Bei Deutschlands größtem Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) stehen harte Einschnitte bevor. Nach drei Tagen und drei Nächten Verhandlung haben sich das Management und Vertreter von IG Metall und Betriebsrat auf einen Sanierungstarifvertrag geeinigt. Diese Vereinbarung bildet nun die Grundlage für eine Neuaufstellung der seit Jahren angeschlagenen Stahlsparte von Thyssenkrupp. „Das war ein harter und schwerer Gang für alle Beteiligten“, fasst Dirk Schulte zusammen, Arbeitsdirektor und Personalvorstand von TKSE. Zumal viele bis zum Schluss noch gehofft hätten, dass es „schon nicht so schlimm“ kommen werde. Nun aber gebe es ein „sehr umfangreiches Paket“, das größte jemals bei Thyssenkrupp Steel.

Die Einigung beinhaltet den umfangreichen Abbau von Produktionskapazitäten und im Zuge dessen auch massive Stellenstreichungen. Aktuell sind die Hochöfen und Walzwerke für eine Jahresmenge von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt, künftig sollen das Zielniveau bei 8,7 bis neun Millionen Tonnen liegen. Dazu wird bis im Herbst ein Hochofen im Stammwerk in Duisburg stillgelegt und ein Warmbandwerk sowie ein Elektrobandstandort in Bochum geschlossen. Ein zunächst von der Schließung bedrohtes Werk im Siegerland soll hingegen erstmal erhalten bleiben, wird aber fortlaufend auf seine Wirtschaftlichkeit geprüft.

Durch die Schließungen fallen rund 1600 Arbeitsplätze weg, zudem werden über ein Effizienzprogramm bis 2030 weitere 3700 Stellen im restlichen Konzernverbund abgebaut. Dazu kommen nochmal 6000 Stellen durch Auslagerungen und Verkäufe. In Summe streicht TKSE damit 11.000 der aktuell noch fast 27.000 Jobs. Auf betriebsbedingte Kündigungen soll dabei verzichtet werden, haben Thyssenkrupp und die IG Metall vereinbart. Im Gegenzug müssen die verbleibenden Mitarbeiter Einschnitte bei den tariflichen Leistungen hinnehmen, unter anderem eine Streichung des Urlaubsgeldes, eine merkliche Verringerung des Weihnachtsgeldes und der Zuschläge für eine Rufbereitschaft. Dazu wir die Arbeitszeit von derzeit 34 auf künftig noch 32,5 Wochenstunden reduziert, was weitere Gehaltseinbußen zur Folge haben wird. In Summe sinkt das Einkommen der Mitarbeiter im Schnitt um rund acht Prozent.

Thyssenkrupp erzielt damit jährlich Einsparungen in Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrags, wie es aus dem Umfeld heißt. Wie hoch davor die Restrukturierungskosten sein werden für zum Beispiel Abfindungen, legt das Unternehmen nicht offen. Die für Transformation zuständige Vorständin Marie Jaroni zeigt sich in einem Pressegespräch am Samstag aber grundsätzlich zufrieden und spricht von einem „Meilenstein für die Zukunftsfähigkeit von Thyssenkrupp Steel“: „Wir bauen überschüssige Kapazitäten ab, verbessern die Effizienz und können so ein wettbewerbsfähiges Kostenniveau erzielen.“

Thyssenkrupp will 50 Prozent der Stahlsparte verkaufen

Thyssenkrupp leidet unter der anhaltenden Konjunkturschwäche und niedrigen Preisen am Weltmarkt. Wichtige Abnehmerbranchen wie die Automobilindustrie, der Maschinenbau oder der Bausektor schwächeln. Gleichzeitig drängen Konkurrenten aus Asien mit Billigstahl auf den europäischen Markt, aktuell nochmal mehr als üblich seit US-Präsident Donald Trump durch seine Zollpolitik den US-Markt für Stahl aus China, Indien, Vietnam und Co. uninteressant gemacht hat.

Drittens schließlich belasten Standortnachteile wie hohe Energiekosten die Stahlindustrie in Deutschland. Die Industrie steckt deswegen in einer grünen Transformation weg von der klassischen Hochofenroute mit Koks und Kohle hin zu im Idealfall mit grünem Wasserstoff betriebenen Direktreduktionsanlagen. Dieser Umbau ist allerdings teuer und kostet trotz staatlicher Förderung einen Milliardenbetrag, der durch die aktuelle Marktschwäche operativ nicht verdient werden kann.

Thyssenkrupp sucht angesichts dieser Gemengelage schon länger nach einer Lösung für seine verlustreiche Stahltochter und strebt aktuell ein 50/50-Joint-Venture an mit der EP Corporate Group des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský. 20 Prozent der Anteile hat der Wunschpartner bereits übernommen, weitere 30 Prozent sollen folgen. Dann würde das Stahlgeschäft nicht mehr in der Bilanz des Mutterkonzerns erscheinen. Der Erwerb der zweiten Tranche hängt allerdings vom Sanierungskonzept bei TKSE ab.

Die jetzige Einigung mit der IG Metall auf einen bis Ende September 2030 laufenden Tarifvertrag gilt daher als wichtige Voraussetzung auf dem Weg zu einem gleichberechtigten Gemeinschaftsunternehmen. Noch allerdings steht das ausgehandelte Konzept unter zwei Vorbehalten: Zum einen müssen die Mitglieder der IG Metall dem Kompromiss zustimmen, zum anderen braucht es TKSE noch eine Vereinbarung mit dem Mutterkonzern über die Finanzierung der Restrukturierungspläne. Um die Frage dieser Mitgift wird aber schon lange hart gerungen und gestritten.

Gewerkschaftsführer und Betriebsräte werden bereits um Verständnis und Zustimmung. Knut Giesler zum Beispiel, Bezirksleiter der IG Metall in Düsseldorf und Verhandlungsführer der Arbeitnehmerseite, sprach von einem „tragfähigen Kompromiss“. Zwar gebe es schmerzhafte Elemente. „Betriebsbedingte Kündigungen sind jedoch vom Tisch und Garantien für Standorte und Investitionen in die Anlagen gibt es auch – das sind gute Signale.“

Tekin Nasikkol wiederum spricht von Sicherheit und Perspektive für die verbleibenden Mitarbeiter. „Wir sind an die Schmerzgrenze gegangen und haben Eingeständnisse nur dort gemacht, wo es wirklich nötig war, um Arbeitsplätze und Standorte zu sichern“, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von TKSE. Man habe die Voraussetzungen geschaffen, damit das Unternehmen aus eigener Kraft aus der schwierigen Situation herauskomme und gleichzeitig Angriffe auf bewährte Standards abwehren oder abmildern können. Allerdings sieht er eine rote Linie erreicht. „Wir können aber nicht auf Dauer Managementfehler der Vergangenheit durch Arbeitnehmerbeiträge ausgleichen.“

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie Mittelstandsunternehmen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke