Vorbild Tesla – Dieser Kasten soll den BMW für immer verändern
Der Wandel hin zu E-Mobilität und autonomen Fahrfunktionen verlangt den Autoherstellern viel ab. Nicht nur technisch. Auch als Argument in der Werbung fallen altbekannte Markenstärken von Kupplung bis Einspritzer weg. Neue Ideen müssen her – und zwar idealerweise solche, die über verschiedene Antriebe und Modelle hinweg funktionieren.
BMW probiert es mit dem geplanten Start des ersten Serien-Modells auf seiner komplett neuen technischen Plattform, von den Marketing-Leuten „Neue Klasse“ getauft, mit einem besonderen Tier: einem walzertanzenden Oktopus. Das Unterwasserwesen, animiert vom Londoner Studio Parasol, ist eine Analogie zur neusten Auto-Technik.
Denn bislang haben Pkw viele kleine elektronische Steuereinheiten – etwa für Bremsen, Einspritzer oder die Fensterheber. Künftig regelt ein zentraler Rechner fast alle Funktionen. Dadurch werden die Autos – nach dem Vorbild von Tesla – problemlos update-fähig. Zudem sollen die Systeme schneller und abgestimmter reagieren, etwa bei plötzlichen Ausweichmanövern.
In dem Spot, entwickelt von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, malt BMW analog zum zentral gesteuerten Auto aus, was wäre, wenn ein Oktopus nicht wie in der Realität für jeden Arm ein eigenes Gehirn hätte, sondern sich mit einem Zentralnervensystem abgestimmt elegant wie ein Tänzer bewegen könnte. Der Werbefilm läuft mit recht hohen Abrufzahlen in den sozialen Medien und könnte demnächst in einigen Ländern ins Kino kommen.
BMW wirbt so ausgerechnet mit einem Feld, in dem die europäischen Hersteller bisher alles andere als führend waren: der Software. Tesla und etliche chinesische Hersteller sind den Deutschen dabei enteilt. Volkswagen musste wegen immer neuer Probleme in seiner Software-Einheit Cariad sogar mehrfach neue Modelle zurückstellen. Die neuen Plattformen, die die großen deutschen Autokonzerne in den kommenden Monaten und Jahren auf den Markt bringen, sollen den Rückstand aufholen. Daher ist es zentral die Kunden davon zu überzeugen, dass das Problemfeld gelöst ist.
Ob die Unterschiede zu ähnlichen Steuerungssystemen anderer Hersteller im Alltag für den BMW-Normalfahrer wirklich spürbar sind, ist noch offen: Der iX3 als erstes Modell der „Neuen Klasse“ kommt erst Anfang 2026 auf den Markt. BMW-Werbechef Max Bauer, selbst Hobby-Taucher und früherer Tänzer, setzt jedenfalls große Hoffnungen in den Spot.
Denn damit macht er den schnöden Zentralrechner, für den sich bislang kaum ein Kunde interessiert, zu einem möglicherweise kaufentscheidenden Unterscheidungspunkt für die Marke BMW. Seine Marketingleute haben – beauftragt vom Konzernvorstand – den kleinen Kasten mit einem stilisierten Herz geschmückt und den Namen „Heart of Joy“ erfunden. Das erinnert an den eingeführten Marken-Slogan „Freude am Fahren“.
Der Vorteil: Das Bauteil wird sich in Abwandlungen in allen neuen Modellen finden, sowohl in den E-Autos als auch in den Verbrennern. „Es ist ein kleiner Baustein – aber ein extrem wichtiger. Unsere Ingenieure sagen, damit wird jeder ein besserer Fahrer“, schwärmt Werbeexperte Bauer. BMW hat für die Steuerung etliche bislang von Zulieferern programmierte Funktionen ins eigene Software-Team geholt. Das „Heart of Joy“ sei daher in dieser Form ein BMW-exklusives Bauteil, werben die Münchener.
Experten halten den Marketing-Ansatz für aussichtsreich. „Der durchschnittliche Käufer versteht nicht jedes technische Detail. Durch diese Art der Kommunikation wird Technik greifbarer und kann zu einem Differenzierungsmerkmal werden“, sagt Jan-Philipp Hasenberg, Partner bei der Beratung Roland Berger. „In dieser Deutlichkeit hat das noch kein anderer Hersteller für die Steuerungselektronik versucht.“
Der Versuch erinnere an die lange erfolgreiche Strategie von BMW, seine Kraftstoff-Spartechnologien unter dem Begriff „Efficient Dynamics“ über alle Modelle hinweg zum Kaufargument zu machen. Das könnte im zunehmenden Wettbewerb helfen – gerade weil E-Autos technisch als weniger komplex zu bauen gelten als hochentwickelte Verbrenner. Neue Argumente auch gegen junge Konkurrenten aus China werden für die deutschen Marken wichtig.
Das gilt auch beim BMW-Dauerrivalen Mercedes. „Wir sehen großes Potenzial darin, auch die technologische Basis unserer Fahrzeuge – etwa die Software, Rechenleistung und Systemarchitektur – stärker in den Mittelpunkt zu rücken“, sagt eine Sprecherin. Entscheidend ist dabei sei, wie sich diese Technologie im Alltag der Kunden bemerkbar mache.
Da allerdings ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Nicht jeder Autofahrer liebt bislang den Eingriff von Spurassistent und die oft noch hakelige Sprachsteuerung. Ob es bei den neuen Modellen besser wird, muss sich zeigen. Denn ohne Verankerung in der Realität nutzt die beste Werbung nichts.
Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur und schreibt über die Auto-Branche.
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