Bisher war Deutschland zu langsam dabei, ukrainische Geflüchtete in Arbeit zu bringen, sagt Enzo Weber. Doch Ukrainer jetzt aus dem Bürgergeld herauszunehmen, würde das Gegenteil bewirken, prophezeit der Forscher. Das System müsse insgesamt schneller werden.

Aus Sicht des Arbeitsmarktexperten Enzo Weber ist der Plan der Bundesregierung, dass neu ankommende ukrainische Flüchtlinge kein Bürgergeld mehr erhalten sollen, kontraproduktiv. Das dürfte nicht dazu führen, dass mehr Ukrainer in Deutschland arbeiten, sagt der Forschungsbereichsleiter Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Gespräch mit ntv.de. Im Gegenteil würden dann sogar weniger erwerbstätig sein.

Ukrainer, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland gekommen sind und künftig kommen, sollen nach einem Gesetzentwurf des Sozialministeriums nicht mehr wie bisher Bürgergeld, sondern wie Asylbewerber geringere Leistungen bekommen. Der Satz für Alleinstehende liegt hier bei 441 Euro, während es im Bürgergeld 563 Euro sind. Auch die Gesundheitsleistungen fallen für Asylbewerber geringer aus.

"Wenn der Staat Geld sparen möchte, muss er die Menschen in Arbeit bringen", sagt Weber, der an der Universität Regensburg empirische Wirtschaftsforschung lehrt. Denn dann sinken nicht nur die Sozialausgaben, sondern der Staat erhält zusätzliche Steuern und Abgaben. "Wenn 100.000 Arbeitslose in einem Jahr in die Erwerbstätigkeit kommen, bringt das dem Staat insgesamt drei Milliarden Euro an Einsparungen und neuen Einnahmen - dann erreichen wir relevante Dimensionen", rechnet Weber vor. Beim bisherigen Plan der Bundesregierung spart der Staat unterm Strich kein Geld: Während der Bund rund eine Milliarde Euro sparen würde, entfiele diese Summe an Mehrkosten auf Länder und Kommunen für Asylbewerberleistungen.

"Bürgergeld heißt auch aktive Arbeitsförderung", betont IAB-Forscher Weber. Das IAB ist das Forschungsinstitut der Arbeitsagentur. "Im Jobcenter bekomme ich beides aus einer Hand: die Geldleistung, aber auch Beratung, Vermittlung und Qualifizierung."

"Bis Anfang 2024 hatten wir ein gravierendes Problem"

Dieser Weg funktioniert Weber zufolge inzwischen besser. "Bis Anfang 2024 hatten wir tatsächlich ein gravierendes Problem", räumt der Arbeitsmarktexperte ein. "Das müssen wir uns auch ankreiden lassen." Bis dahin seien pro Monat nur 1,4 Prozent der ukrainischen Arbeitslosen in die Erwerbstätigkeit gekommen. "Das war wirklich wenig und auch klar unterdurchschnittlich", sagt Weber. "Mittlerweile sind Ukrainer aber weit überdurchschnittlich." In diesem Juli lag der Wert demnach bei 3,2 Prozent. "Das ist eine weit bessere Quote als im Durchschnitt der Arbeitslosen in der Grundsicherung."

"Warum sollten wir eine Gruppe, die deutlich überdurchschnittlich abschneidet, aus der Grundsicherung herausnehmen?", fragt der Forscher. Wenn die Politik mit dem Wechsel aus der Grundsicherung in die Erwerbstätigkeit unzufrieden ist, sollte sie seiner Einschätzung nach nicht eine überdurchschnittliche Gruppe aus dem System nehmen, sondern das System verbessern.

Dabei wäre in Webers Augen unter anderem wichtig, dass bei Sozialleistungsempfängern Einkünfte aus Erwerbstätigkeit nicht durch Kürzungen bei den Sozialleistungen aufgefressen werden - um einen stärkeren Arbeitsanreiz zu schaffen. Außerdem sollten alle Sozialleistungen, etwa auch Wohngeld oder Kinderzuschlag, in der Grundsicherung gebündelt werden, schlägt der Wissenschaftler vor. Denn dann könnten alle Sozialleistungsempfänger aktiv beim Jobwechsel unterstützt werden, beispielsweise auch Zweitverdiener, die ungewollt in Teilzeit arbeiten, oder Menschen in sogenannten Drehtürjobs - aus denen sie auch schnell wieder rausfliegen.

100 Euro weniger Bürgergeld?

Wenn sich die Politik entscheide, ukrainischen Geflüchteten rund 100 Euro weniger pro Monat zuzugestehen, sollte sie dies innerhalb der Grundsicherung regeln, fordert Weber - die Menschen also nicht aus dem Bürgergeldbezug entlassen, sondern nur die Höhe der Geldzahlungen senken. Wenn mit dem Bürgergeld nun auch die Unterstützung bei der Arbeitsmarktintegration wegfällt, würde sich die Beschäftigungsquote noch verschlechtern, erwartet der Forscher.

