Palantir - das Auge, das alles sieht
Die CIA jagt damit Terroristen, das FBI Verbrecher: Big-Data-Software des Tech-Riesen Palantir. Auch die deutsche Polizei will sie einsetzen. Doch Palantir-Chef Alex Karp lässt keinen Zweifel an seiner eigentlichen Mission. Er sieht sich als KI-Krieger in Donald Trumps Diensten.
Als an einem trüben Dezembertag vor drei Jahren in Frankfurt die Handschellen klickten und Heinrich XIII. Prinz Reuß verhaftet wurde, sorgte der Schlag gegen die "Reichsbürger"-Szene bundesweit für Aufsehen. 3000 Beamte hoben bei Razzien in elf Bundesländern eine mutmaßliche Terrorgruppe aus, die geplant haben soll, mit Waffen den Bundestag zu stürmen. Nicht nur Reuß, sondern insgesamt 25 Menschen wurden festgenommen und stehen inzwischen vor Gericht.
Doch der stille Ermittler, der die Operation zum Erfolg machte, ist in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt. Erst ein halbes Jahr später bestätigte die Polizei seinen Beitrag. Der Superpolizist ist nicht etwa erfahrener Veteran, sondern erst seit Kurzem im Einsatz. Und auch kein Mensch, sondern ein Computerprogramm: HessenData, eine Analyseplattform auf Basis von Software des US-Tech-Riesen Palantir, mit dem deutsche Ermittler nach Kinderschändern, Terroristen, Clan-Kriminellen und Drogenhändlern fahnden.
HessenData habe bei der Reuß-Razzia geholfen, das "Beziehungsgeflecht der beteiligten Personen rund um einen der Hauptverdächtigen […] in der nötigen Geschwindigkeit zu erkennen und relevante Verbindungen darzustellen", teilte das hessische Innenministerium mit. Es nutzt das System schon seit 2017, Polizei in NRW seit 2020. Auch ein islamistischer Anschlag soll so verhindert und Millionen Daten von Pädophilen auf sichergestellten Laptops und Handys durchsucht worden sein.
Auch Berlin, Baden-Württemberg, das BKA, die Bundespolizei und der Zoll erwägen den Einsatz. Eine gemeinsame, automatisierte Analyseplattform in Bund und Ländern ist im Kommen. Auch wenn der Name Palantir dabei bislang nicht fällt, soll es wohl auf die Software des US-Tech-Konzerns hinauslaufen. Sie ist nicht nur das Spionagewerkzeug von Geheimdiensten und hat das Potential zur illegalen Massenüberwachung. Sie birgt die Gefahr, dass Deutschland den Interessen von Donald Trumps immer autoritärerer Regierung und ihren neoreaktionären Tech-Milliardären ausgeliefert wird.
Das Auge, das die Wahrheit sieht
Die deutsche Polizei braucht dringend eine moderne Big-Data-Software im Kampf mit organisierter Kriminalität. Denn bei komplexen Ermittlungen fallen immer größere Datenmengen an, "die in der gebotenen Zeit ohne entsprechende digitale Ermittlungswerkzeuge nicht effektiv aufbereitet und ausgewertet werden können", sagt Hessens Innenminister Roman Poseck. Der Nutzen der Palantir-Software für die Bewältigung von Massendaten sei unbestritten, sagt auch der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.
Deshalb kommt Palantir ins Spiel: die Analyse riesiger Datenmengen in Echtzeit ist die Kernleistung des Konzerns. Benannt ist er nach den unzerstörbaren, magischen Kristallkugeln aus der "Herr der Ringe"-Trilogie, mit denen die Zauberer und Könige aus Isengard, Gondor oder Mordor in die Zukunft schauen und auf einen Blick die Wahrheit erkennen können. Die Sehersteine sind Augen, denen nichts entgeht. So wie Palantirs Software, die den Blick auf das Wesentliche eröffnet.
