Russlands zaghafter Umgang mit Kriegsrückkehrern
Fast dreieinhalb Jahre dauert der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Kreml investiert Milliarden, um immer neue Soldaten anzuwerben. Diese kommen eines Tages zurück, verwundet, traumatisiert und, wie mehrere Fälle schon gezeigt haben, gewaltbereit. Die Rückkehr ins zivile Leben ist schwierig, zumal in Russland wenig dafür getan wird. Korrespondent Calum MacKenzie zur Situation im Land.
Wie gross ist das Ausmass von traumatisierten Kriegsrückkehrern in Russland?
Das ist schwer zu beziffern. Die russischen Behörden sind sehr zurückhaltend mit Zahlen zu rekrutierten, mobilisierten und zurückgekehrten Soldaten. Zu den Getöteten macht Russland seit Jahren keine Angaben mehr. Die BBC und das unabhängige russische Medium Mediazona kommen mit ihren Recherchen auf über 119'000 im Krieg gefallene Russen. Von solchen Konflikten weiss man, dass auf jeden Gefallenen mindestens drei, wahrscheinlich noch mehr Verwundete und Traumatisierte kommen. Das heisst, wir reden von hunderttausenden Soldaten, die eines Tages nach Russland zurückkommen und Unterstützung brauchen.
Was ist das Problem bei einer solchen Masse an Traumatisierten?
Auch wenn nicht alle betroffen sind, wird Russland praktisch auf einen Schlag im ganzen Land mit einer grossen Zahl an Männern zu tun haben, die an Depressionen oder Schlafstörungen leiden. Problematisch ist auch, wenn sie arbeitsunfähig sind, mit Aggressionen kämpfen und vielleicht einen Hang zu Drogenmissbrauch oder Kriminalität entwickeln.
Ist das ein Thema in der russischen Öffentlichkeit?
Ja, weil gewisse Einzelfälle bereits für Aufsehen gesorgt haben. In mehreren Fällen sind zurückgekehrte russische Soldaten kriminell geworden, haben sogar schwere Verbrechen wie Morde verübt. In einigen Fällen waren das Männer, die schon zuvor im Gefängnis sassen und dort rekrutiert wurden – aber nicht nur. Hinzu kommt, dass auch systemtreue Politikerinnen und Politiker das Problem zunehmend benennen. Sie üben zwar keine Kritik am Kreml und fordern keine konkreten Massnahmen, aber sie sagen, das dürfe nicht vergessen gehen. Einerseits will man den Anschein erwecken, es werde was getan. Aber einigen ist die Realität des Problems bewusst und sie wollen die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger darauf lenken.
Gibt es genug Hilfsangebote – vor allem psychologische Betreuung?
Das russische Gesundheitssystem ist ohnehin schon unter Druck. Es fehlen Zehntausende Ärztinnen und Ärzte. Bei der psychiatrischen und psychologischen Betreuung ist der Mangel noch grösser. Es gab in der Vergangenheit zivilgesellschaftliche Organisationen, die hier aushelfen konnten. Der Kreml hat aber viele davon verboten oder ausgegrenzt. Im Winter hat man mir in Moskau bei einem Hilfswerk gegen häusliche Gewalt erzählt, dass den Familien von Soldaten davon abgeraten werde, nicht-staatliche Stellen aufzusuchen, wenn sie Hilfe brauchen. Zwar hat Putin eine Stiftung einrichten lassen, die bei all diesen Fragen helfen soll, aber das Budget dafür ist viel zu klein. Putin bestimmt letztlich, was der Staat priorisieren soll. All seine Ressourcen werden in die Kriegsführung geschleust, ohne für die Zeit danach zu sorgen.
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