Inzwischen sind gut 35 Prozent der rund 930.000 erwerbsfähigen Ukrainer in Deutschland erwerbstätig, der Großteil davon sozialversicherungspflichtig. Gut 40 Prozent sind laut Arbeitsagentur arbeitslos, der Großteil davon bezieht Bürgergeld. Rund 57 Prozent erhalten demnach Sozialleistungen, darunter sind somit auch sogenannte Aufstocker, die ergänzend zu ihrem Lohn Bürgergeld erhalten. Knapp ein Viertel der Ukrainer in Deutschland ist weder beschäftigt noch arbeitslos, davon nimmt ein großer Teil an Kursen für Sprache, Integration, aber auch zur Qualifizierung teil.

Nach Kriegsbeginn lag die Beschäftigungsquote von Ukrainern in Deutschland deutlich unter der in anderen Ländern, insbesondere in Osteuropa. In Litauen, Polen, aber auch Dänemark betrug die Beschäftigungsquote von ukrainischen Kriegsflüchtlingen vor einem Jahr etwa 50 Prozent oder sogar deutlich mehr, wie der Mediendienst Integration berichtet.

Der Bildungsstand von Ukrainern ist vergleichsweise hoch, dieses Potenzial sollte Webers Ansicht nach genutzt werden. "Wir sollten nicht auf die Niederlande schielen, die eine hohe Beschäftigungsquote haben, wo ukrainische Flüchtlinge aber in minderwertigen Jobs landen", sagt Weber. "Ein nachhaltiger Ansatz bedeutet mittelfristig bessere Beschäftigungschancen, viel höhere Löhne und am Ende auch viel bessere Einnahmen für den Fiskus." Der richtige Weg sei deshalb: "Rein in die Grundsicherung, damit man dann aus der Arbeitslosigkeit wieder herauskommen kann."

Andere Länder setzen auf einen schnellen Jobeinstieg, während Deutschland sich mit Sprach- und Integrationskursen mehr um eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt bemüht. Langfristig schneidet Deutschland damit besser ab als andere Länder, wie Weber betont. Bei den Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, entwickle sich die Beschäftigungsquote inzwischen Richtung 70 Prozent.

Alle Asylbewerber sollen früher arbeiten

Dennoch fordert der Experte mehr Tempo bei der Vermittlung in den Arbeitsmarkt - nicht nur bei Ukrainern, sondern bei allen Geflüchteten. Am Anfang gilt für Asylbewerber ein Arbeitsverbot, und bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - wie sie künftig auch Ukrainer erhalten sollen - erhalten die Menschen nicht automatisch Unterstützung für eine spätere Erwerbstätigkeit. "Am Anfang, wenn die Menschen in Deutschland ankommen, sind wir zu langsam", kritisiert Weber. "Im Schnitt acht Monate Asylverfahren, und dann warten sie ewig auf ihren Sprachkurs und ihren Integrationskurs, das war auch bei Ukrainern so." Bis dahin habe noch keine Vermittlung auf den Arbeitsmarkt stattgefunden.

Der Forscher plädiert dafür, etwa Sprachkenntnisse oder auch Qualifizierung berufsbegleitend zu fördern. Daneben würde die Vermittlung in den Arbeitsmarkt seiner Einschätzung nach auch deutlich beschleunigt, wenn Asylbewerber ebenfalls vom Jobcenter betreut würden. Bisher kommen sie zum ersten Mal mit dem Jobcenter in Kontakt, wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist. "Dass das alles lange dauert, liegt auf der Hand", moniert Weber. Auch das Arbeitsverbot sollte seiner Meinung nach verkürzt werden.

Ukrainische Kriegsflüchtlinge müssen kein Asylverfahren durchlaufen, sondern erhalten durch eine EU-weite Regelung automatisch einen Aufenthaltsstatus. Studien zeigen, dass hohe Sozialleistungen ein Anreiz für Geflüchtete sein können, in einem bestimmten Land Schutz zu suchen. Stärker wiegen dabei allerdings andere Faktoren wie der Arbeitsmarktzugang, die Bleibe- und Integrationsperspektiven, etwa auch vorhandene Netzwerke von Menschen aus demselben Herkunftsland, wie Weber erläutert. "Hier lässt sich anknüpfen", sagt der Arbeitsmarktexperte. "Wenn ich Menschen, die mit dieser Motivation kommen, genau das biete, werde ich auf eine große Bereitschaft treffen, sich zu integrieren, in den Aufenthalt zu investieren, die Sprache zu lernen. Das wäre für alle die beste Lösung."

Gekommen, um zu bleiben

Aus der Erfahrung mit anderen Kriegen wie etwa im früheren Jugoslawien sei klar, dass viele Ukrainer nach inzwischen dreieinhalb Jahren Krieg lange in Deutschland bleiben werden, stellt Weber klar. "Wir tun deshalb gut daran, auf die bestmögliche Integration zu setzen."

Deshalb lohne es sich auch, auf höher qualifizierte Arbeitsplätze für Geflüchtete zu setzen. "In Deutschland können Zugewanderte ihr Potenzial oft nicht ausschöpfen", sagt der Forscher. Dabei stecke in ihnen ein großes Arbeitskräftepotenzial. Wenn jemand erfolgreich in einen ersten Job vermittelt sei, sollte die Entwicklung deshalb berufsbegleitend weitergehen. "Denn mit formaler Qualifikation und Sprachkenntnissen steigen die Beschäftigungschancen deutlich."

Und damit die Löhne. "Schließlich arbeitet jemand dann produktiver", sagt Weber. "Das ist nicht nur gut für die Betroffenen, sondern für unsere Wirtschaft unbedingt notwendig."

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