Künstliche Intelligenz geht selbstständig auf Einkaufstour - Bezahlung inklusive? Autos begleichen die Rechnungen an der Tankstelle und an Mautstationen ganz von allein? Für viele Menschen sind das heute noch befremdliche Visionen. Für Albrecht Kiel sind es die nächsten Etappen im Geschäftsplan.

Seit Ende 2015 ist er Zentraleuropachef des US-Konzerns Visa, der zu den Sponsoren des Rankings „THE POWER LIST“ der Premium-Gruppe aus Business Insider, Politico und WELT zählt. Kiel will Menschen und Unternehmen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Beneluxtstaaten seit Ende 2015 von den Vorteilen des digitalen Bezahlens überzeugen. Zuvor arbeitete er in der Konsumgüter-, Medien- und Versicherungsbranche sowie als Unternehmensberater.

WELT: Herr Kiel, Gespräche mit Ihnen fangen oft mit der gleichen Frage an: Wollen Sie oder wollen Sie nicht?

Albrecht Kiel: Ich weiß, was Sie meinen. Und die Antwort ist: Nein, wir wollen das Bargeld nicht abschaffen. Jede Bezahlform hat ihre Berechtigung, wenn Kunden sie wünschen.

WELT: Visa arbeitet seit Jahrzehnten daran, die Deutschen von Varianten zum physischen Zahlungsverkehr zu überzeugen. Wie kommen Sie voran?

Kiel: Wir hatten Ende 2024 rund 17 Millionen Visa-Debitkarten ausgegeben, die mit Visa gezahlten Ausgaben der Verbraucher sind in unserem vergangenen Finanzjahr um 15 Prozent gestiegen. Die Anzahl der von uns abgewickelten Transaktionen ist sogar um 22 Prozent gewachsen.

Das liegt auch an der erhöhten Akzeptanz: Die Zahl unserer Zahlungsterminals in Deutschland ist 2024 um knapp 300.000 gestiegen. Vor allem kleinere Händler und Gastronomen erkennen, dass Kunden heute auch geringere Beträge per Karte oder Smartphone bezahlen wollen.

WELT: Die neue Regierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zum Bargeld als Zahlungsmittel, langfristig soll zudem eine digitale Bezahlmethode angeboten werden. Zeitweise war auch eine Verpflichtung zur bargeldlosen Geschäftsabwicklung im Gespräch. Sind Sie enttäuscht, dass die es nicht in die finale Version geschafft hat?

Kiel: Nein. Wir glauben daran, dass sich in der Marktwirtschaft das beste Produkt durchsetzt. Und da haben wir viele Argumente auf unserer Seite. Ohne digitales Bezahlen gibt es schlicht keine digitale Wirtschaft. Und in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig Alternativen zu analogen Angeboten auch für kleine Unternehmen sind.

WELT: Spüren Sie als Vertreter eines amerikanischen Unternehmens mehr Misstrauen, seit Präsident Donald Trump auch die europäischen Länder attackiert und irritiert?

Kiel: Visa ist in erster Linie ein globales Unternehmen mit einer globalen Kultur und starker lokaler Präsenz. Wir sind seit Jahrzehnten in Europa vertreten und beschäftigen hier über 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben ein dichtes Netz von Partnern aufgebaut, die uns kennen und uns vertrauen.

WELT: So richtig trauen ihnen die Europäer offenbar nicht. Projekte wie der digitale Euro und die Bezahllösung Wero sollen die Abhängigkeit von dominierenden amerikanischen Anbietern wie Visa, Mastercard und Paypal reduzieren.

Kiel: Als Europäer kann ich einige Überlegungen hinter diesen Projekten durchaus nachvollziehen. Der Anteil internationaler Kartenanbieter an den bargeldlosen Zahlungen von Verbrauchern innerhalb der Europäischen Union liegt aber nur bei etwa 35 Prozent. Der Wettbewerb ist hier so intensiv wie nie zuvor.

Entscheidend wird sein, ob die Verbraucher einen Nutzen in den neuen europäischen Bezahlinitiativen sehen und ihnen vertrauen. Visa hat in den vergangenen fünf Jahren allein zwölf Milliarden US-Dollar in Technologie investiert, die die Sicherheit vor Cyberangriffen erhöht und Betrug reduziert. Mit unserem extrem resilienten System stellen wir uns gerne dem Wettbewerb.

„Wir stehen als Partner bereit“

WELT: Wird dieser fair sein, wenn ihr Konkurrent letztlich die Europäische Zentralbank ist?