"KI-gestützte Automatisierung jeder Entscheidung" verspricht die Firma. Mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz machte Palantir damit im zweiten Quartal des Jahres, und erwartet insgesamt mehr als vier Milliarden Dollar in diesem Jahr. Das Geschäft mit privaten Firmen hat sich in einem Jahr nahezu verdoppelt. Die operative Gewinnmarge liegt bei gut einem Drittel. Mehr als 250 neue Verträge hat Palantir allein in den letzten drei Monaten abgeschlossen.
Palantirs Foundry-Software ist aus großen US-Konzernen kaum mehr wegzudenken. Sie sammelt, vernetzt, synchronisiert und visualisiert Daten aus verschiedenen Quellen in einem zentralen Interface, macht so Muster und Trends sichtbar und Simulationen in Echtzeit möglich. JP Morgan identifiziert damit etwa Hypothekenbetrug, Banken nutzen sie zur Prävention von Geldwäsche, Terrorfinanzierung und zur Compliance. BP und Exxon überwachen damit ihre Ölreservoirs.
Spionagewerkzeug der US-Geheimdienste
Noch wichtiger als Foundry ist Gotham - laut Palantir ein "Betriebssystem für militärische Entscheidungsfindung". Nahezu alle großen US-Sicherheitsbehörden nutzen sie bereits seit Jahren, vom FBI über die CIA und NSA bis zum Pentagon. Auch HessenData, das nun womöglich zur zentralen Big-Data-Plattform der deutschen Polizei werden soll, basiert auf Gotham. Die Software hilft Ermittlern und Militärs durch den Nebel des Krieges zu schauen, indem sie etwa Satellitendaten, Telekommunikation und Truppenbewegungen an einem Ort integriert.
Tausende Terroristen sollen dank Gotham schon "eliminiert" worden sein. Das US-Militär nutzte das Programm im Irak und in Afghanistan, um Sprengstoffanschläge vorherzusagen. Die israelische Armee unterhält eine strategische Partnerschaft mit Palantir und soll laut UNO mit dessen Software Bombenziele im Gaza-Krieg auswählen, was Palantir bestreitet. Und angeblich wurden damit auch die Daten des Kuriers analysiert, der die CIA auf die Spur von Osama Bin Laden brachte und damit 2011 die Tötung des Top-Terroristen ermöglichte.
Deutsche Behörden mögen Palantir ausschließlich zur Verbrechensbekämpfung einsetzen wollen. Aber die Ursprünge der Firma - und ein Großteil des Geschäfts - liegen bis heute in der Arbeit für die US-Geheimdienste. Die Firma wurde 2003 nach dem 11. September gegründet, um US-Nachrichtendienste im Anti-Terror-Krieg zu unterstützen. Das Geld dafür kam nicht nur vom rechten Tech-Milliardär Peter Thiel, sondern auch von einem CIA-Investmentfonds. Als Palantir-Chef rekrutierte Thiel einen deutschen Philosophen, der keinerlei Erfahrung mit Software oder Technologie hatte, den er aus seiner Zeit in Stanford kannte: Alex Karp von der Goethe-Universität Frankfurt, dessen Dissertation über "Die Erweiterung des Parsonsschen Konzepts der Agression" eine Zeit lang von Jürgen Habermas betreut wurde.
Karp war eigentlich ein Tech-Outsider und Liberaler, der auf die Wahrung der Bürgerrechte bedacht war, und sollte das Startup so gegen Kritik immun machen, es helfe der Regierung mit seiner Software beim Aufbau eines Überwachungsstaats. Karp bezeichnete sich vor einigen Jahren in US-Medien als liberalen Pragmatiker - progressiv, aber nicht woke. Laut eigenen Angaben wählte Karp 2016 Hillary Clinton und verabscheute Donald Trump.
