Deutsche Bahn: Huch, wir bauen zu viel!
Die Bahn hatte uns eindringlich gewarnt. Es würde wehtun, schlimmer werden als bisher schon. Denn wer baut, bringt den Betrieb durcheinander. Und wer viel baut, sorgt für viel Durcheinander. Umleitungen, Ersatzverkehre, Fahrplanänderungen, Zugausfälle, geplatzte Anschlüsse. Wir müssten mit dem Ersatzbus fahren, geduldig warten, im Schritttempo hinter Güterzügen her bummeln. Und uns damit abfinden, zu spät zu kommen. Mit anderen Worten: Wir würden der Bahn viel verzeihen müssen.
Die meisten von uns waren bereit dazu. Denn an sich ist Bahnfahren ja cool, umweltfreundlich, entspannter als Autofahren. Die Zeit im Zug lässt sich gut nutzen. Und die Bahn köderte uns mit einem Versprechen: Ein neues Baukonzept, Generalsanierung genannt, sollte uns mit der Bahn (und ihren Baustellen) versöhnen. Fünf, sechs stressige Jahre und dann wären die Züge wieder pünktlicher und verlässlicher. Großes Bahnehrenwort. Wir würden die Zukunft zulasten der Gegenwart retten.
Großes Bahnehrenwort
Der Plan der Bahn – er klang ganz überzeugend. Bis 2030 würde sie die marodesten Strecken ihres Bahnnetzes von Grund auf sanieren und modernisieren: 42 Korridore mit rund 4200 Kilometern. Der Clou: Statt über Jahre mit vielen kleinen Baustellen zu stören, würde alles auf einmal gemacht – dafür aber die Strecke für mehrere Monate am Stück gesperrt. Teuer zwar, aber effektiv. Danach wäre für viele Jahre Ruhe, keine großen Störungen mehr wegen kaputter Oberleitungen, uralter Stellwerke oder wackliger Weichen. Die Großsanierung würde sich bezahlt machen im gesamten Netz. 75 bis 80 Prozent der ICEs sollten in nicht allzu ferner Zukunft pünktlich fahren, umwarb uns die DB. Vor unserem geistigen Auge glitten die ICEs geschmeidig und unaufhaltsam durch Deutschland.

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Und die Bahn strengte sich an, mit der "Riedbahn" gelang im vergangenen Jahr das Erstlingswerk. Die neue Regierung schuf ein Sondervermögen für die Infrastruktur, der größte Batzen davon fließt an die DB. Geld ist da, reichlich. Doch nun zieht die Bahn selbst die Notbremse. "Zu viel Baugeschehen", heißt es. Man wolle die Projekte strecken, weniger belastend bauen, die Generalsanierung neu ausbalancieren. Den Kunden sei das nicht länger zumutbar.
Ein Jahr und die Bahn macht schlapp. Doch mit uns Kunden kann sie sich nicht herausreden. Natürlich sind wir genervt und ein paar von uns steigen auch lieber ins Auto. Im ersten Quartal blieben vier von zehn Plätzen frei im ICE. Ein bisschen leerer als im Jahr zuvor.

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In Wahrheit scheitert die Bahn an sich selbst. 42 Generalsanierungen bis 2030 waren von Anfang ambitioniert. Eine knappe Kiste. Doch die Bahn selbst hatte das Ziel ausgegeben, kalkuliert und entsprechend viel Geld eingefordert. Sie wollte groß und langfristig planen, so dass die Bahn-Bauindustrie endlich Kapazitäten hochfahren würde. Denn die sind knapp, nur wenige Firmen können das stemmen.
Punkt der Unmöglichkeit
Klar war auch, dass es überall im Netz viel zu flicken gibt, Einzelfehlerbeseitigung, nennt die Bahn das. Als Grund für den Aufschub führt die DB nun auch noch an, dass die Qualität ihrer Anlagen im Hochleistungsnetz noch "schlechter als geplant" sei. Das will sie gerade entdeckt haben. Soll wohl heißen: Noch mehr zu bauen als gedacht. Man komme jetzt an einen Punkt der Unmöglichkeit, heißt es intern.
Das Baustellenmanagement der DB ist schlicht überfordert. 100.000 Baustellen sind nun auch keine Kleinigkeit. Ein Hilferuf, der dennoch verwundert. Denn dass der Zustand ihrer Infrastruktur richtig mies ist, hatte die DB doch schon 2021 eingeräumt. Daraufhin war die Generalsanierung doch erst ins Leben gerufen worden. Plötzlich noch schlimmer – kann das wirklich sein? Und hatte nicht erst jüngst der DB-Infrago-Chef gejubelt, dass der weitere Verfall gestoppt sei, man nun erstmals vor der Welle sei.
Die Bahn nervt uns. Doch wir halten das aus. Nur bitte, zieht es doch endlich durch!
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