Kiel: Davon gehe ich aus. Wir arbeiten mit Zentralbanken zusammen und stehen auch als Partner für das Thema digitale Währungen bereit. Unser Geschäftsmodell basiert darauf, unsere Innovationen rund um Sicherheit und neue Bezahlmethoden mit unseren Partnern zu teilen. Hier lassen wir nicht nach: In einem kürzlich abgeschlossenen Projekt in Großbritannien konnten wir zum Beispiel die Betrugserkennung bei Echtzeitüberweisungen nochmals um mehr als 50 Prozent steigern, nachdem die Transaktionen bereits die strengen Systeme der Banken durchlaufen hatten.

WELT: Welche Neuerungen bewegen Sie aktuell besonders?

Kiel: Aktuell führen wir unser Angebot Flexible Credential weltweit ein. Bei diesem können Nutzer über eine App zwischen verschiedenen Zahlungsmethoden wechseln und Regeln einstellen, wann per Debitkarte, Kreditkarte, per Ratenzahlung oder auch mit Prämienpunkten bezahlt werden soll. Letztlich will und wird Visa aber auch künftig überall dort sein, wo Geld bewegt wird. Das zeigen zum Beispiel auch unsere Projekte mit Autoherstellern, bei denen nicht mehr der Fahrer, sondern das Auto selbst bezahlt – und das nicht nur an Tankstellen, sondern auch für Maut-Vignetten. Außerdem bereiten wir uns darauf vor, dass künstliche Intelligenz das Einkaufsverhalten radikal verändern wird.

WELT: Inwiefern?

Kiel: Wenn sie künftig einen Kindergeburtstag planen oder Freunde zum Essen einladen, wird der KI-Assistent die Liste der notwendigen Einkäufe erstellen und diese auch selbst besorgen. Das Gleiche gilt für Reisebuchungen. Aktuell scheitert das noch daran, dass künstliche Intelligenz noch nicht bezahlen kann. In Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Open AI, Perplexity und dem europäischen Unternehmen Mistral AI entwickeln wir eine Lösung, die genau das ermöglichen soll.

WELT: Die Vorstellung einer künstlichen Intelligenz auf Shoppingtour dürfte viele Menschen zunächst eher abschrecken als begeistern.

Kiel: Bei unseren Partnern registrieren wir sowohl Skepsis wie Enthusiasmus. Wir wissen auch, dass nicht alle Kunden das Angebot sofort nutzen werden. Entscheidend ist, dass es ebenso reibungslos wie sicher funktioniert und dass sich auch mögliche Unstimmigkeiten angemessen regeln lassen. Das Thema ist sehr komplex, aber es wird funktionieren.

WELT: Wir sind gespannt. Wann geht es los?

Kiel: Wir wollen das Angebot im Laufe des Jahres zunächst in Nordamerika einführen.

WELT: Ein vor allem politisch komplexes und sehr kontrovers diskutiertes Projekt ist die Bezahlkarte für Flüchtlinge. Haben Sie das unterschätzt?

Kiel: Wir sind sehr erfreut darüber, wie sich das Projekt entwickelt. Immerhin 15 von 16 Bundesländern haben sich für das gemeinsame Angebot von Visa und unseren Partnern entschieden. Und erste Untersuchungen zeigen, dass sich der Verwaltungsaufwand bei der Auszahlung von Sozialleistungen mit der Bezahlkarte um bis zu 90 Prozent reduzieren lässt.

WELT: Die Skepsis ist aber immer noch groß

Kiel: Es ist typisch menschlich, Veränderungen zunächst skeptisch zu betrachten. Und es mag sein, dass wir in Deutschland besonders dazu neigen, eher Bedenken zu äußern als Chancen zu sehen. Die Bezahlkarte gestaltet den Prozess aber letztlich für alle Beteiligten einfacher und angenehmer. Sie kann aus meiner Sicht ein Signal für digitale Verwaltung und Bürokratieabbau sein.

WELT: Darum soll sich in der neuen Regierung erstmals auch ein Digitalminister kümmern. Wie sind Ihre Erwartungen?

Kiel: Ich halte es für sehr sinnvoll, dem Thema einen zentralen Stellenwert zu verschaffen und die Kompetenz zu bündeln. Diese ist in Deutschland reichlich vorhanden. Es ist keinesfalls so, dass wir bei den wichtigsten Zukunftsthemen hoffnungslos abgehängt wären.

WELT: Sehen Sie das auch für die gesamte deutsche Wirtschaft so?

Kiel: Ja, wir sollten uns bewusst machen, dass bei allen Problemen längst nicht alles so schlecht ist, wie es derzeit manchmal dargestellt wird. In Deutschland gibt es exzellente Universitäten und Forschungsinstitute, hervorragend ausgebildete Fachkräfte, ein stabiles Rechtssystem und eine gute Diskussionskultur. Ich spüre in vielen Gesprächen Aufbruchstimmung und den Willen, das Land wieder nach vorne zu bringen. Die Chance ist da. Wir müssen uns nur anstrengen.

Cornelius Welp ist Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Er schreibt über Banken, Versicherungen und Finanzinvestoren und Unternehmen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke