Taiwan beginnt heute seine jährliche Militärübung und probt, wie es sich gegen einen Überfall Chinas zur Wehr setzen will. Dieses Jahr gibt es gleich zwei Premieren: Zum einen dauert die Übung mit zehn Tagen doppelt so lang wie bisher, und zum anderen wird in diesem Jahr auch der Widerstand in der Stadt geübt. SRF-Ostasien-Korrespondent Samuel Emch ordnet ein.

Was genau übt Taiwan bei diesem Manöver?

Es ist eine ganze Reihe von Szenarien. Da kommen viele neue Elemente dazu, die in früheren Jahren nicht geprobt wurden. Es werden zum Beispiel zusätzliche Reservisten aufgeboten, um zu schauen, wie lange es dauert, bis sie bereit sind. Es werden neue Waffensysteme aus den USA getestet und auch sogenannte Reaktionen auf chinesische Grey-Zone-Aktivitäten. Also wenn China nicht zuerst mit Kriegsschiffen oder Raketen angreifen würde, sondern umgebaute Fischerboote und Sandbagger vorausschickt. Zudem wird der Kampf in den Städten imitiert. Die Zivilbevölkerung und auch Unternehmen werden in die Übungen integriert, Evakuationen werden geübt. Es ist also eine grössere Angelegenheit.

Legende: Reservisten bereiten sich auf die jährliche Militärübung in Taoyuan, Taiwan, vor. (8.7.2025) REUTERS/Ann Wang

Wie realistisch sind diese Übungen?

Spricht man mit Militärexperten, sind all die Szenarien, die hier geübt werden, realistisch. Genau deshalb gibt es diese grosse Übung. Das soll auch ein Signal Richtung Peking senden im Sinne von: «Hey, schaut, wir sind auf alles vorbereitet.» Aber auch wenn jetzt grosse Militärmanöver veranstaltet werden, gibt es derzeit keine Hinweise, dass ein Krieg an der Taiwanstrasse unmittelbar bevorstehen würde.

Wie kommt diese Übung bei der taiwanesischen Bevölkerung an?

Als ich vor ein paar Monaten in Taiwan war, waren die ersten Vorbereitungen – der erste Teil dieser Übung – bereits im Gange, und das war in der Bevölkerung überhaupt kein Thema. An die Militärübungen hat man sich bis zu einem gewissen Grad gewöhnt, weil sie in den letzten Jahren immer grösser und häufiger geworden sind. Blickt man zwei, drei Jahre zurück, hat man schon das Gefühl, es gibt immer mehr Leute in Taiwan, die sich mit dem Szenario einer Eskalation auseinandersetzen. Aber es ist nicht so, dass Taiwan aufgrund dieser Militärübung in Schockstarre oder einem Extremzustand wäre. Derzeit gibt es auch innenpolitische Themen in Taiwan, die dominieren. Bei diesen Debatten geht es letztendlich auch wieder um das Verhältnis zu Festlandchina. Aber in erster Linie betrifft es die Politik und in zweiter Linie das Militär.

Legende: Die Bevölkerung in Taiwan habe sich bis zu einem gewissen Grad an die Militärübungen gewöhnt, sagt Ostasien-Korrespondent Samuel Emch. (7.7.2025) Reuters/ RITCHIE B. TONGO

Wie reagiert China auf Taiwans Militärübung?

Der chinesische Verteidigungsminister sagte, Taiwans Militärübung sei ein reiner Bluff, und das Land habe gegen China sowieso keine Chance, egal mit welchen Waffen. Diese Reaktion war zu erwarten. Es ist genau die Message, die Peking immer wieder gegen innen, aber auch in Richtung Taiwan senden will. Hier wurde jetzt die ganze Message sehr klar ausformuliert. Peking tut das auch mit einem gewissen Erfolg – insbesondere im Festlandchina. Da treffe ich vorwiegend auf die Haltung «Ja, was wollen die in Taiwan eigentlich? Wir sind das grosse und starke China. Und die sind so klein und schwach. Ist doch sinnlos, sich zu wehren.» Und in Taiwan selbst, da klingt es auch zum Teil an. Dort trifft man ab und an auf die Meinung: «Wenn China kommt, sind wir verloren, weil es eben so gross und stark ist.» Deshalb wird diese Message immer wieder wiederholt. Das ist genau das, was Peking will; dass man in Taiwan eigentlich jeglichen Widerstand schon aufgibt, bevor es zu einer Eskalation kommt.

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