Bettina Orlopp neigt kaum zu übertriebener Euphorie. Am vergangenen Mittwoch aber gab sich die Chefin der Commerzbank fast schon überschwänglich. Da präsentierte sie nicht nur das „beste operative Ergebnis in der Geschichte“, sondern blickte auch optimistisch in die Zukunft. Mit ihrer „Momentum“ betitelten Strategie sei die Bank zuletzt gut vorangekommen.

Das gelte auch für einen zentralen Punkt: den Abbau von 3900 Vollzeitstellen bis 2028. Dabei setzt die Bank auf Altersteilzeit und Vorruhestand – und damit auf „bewährte Instrumente“. Die hierzu mit den Arbeitnehmern ausgehandelten Angebote richten sich an Beschäftigte, die 1968 oder früher geboren sind. Eigentlich hätten diese also noch zehn Jahre im Job vor sich.

Das Commerzbank-Programm steht stellvertretend für einen verbreiteten Widerspruch. Im Einklang mit Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) fordern auch viele Manager, dass die Deutschen länger arbeiten sollten. Gleichzeitig sieht die Realität in den von ihnen geführten Unternehmen anders aus. Ausgefeilte Programme sollen ältere Beschäftigte zum frühzeitigen Abschied motivieren und werden angesichts fehlender Perspektiven nur allzu gerne angenommen.

Banken zählen zu den Branchen, in denen der Trend zum vorzeitigen Ausstieg besonders ausgeprägt ist. Dabei könnten die meisten Beschäftigten ohne Weiteres bis zum regulären Renteneintrittsalter aushalten. Schließlich ist ihre Arbeit weder körperlich noch psychisch außergewöhnlich belastend.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stuft sie in beiden Dimensionen sogar beim Minimalwert ein. Die gleiche Erhebung kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem weniger strapazierte Menschen die Option nutzen, nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente zu gehen.

„Nicht die Malocher hören früher auf, sondern vor allem Büroangestellte oder Beschäftigte im öffentlichen Dienst“, sagt Ökonom Marcel Thum vom Ifo-Institut. Ein Grund: Viele, die in der Industrie, im Handwerk, dem Handel oder der Pflege gearbeitet haben und nun nahe dem Rentenalter sind, hatten teilweise Phasen der Arbeitslosigkeit – kommen also gar nicht auf 45 volle Beitragsjahre.

Schon als die Rente mit 63 eingeführt wurde, habe es drastische Warnungen aus der Wissenschaft gegeben, sagt Thum. „Die Politik wollte den einfachen Arbeitern etwas Gutes tun. Heute aber stellt sich heraus, dass vor allem andere Berufsgruppen profitieren.“

Dabei spiele auch ein „Einkommenseffekt“ eine Rolle. Für gut verdienende Angestellte sei es viel einfacher, früher aufzuhören. Das trifft beispielhaft auf viele Beschäftigte von Banken zu. „Wer es sich leisten kann, hört auf“, sagt Jan Duscheck, Leiter der Fachgruppe Bankgewerbe bei der Gewerkschaft Verdi. Als Gründe dafür nennt er aber nicht nur ein ausreichendes finanzielles Polster, sondern auch die hohe Arbeitsverdichtung, die häufigen Umstrukturierungen und die technologischen Veränderungen. Oft kämen alle drei Faktoren zusammen. „Bei Initiativen zur Digitalisierung wird häufig zunächst Personal abgebaut, bevor die neuen Prozesse erprobt sind“, sagt Duscheck.

Bankangestellte drängen in den Vorruhestand

Wenn eine Bank ein Abbauprogramm starte, gelinge es deshalb meistens problemlos, eine ausreichende Zahl von Interessenten für den vorzeitigen Ausstieg zu finden. Dass Beschäftigte noch mit zusätzlichen Boni wie „Sprinterprämien“ versüßt werden, wirkt angesichts der demografischen Entwicklung zumindest erstaunlich.

Prognosen gehen davon aus, dass sich in den kommenden fünf Jahren jeder dritte Beschäftigte altersbedingt aus den Banken verabschiedet. Die Erkenntnis, dass sich die Unternehmen stärker damit beschäftigen müssen, welche Fähigkeiten sie künftig an welcher Stelle benötigen, setze sich erst allmählich durch. „Personalplanung war in Banken lange vor allem Abbauplanung“, sagt Duscheck.

