Russland: «Der Westen ist schuld an dem, was heute passiert»
Interviews führender russischer Politiker mit westlichen Medien sind rar geworden. Doch nun äussert sich gegenüber SRF Konstantin Kosachev, Vizepräsident des Föderationsrats, der zweiten russischen Parlamentskammer. Er ist dort Vorsitzender der aussenpolitischen Kommission. Was er sagt, gibt Einblick in die Sicht- und Denkweise im Kreml – und zeigt, wie schwierig jegliche Wiederannäherung Russlands zum Westen ist.
SRF News: Russland war diese Woche in Genf auf dem Weltkongress der IPU, der Interparlamentarischen Union, prominent vertreten. Was ist ihr Interesse an dem Treffen?
Konstanin Kosachev: Russland ist immer offen für den Dialog. Wir sind sehr enttäuscht darüber, dass westliche Länder in den letzten Jahren viele Formate für den Austausch zerstört haben. Dort, wo die europäischen Länder die Mehrheit haben, haben sie den Dialog abgetötet. Bei der IPU konnten sie das nicht tun, denn da sind sie nicht dominant. Deshalb sind wir hier. Wir sind auch den Schweizer Behörden dankbar, dass die unsere Präsenz ermöglicht haben.
Sie sagen, Russland wolle den Dialog, doch der Westen verweigere ihn?
Die westlichen Länder haben den Verhandlungsprozess untergraben, der im März 2022 zwischen Russland und der Ukraine begann, einige Wochen nach Beginn der militärischen Spezialoperation. Mit dieser wollten wir die Ukraine in erster Linie zwingen, Probleme mit der russischsprachigen Bevölkerung, Sicherheitsfragen und all diese Dinge direkt mit uns zu besprechen. Doch die Nato-Länder lehnten jede Verhandlungsoption ab. Jetzt sprechen wir wieder mit der Ukraine. Aber die reagiert nicht auf unsere Anliegen. Wohl, weil sie auf Anweisungen aus europäischen Hauptstädten und aus Washington wartet.
Waren also die bisher drei direkten Gesprächsrunden in Istanbul zwischen der Ukraine und Russland nutzlos?
Sie waren nützlich, was humanitäre Aspekte des Konflikts betrifft. Aber unsere Positionen in zentralen Fragen des Konflikts liegen weit auseinander. Wir haben zwei Positionspapiere vorgelegt. Irgendwo müssen wir anfangen.
Wenn die Ukraine auf ihren Positionen beharrt, geht der Konflikt noch lange weiter und die Lage bleibt explosiv.
Wie sehen sie das neue Ultimatum von US-Präsident Donald Trump? Nehmen Sie es ernst?
Ehrlich gesagt, bin ich sehr überrascht. Solche Ultimaten sind nie sinnvoll. Ernsthafte Konflikte lassen sich nicht auf einen bestimmten Termin lösen. Wir wundern uns auch, dass sich das Ultimatum nur an Russland richtet. Die Ukraine braucht nichts zu tun. Doch wenn die Ukraine auf ihren Positionen beharrt, geht der Konflikt noch lange weiter und die Lage bleibt explosiv. Trumps Forderungen sollten sich daher vor allem an die Ukraine richten.
Präsident Trump behauptete anfänglich, er könne binnen Stunden einen Frieden schaffen. Was halten sie von seinen Bemühungen?
Ich weiss nicht, wie sich Herr Trump das vorstellte. Das Problem der westlichen Länder, die USA eingeschlossen, ist, dass sie den Konflikt gar nicht verstehen. Sie verstehen nicht, dass alle früheren Sowjetrepubliken multiethnische Staaten sind, auch Russland selber. In manchen von ihnen kamen dann Nationalisten an die Macht, die so tun, als lebten in ihrem Land nur Georgier, nur Esten oder nur Ukrainer. Sie müssen das ändern.
Können sie sich eine Zukunft vorstellen, in der Russland friedlich zusammenlebt mit einer freien, souveränen Ukraine?
Ja. Als die Sowjetunion zusammenbrach, gelang es uns, einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Als die Ukraine unabhängig wurde, bekannte sie sich zu drei Prinzipien: Neutralität, Verzicht auf Atomwaffen und Demokratie. Deshalb hat Russland damals die Unabhängigkeit der Ukraine unterstützt. Kehrt sie zu diesen Prinzipien zurück, ist das Problem gelöst. Hingegen fühlen wir uns nicht sicher, wenn die Nato an unsere Grenze heranrückt. Das akzeptieren wir niemals. Umso weniger, als die Ukraine territoriale Ansprüche gegenüber Russland hat…
...welches russische Territorium beansprucht denn die Ukraine?
Die Krim, Sevastopol, die vier neuen Regionen Russlands im ehemaligen Südosten der Ukraine. Sie alle haben sich in Referenden entschieden, aus der Ukraine auszutreten und sich Russland anzuschliessen.
Völkerrechtlich gehört die Krim aber ganz klar zur Ukraine…
Das zeigt die westliche Doppelmoral. Im Fall Kosovos haben die westlichen Länder die Unabhängigkeit von Serbien und das Recht auf Selbstbestimmung anerkannt. Im Fall der Krim tun sie das nicht.
Derzeit ist das Verhältnis zwischen Europa und Russland zerrüttet. Was müsste Europa und was müsste Russland tun, um zu mehr Kooperation zurückzukehren?
Europa muss selbstkritischer sein. Die westlichen Länder haben mehrere grosse Fehler begangen: Sie haben den Staatsstreich 2014 auf dem Kiewer Maidan als demokratische Revolution interpretiert. Dabei war es ein antidemokratischer Putsch. Sie haben die Rückkehr der Krim zu Russland als Besetzung interpretiert.
Der Westen ist zu hundert Prozent schuld, an dem, was heute passiert.
Sie haben Ende 2021 Russlands Vorschläge für eine Zukunft der Ukraine ausserhalb der Nato und der EU abgelehnt. Und sie haben die russisch-ukrainischen Gespräche im März 2022 untergraben. Es gibt einen Weg, die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland zu normalisieren. Aber dafür muss sich der Westen bewegen. Er ist zu hundert Prozent schuld, an dem, was heute passiert.
Muss sich nicht auch Russland bewegen?
Ich glaube nicht, dass wir irgendwelche Fehler begangen haben. Wir haben stets nur eingegriffen, weil wir dazu aufgerufen wurden. Wir mussten in Georgien die Menschen in Südossetien und Abchasien schützen. Wir mussten die Menschen auf der Krim schützen, die verlangten: Bitte holt uns aus der Ukraine raus. Ich glaube daher nicht, dass Russland etwas an seinem Verhalten ändern muss.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.
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