Das Gezeter zum neuen Mindestlohn zeigt ein fundamentales Problem
Die Reaktionen auf die Mindestlohn-Erhöhung haben gezeigt, woran es in Deutschland zusehends mangelt: an der Wertschätzung des demokratischen Kompromisses.
Da gibt es eine Einigung von Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und schier niemand hält diese für respektabel. Mir gibt das zu Denken. Manchen Unternehmern steigt der Mindestlohn zu stark, der politischen Linken zu wenig, Ökonomen argumentieren für das ein oder andere. Und manche führen drohende Preissteigerungen respektive das Aus für heimische Beerenfrüchte ins Feld. Entscheidend scheint nur noch, Recht zu behalten. Geradezu zwanghaft.
Mindestlohn-Kompromiss ist vernünftig
Um es einmal klar und deutlich zu sagen: Die Mindestlohnkommission hat einen vernünftigen Kompromiss erzielt. Sie hat sich dem EU-weit angestrebten Ziel erkennbar angenähert, für Deutschland rechnerisch rund 15 Euro. Dies allerdings schrittweise, und mit mehr als zwei Jahren Planungssicherheit für die Unternehmen. Ja, es stimmt: Der Abstand zwischen Tarif- und neuem Mindestlohn verringert sich stellenweise. Eng wird es in Branchen von Event über Gastgewerbe bis zu manchem Handwerk. Weitsichtige Unternehmer sollten damit aber einen Umgang finden. Zetern über Lohnentwicklung ist jedenfalls kein Geschäftsmodell.

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Die Menschen, die Mindestlohn erhalten, zetern selten. Schon deshalb, weil sie kaum jemand fragt. Um acht Prozent werden ihre Bezüge ab nächsten Januar steigen. Ab 2027 nochmal um fünf Prozent. Was nach viel klingt, bildet die allgemeine Lohnentwicklung der vergangenen Jahre nach. Nicht mehr. Das ist gerecht. Und es ist tragfähig.
Verdient haben die geschätzt mehr als fünf Millionen Menschen, die am untersten Rand der Einkommensskala arbeiten, die Erhöhung allemal. Sie arbeiten hart für ihr Geld, sind nicht selten Stützen eines Betriebs. Selbst leisten können sie sich die Angebote, die sie selbst mit ermöglichen – etwa einen Restaurantbesuch oder eine Konzertkarte – nur ganz selten. Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung ist das Mindeste an Wertschätzung.
Und die Politik? Die Parteien der demokratischen Mitte, besonders die Sozialdemokratie, täte gut daran, den Kompromiss als Ergebnis, ja geradezu als Nachweis für das Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft zu verkaufen. Ein Kennzeichen guter Wirtschafts- und Sozialpolitik in Deutschland ist nämlich die Anerkennung der Autonomie der Sozialpartner – und im Zweifel deren Stärkung.
Ich bin weder gegen harte Verhandlungen noch gegen Debatte, auch nicht gegen fortgesetzte. Im Gegenteil. Aber zur demokratischen Debatte gehört für mich auch der grundsätzliche Respekt des kompromisshaft vereinbarten, des Erreichten. Es täte jeder kommenden Debatte gut. Und damit uns allen. Denn auf Kompromissverachtung und zwanghafter Rechthaberei gedeiht nur eines: der Extremismus.
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