"Niedrige Strompreise setzen dem Offshore-Zubau ein Ende"
2023 reißen sich die Bieter um deutsche Offshore-Flächen. Zwei Jahre später ist die Windkraft-Euphorie verpufft. Bei einer Versteigerung im Juni bieten nur zwei Interessenten für eine neue Nordsee-Fläche. TotalEnergies sichert sich den Zuschlag für einen Spottpreis. Laut Karina Würtz belasten steigende Stahlpreise und das China-Risiko die Branche. Und der Solarboom: "Wenn die Strompreise sinken, rechnet sich der Bau nicht mehr", sagt die Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie. Die Prognose der früheren Windpark-Leiterin beunruhigt: Ohne Kursänderung wird Deutschland sein Ausbauziel für die Erneuerbaren verfehlen. Im "Klima-Labor" von ntv präsentiert Würtz eine Lösung für das Problem. Die Offshore-Branche benötige ein neues Vergütungsmodell. Verluste müssten vergemeinschaftet werden, die Gewinne ausnahmsweise auch.
ntv.de: Der Kaufpreis für eine Offshore-Fläche in der Nordsee ist innerhalb von zwei Jahren von 2 Milliarden Euro auf 180 Millionen Euro gefallen. Wie kann das sein?
Karina Würtz: Es gibt verschiedene Ursachen, eine ist die Inflation. Offshore-Windenergie ist stahlbau-lastig. Im Stahlbau sind die Preise seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine um ungefähr 40 Prozent gestiegen, also stärker als die allgemeinen Verbraucherpreise. Außerdem wurde bei den Ausschreibungen 2023 mit anderen Strompreiskurven gerechnet. Die Prognose war, dass die Strompreise durch die Ukraine länger hoch bleiben würden. Durch den Solarboom ist das Gegenteil passiert: Die Strompreise sind an immer mehr Stunden im Jahr niedrig oder sogar negativ. Das muss einkalkuliert werden.
Höhere Ausgaben bei sinkenden Einnahmen - deswegen bieten Unternehmen wenig oder gar nicht mehr?
Ja. Das Interesse an der Ausschreibung war anders als früher gering. Es gab nur zwei Bieter - auch, weil 2023 damit gerechnet wurde, dass man beim Bau des Windparks viel stärker auf chinesische Komponenten zurückgreifen kann.
Die sind deutlich günstiger?
Der Preisunterschied zwischen chinesischen und europäischen Herstellern wie Vestas und Siemens Gamesa beträgt nur bei den Turbinen zwischen 15 und 30 Prozent. Die Branche kalkuliert insgesamt mit etwa 30 Prozent geringeren Investitionen, wenn sie chinesische Komponenten verwendet. Das hat eine Untersuchung von uns ergeben. Das ist eine ganze Menge.
Wirtschaft und Verbraucher erwarten möglichst niedrige Strompreise. Wenn man die Baukosten senken möchte, bleiben also nur chinesische Komponenten?
Die Frage muss man stellen. Der chinesische Turbinenhersteller Mingyang möchte gerne in Europa Fuß fassen. Ein 2023 siegreicher Bieter hat auch öffentlich gemacht, dass er Turbinen von Mingyang verwenden will. Das rechne ich Luxcara hoch an. Damit haben sie die Diskussion in die Öffentlichkeit und in die Politik geholt.
Aber nicht erfolgreich, oder? Die Bundesregierung prüft derzeit ein Bauverbot aus Angst vor chinesischer Sabotage und Spionage.
Das ist richtig. Die Auswirkungen dieser Teile auf die Sicherheit unserer Kraftwerksparks sind bisher nicht vollumfänglich erfasst worden. Sämtliche elektronische Komponenten, die über eine Fernwartung verfügen, können theoretisch durch den Hersteller ferngesteuert oder abgeschaltet werden. Das betrifft nicht nur Computer und Handys, sondern auch Windturbinen oder Konverter. Die Genehmigungsbehörde ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg. Das wertet die Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums und anderer Ministerien derzeit aus und wird seine Entscheidung bald mitteilen.
Diese Faktoren hängen aber nicht unmittelbar mit der Offshore-Industrie zusammen, oder?
Deutschland fehlen für den Offshore-Ausbau nach wie vor schwerlastfähige Hafenflächen. Das verteuert die Logistik. Die anderen Probleme sind europaweit zu beobachten.
Man kann also schlussfolgern: Die Offshore-Industrie steckt wieder in der Krise.
Das sind auf jeden Fall große Probleme. Es wäre verlockend, günstiger zu bauen, aber damit begibt man sich erneut in Abhängigkeiten und verliert Arbeitsplätze in Deutschland und Europa - und natürlich die Akzeptanz der Bevölkerung. Ein tiefergehendes Problem betrifft aber auch die Windkraft an Land und die Solarbranche: Wie bilden sich Strompreise?
Sie sprechen vom Merit-Order-Prinzip, bei dem immer das teuerste Kraftwerk im Netz über den Preis entscheidet?
Genau. Damit können Erneuerbare prinzipiell umgehen, weil sie Strom günstiger erzeugen als Gas und Kohle und somit Geld verdienen. Aber mit jeder Einheit erneuerbarer Energie, die wir ins Netz integrieren, steigt die Zahl der Stunden mit niedrigen oder negativen Strompreisen. Das setzt dem Zubau ein natürliches Ende, der Bau rechnet sich nicht mehr. 80 Prozent Erneuerbare erreichen wir damit nicht.
Was schlagen Sie vor?
In der Regel läuft es bei einem Offshore-Projekt so: Man geht zur Bank und nimmt einen Kredit für den Bau auf. Wenigstens diese Kapitalkosten muss man zurückverdienen können, sonst geht man pleite. Daran hat niemand Interesse. Wir benötigen also ein Vergütungsmodell, das zumindest die Finanzierungskosten deckt: einen Contract for Difference. Diese zweiseitigen Differenzverträge werden in England bereits verwendet. Man legt einen fixen Preis fest, den die Betreiber für ihren Strom erhalten. Liegt der Strompreis am Markt darunter, wird den Betreibern die Differenz vom Staat erstattet. Liegt der Strompreis darüber, sind es die Betreiber, die dem Staat die Differenz erstatten. Und es gibt eine ganze Reihe Stunden im Jahr, in denen der Strompreis nach oben ausschlägt.
Ist das vergleichbar mit der Einspeisevergütung im Solarbereich?
Das ist ein einseitiger Mechanismus, bei dem eine fixe Summe gezahlt wird und der Staat nichts zurückbekommt.
Ausnahmsweise würden sowohl Gewinne als auch Verluste vergemeinschaftet?
Ja. Es wäre schön, wenn Deutschland sich dazu entscheiden würde. Dann wüssten die Betreiber, auf welcher wirtschaftlichen Grundlage sie für eine Fläche bieten. Aber diese Diskussion wird bisher nicht geführt. Das Bundeswirtschaftsministerium hält - Stand jetzt - an seinem Ausschreibungsmodell fest.
Sind die deutschen Ausbauziele ohne diese Änderung erreichbar?
So wie bisher? Nein. Es sei denn, ein Betreiber weiß, dass er der einzige Bieter ist und sichert sich die Flächen für einen schmalen Taler. Im Zweifel kann er aber immer noch aussteigen, das ist ein weiteres Problem des deutschen Ausschreibungsdesigns: Die Betreiber sind nach der Auktion nicht verpflichtet zu bauen, sondern haben vier Jahre Zeit, um von dem Projekt zurückzutreten.
Die Auktion im Juni hat TotalEnergies gewonnen. Die müssen sich erst 2029 entscheiden, ob sie den Windpark wirklich bauen?
Genau.
Wie möchten Sie Wirtschaftsministerin Katherina Reiche von dem neuen Modell überzeugen?
Sie kommt aus der Energiewirtschaft und kennt den Markt. Sie wird den Wert einer Energie-Option verstehen, die große Mengen Strom erzeugen kann und bei der die variablen Kosten fast null sind, denn Wind kostet nichts. Das macht Deutschland unabhängig. Außerdem schafft die Offshore-Industrie viele Arbeitsplätze, nicht nur in Norddeutschland. Die Wertschöpfungskette ist über ganz Deutschland verteilt. Je mehr Projekte in Betrieb gehen, desto mehr Arbeitsplätze entstehen, denn die Anlagen müssen gewartet oder repariert werden. Das sind viele gut bezahlte Jobs.
Muss man auch über staatliche Förderung sprechen, damit die Betreiber auf chinesische Komponenten verzichten?
Ein neues Ausschreibungsmodell mit Differenzvertrag wäre ein Riesenschritt in die richtige Richtung. Das würde das Problem für viele Entwickler und Betreiber weitgehend lösen. Auf europäischer Ebene sind zudem eine ganze Reihe Initiativen geplant, um den Wettbewerb fairer zu gestalten. Die chinesischen Komponenten sind hauptsächlich so günstig, weil die Hersteller subventioniert werden und günstiges Kapital erhalten. Das betrifft nicht nur die Preise. Chinesische Hersteller bieten Konditionen an … manchmal muss man erst drei oder vier Jahre nach Baubeginn überhaupt bezahlen. So lange können andere Unternehmen im Stahlbereich nicht in Vorleistung gehen. Die müssen auch Material einkaufen.
Gäbe es in Deutschland und Europa die Kapazitäten, den Offshore-Ausbau ohne China zu stemmen?
Definitiv. Mingyang hat bisher keine Fertigung in Europa, aber das wird sicherlich EU-Auflage sein, wenn chinesische Turbinen hierzulande zum Einsatz kommen sollen. In dem Bereich haben Siemens und Vestas einen Vorsprung.
Brauchen wir angesichts des Solarbooms überhaupt noch so viel Offshore-Windenergie wie geplant?
Auf jeden Fall, weil die Erzeugungsprofile von Solar und Offshore-Windenergie gut ineinandergreifen: Den meisten Solarstrom gibt es im Sommer. In diesem Zeitraum takten die Offshore-Betreiber üblicherweise ihre Wartungskampagnen ein. Lässt die Sonne im Winter nach, laufen die Offshore-Anlagen. Wir sollten den Ausbau allerdings stärker darauf fokussieren, wie viele Volllaststunden man erreichen kann.
Volllaststunden?
Bei der finalen Ausbaustufe von 70 Gigawatt werden so viele Anlagen in die deutsche Nordsee gepresst, dass sie sich gegenseitig verschatten, also im Weg stehen. Dann produzieren sie weniger Strom im Jahr, das sind die Volllaststunden. Im Vergleich zu unserem Bruttostrombedarf haben wir schlicht zu wenig Meeresfläche. Die deutsche Nord- und Ostsee ist begrenzt. Wir müssen die Windparks anders als Dänemark nah beieinander bauen. Auch das beeinflusst das Bieterinteresse.
Könnte man unter guten Nachbarn nicht in Dänemark einen Windpark nur für Deutschland bauen?
Das haben wir und auch andere Branchenvertreter bereits vorgeschlagen, aber das erfordert diplomatische Gespräche. Diese haben meines Wissens bisher nicht stattgefunden.
Letzte Frage: Kommt die Offshore-Industrie bald wieder auf einen grünen Zweig?
Ich glaube, dass das Personal in Berlin die Botschaft der Auktion laut und deutlich verstanden hat. 90 Prozent niedrigere Erlöse sind eindeutig. Die Ausschreibung wird von der Bundesnetzagentur geleitet. Die hat sich 2023 enorm über die Vielzahl der Bieter gefreut und eine Pressemitteilung dazu herausgegeben. Das hat sie dieses Jahr nicht mehr gemacht. Diese Lektion ist angekommen.
Mit Karina Würtz sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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