Trumps Datenkrake nistet sich ein
Mit Palantir haben Karp und Thiel eine riesige Datenkrake geschaffen, die sich immer tiefer in die Institutionen frisst, die ihre Software benutzen. Denn wenn sie Palantir-Software einsetzen, erhält Karps Konzern auch Zugang zu ihren sensibelsten Daten. Er nistet sich dazu regelrecht bei ihnen ein: "Tief eingebettet in die Welt unserer Kunden" habe man die Software "rückwärts aus der Realität gebaut", sagt Palantir selbst etwa über Foundry. Was darin genau mit den Daten geschieht, und von wem sie womöglich abgesaugt werden können, bleibt eine Blackbox.
In den USA werkelt Palantir mit dem Segen der US-Regierung an einem Überwachungsstaat. Im Heimatschutzministerium werden laut US-Medienberichten Datensätze von Millionen Menschen aus Steuerbehörden, Heimatschutzministerium und Gesundheitsverwaltung zu einer Master-Datenbank zusammengefasst, um illegale Migranten abzuschieben. Allein die Einwanderungsbehörde ICE hat inzwischen Verträge über fast 250 Millionen Dollar mit Palantir. Seit 2008 hat Karps Konzern 1,9 Milliarden Dollar aus Washington kassiert.
Der Palantir-CEO und Tech-Milliardär Thiel lassen keinen Zweifel daran, dass sie in ihrer Firma ein Werkzeug der nationalen Interessen der USA sehen. Sie träumen davon, mit Palantir und anderen Tech-Firmen eine Art neuen militärisch-industriellen Komplex zu schaffen. Oder wie es das Wall Street Journal ausdrückt: "Alex Karp will, dass das Silicon Valley für Amerika kämpft."
KI-Krieger in Trumps Diensten
Karp hat darüber inzwischen ein ganzes Buch geschrieben. Er nennt es zwar "Die Technologische Republik". Doch im Grunde ist das nur eine Chiffre für die Rückkehr zur grenzenlosen Kooperation zwischen der Tech-Industrie und den US-Geheimdiensten wie im Kalten Krieg. Eine ganze Generation von Gründern hätte ihr Talent mit Fotosharing-Apps und Chat-Interfaces verschwendet, schreibt Karp. Er will ihnen ihre patriotische Mission zurückgeben: "Die Softwareindustrie muss ihre Beziehung zur Regierung grundlegend erneuern" und solle die Technologien und KI-Fähigkeiten entwickeln, die sie braucht: "Die führenden Köpfe des Silicon Valley tragen eine aktive Verantwortung für die Verteidigung der Nation."
Palantir ist für Karp die Verkörperung des gewünschten Schulterschlusses und sei von Anfang an ein "politisches Projekt" gewesen, technologische Innovationen in den Dienst der US-Regierung zu stellen. Und momentan heißt das: sie den Interessen Trumps unterzuordnen. Seit dessen Amtsantritt vor knapp sieben Monaten hat sich der Aktienkurs von Palantir verdoppelt.
Es sei bedauerlich, dass es Produkte wie von Palantirs Leistungsstärke in Europa nicht gäbe, beklagt Polizeigewerkschafter Rainer Wendt. "Aber die USA sind bekanntlich nicht "das Reich des Bösen", und seien "seit Jahrzehnten unser verlässlicher Bündnispartner, auch und gerade im Sicherheitsbereich." Die Frage ist, wie lange das noch so bleibt. Schließlich entfremdet sich Europa zunehmend von Washingtons imperialen Zielen und seinem neuen Tech-Komplex.
Im vergangenen Jahr schickte Karp auf einem Rüstungskongress eine unmissverständliche Warnung. "Wenn du nachts davon träumst, Amerikanern zu schaden, solltest du wissen: Dir und jedem der mitmacht wird etwas wirklich Schlimmes zustoßen", drohte Karp. "Die Feinde der USA "müssen mit Angst aufwachen und zu Bett gehen". Die Leute hätten schlicht genug von der "woken, heidnischen Ideologie der Demokraten. Sie wollen Sicherheit. Wir sind die Einzigen in diesem Land mit einer echten Technologieszene. Und wir werden alles gewinnen."
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