Darum geht's: Genau vor 80 Jahren wurde die Charta der Vereinten Nationen verabschiedet. Wenn sie heute in den Nachrichten erwähnt wird, dann meist, um darauf hinzuweisen, dass ein Ereignis – ein Raketenangriff, eine Invasion oder die Annexion eines Territoriums – gegen ihre Grundsätze verstösst. Was ist also von diesem Text wirklich übriggeblieben?

Was ist die UNO-Charta? Der Gründungstext der UNO wurde am 26. Juni 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, an einer Konferenz in San Francisco von 50 Staaten unterzeichnet. Die Charta bildet die Grundlage des heutigen Völkerrechts und formuliert dessen Grundprinzipien. Dazu gehören die Souveränität der Staaten, die Rechtsgleichheit zwischen den Nationen, das Verbot der Gewaltanwendung – ausser zur Selbstverteidigung oder durch Beschluss des Sicherheitsrats –, die Achtung der Menschenrechte und die internationale Zusammenarbeit. Die Charta ist gewissermassen die Verfassung des multilateralen Systems.

Legende: An einer Konferenz in San Francisco arbeiteten 1945 Delegationen aus 50 Staaten am Inhalt der UNO-Charta. Keystone/Photopress-Archiv/STR

Wozu dient die Charta? Ihr Hauptziel ist die Förderung des Weltfriedens. Diese Aufgabe wird in erster Linie dem Sicherheitsrat zugeschrieben, namentlich seinen fünf ständigen Mitgliedern China, USA, Frankreich, Grossbritannien und Russland.

Wird die UNO-Charta heute eher missachtet als in der Vergangenheit? Wenn man die Nachrichten liest – unter anderem die kürzlichen Angriffe Israels und der USA auf das iranische Atomprogramm sowie die immer noch andauernde russische Invasion in der Ukraine –, gewinnt man den Eindruck, dass die UNO-Charta heute weniger respektiert wird als in der Vergangenheit. «Das ist tatsächlich der Eindruck, den man gewinnt», sagt Vincent Chetail, Professor für Völkerrecht am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf. «Aber wenn man einen Schritt zurücktritt, erkennt man, dass es nicht neu ist, dass Grossmächte das Völkerrecht verletzen.» Im Lauf der Jahrzehnte haben mehrere Mächte die Charta missachtet. Zum Beispiel im Koreakrieg ab 1950, im Vietnamkrieg mit der Intervention der USA in den 1960er-Jahren, bei der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 oder dem Irakkrieg, der ab 2003 von Washington und seinen Verbündeten geführt wurde.

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Was hat sich im Vergleich zu früher verändert? Laut Chetail sind Verstösse heute sichtbarer als früher, besonders durch die sozialen Netzwerke. Es gebe in der Öffentlichkeit ein grösseres Bewusstsein und Wissen über das Völkerrecht, die Verstösse würden stärker anprangert. «Beunruhigend ist jedoch, dass man den Eindruck hat, die Mächtigen verletzen das Recht, ohne sich auch nur die Mühe zu geben, sich zu rechtfertigen», fügt der Professor hinzu.

Hat die Charta trotz allem noch eine Bedeutung? Die Tatsache, dass sich Staaten immer wieder auf sie berufen, um sich zu verteidigen, zeigt ihre symbolische Bedeutung. So beruft sich China regelmässig auf die in der Charta verankerten Grundsätze der Souveränität und Nichteinmischung, um der Kritik entgegenzutreten, es missachte die Menschenrechte. Vor allem für kleinere Länder wie die Schweiz ist es von besonderer Bedeutung, dass die Charta weiterhin gilt. «Mächtige Staaten können sich mit dem Recht des Stärkeren zufriedengeben», betont Chetail. «Darum ist die UNO-Charta ein Stabilitäts- und Sicherheitsfaktor für schwächere Länder.»

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