhin nichts.
Die „stürmischen geopolitischen Zeiten“, von denen Baerbock noch vor wenigen Tagen sprach – sie bekommt sie schon am Tag Eins ihrer Präsidentschaft zu spüren. In der anschließenden Rede, die Baerbock im berühmten Sitzungssaal der UN vor dem grünen Marmor hält, streift die neue Präsidentin die zuvor erwähnten Konflikte nur. „We will unite to deliver“ – man werde gemeinsam liefern, dieses Mantra wiederholt sich in der Ansprache mehrfach.
„Es gibt keine Alternative. Die Welt braucht die UN“, sagt die Ex-Ministerin. „Die Welt ist in Schmerz. Aber ohne die UN wäre der Schmerz noch größer“. 26 Millionen Kinder beispielsweise hätten ohne die UN keinen Zugang zu Bildung, 125 Millionen nicht genügend zu essen. Dann folgen etliche Floskeln, bei denen Baerbock jede Silbe einzeln betont. „It will not be esay“, sagt sie beispielsweise. Oder: „It takes courage, to stand up.“
Im letzten Drittel der Rede macht Baerbock eine Andeutung, an die man sich wohl noch erinnern wird. Vielleicht werde man sich wundern, wenn dem scheidenden UN-Generalsekretär António Guterres das erste Mal eine Frau im Amt nachfolgen werde, sagt sie. Wer dafür infrage komme – vielleicht sie selbst – lässt Baerbock offen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.
Jan Klauth ist US-Korrespondent mit Sitz in New York.
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