Auch in der Politik ist bisher keine Trendwende erkennbar. Der aktuelle Koalitionsvertrag schreibt die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren fest, das Rentenniveau wird vorerst garantiert – was deutliche Beitragssteigerungen zur Folge hat. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte im Wahlkampf noch weitreichende Sozialreformen gefordert, nun drückt sich der Regierungschef jedoch vor klaren Aussagen. Statt die Forderung aus dem CDU-Grundsatzprogramm umzusetzen, wonach die Arbeitszeit an die Lebenszeit angepasst werden müsste, wird auf die neue Rentenkommission verwiesen, die im Herbst ihre Arbeit aufnehmen soll.

Dabei steigt der Druck, auch aus den eigenen Reihen. Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, kritisierte jüngst, dass die Regierungsparteien „Angst vor den Boomern“ hätten. SPD und CDU wollen offenbar lieber junge als alte Wähler verprellen. Die Generationen, denen die steigenden Beitragslasten aufgezwungen werden und die keine Garantie des Rentenniveaus bekommen, haben die Regierungsparteien ohnehin nur selten gewählt. Reformen, auf die Ökonomen angesichts der wackeligen Finanzierungslage drängen, bleiben also aus.

Das lässt sie nicht verstummen. Höhere Abschläge, die den vorgezogenen Renteneintritt unattraktiver machen, seien überfällig, meint Ifo-Ökonom Thum. Mit „Ein Weiter so ist keine Lösung“ ist ein Forderungskatalog überschrieben, den er gemeinsam mit dem Ökonomen Joachim Ragnitz und dem Wirtschaftsweisen Martin Werding an die Bundesregierung adressiert hat. Bisher stieß er damit auf taube Ohren.

Coaching für ältere Mitarbeiter

Damit die Reformen ihre Wirkung entfalten, muss es aber auch eine ausreichende Zahl von Jobs für Ältere geben. Die Banken sehen sich hier dank spezieller Weiterbildungsprogramme auf richtigem Weg. Die Commerzbank verweist darauf, dass von ihr angebotene „Sensibilisierungsformate zu Vielfaltsthemen“ auch das Zusammenwirken zwischen den Generationen thematisieren.

Die Deutsche Bank nennt unter anderem „Reverse-Mentoring-Programme“, bei denen jüngere Mitarbeiter erfahrenere Kollegen coachen. Und die genossenschaftliche DZ Bank erklärt, dass alle Altersstufen am internen „Potenzialförderprogramm“ teilnähmen, in neue Rollen wechselten oder ihre Arbeit im Jobsharing neu organisierten.

Also alles bestens? „Echte Aufbauqualifizierung und gezielte Entwicklung sind immer noch die Ausnahme“, sagt Gewerkschafter Duscheck. Natürlich lasse sich ein erfahrener Kundenberater nicht ohne Weiteres zum Softwareingenieur umschulen. Aber mit etwas mehr Anstrengung ließe sich deutlich mehr erreichen. Die erforderlichen Qualifikationen würden jedoch häufig eher am Markt eingekauft als intern entwickelt. Viele ältere Beschäftigte hätten deshalb das Gefühl, dass ihr Potenzial nicht mehr gesehen werde, und suchten früh das Weite.

SPD schließt höheres Renteneintrittsalter aus

Dabei setze jeder Beschäftigte, der aufhöre zu arbeiten, obwohl er es nicht muss, das Rentensystem weiter unter Druck, warnen die Ifo-Ökonomen. „Im Koalitionsvertrag steht nichts, was den Anstieg der Rentenbeiträge bremsen könnte. Das, was helfen könnte, wird ausgeschlossen“, kritisiert Thum. Am Mittwoch hat das Kabinett das sogenannte Rentenpaket verabschiedet.

Ein höheres Renteneintrittsalter schloss die SPD kategorisch aus. Dass sich die Partei keinen Millimeter bewegt, liegt auch an den einflussreichen Gewerkschaften und Sozialverbänden. Anja Piel, Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), lässt keine Gelegenheit aus, um vor einer „Rentenkürzung durch die Hintertür“ zu warnen. Unfreiwillig stützen die Unternehmen mit ihrer Politik diese Sichtweise. Wenn schon jetzt kaum ein Arbeitnehmer bis zum regulären Renteneintrittsalter dabei bleibt, so das Argument, werde das auch künftig kaum der Fall sein.

Ökonom Thum weiß um die Widerstände gegen seine Forderungen. „Es gibt keine politische Maßnahme, die so unpopulär ist wie die Anhebung des Rentenalters – auch wenn man selbst gar nicht betroffen ist“, sagt er. Und hofft doch, dass sich die Vernunft irgendwann durchsetzt.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit „Business Insider Deutschland“.

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