Ein Roman, eine TV-Serie, zwei Graphic Novels, Ausstellungen, diverse Erinnerungsbücher: Karl Lagerfeld kommt sechs Jahre nach seinem Tod nicht zur Ruhe. Dabei wird es Zeit.

Karl Lagerfeld hat nur sehr ungern über seinen Tod gesprochen, geschweige denn sich darüber Gedanken gemacht, was nach seinem Ableben geschehen könnte. "Mit mir hat es begonnen, mit mir ist es vorbei", war der gängige Satz, den man auf derlei Fragen zu hören bekam. Auch, dass es kein Begräbnis geben würde und keine der Öffentlichkeit bekannte Grabstätte, er wolle, wie die Tiere, in den Dschungel gehen und nicht mehr wiederkehren, soll er seinem Assistenten Sebastian Jondeau als Anweisung hinterlassen haben. Die Idee, dass Menschen an sein Grab pilgern, war ihm ebenso ein Gräuel wie die Vorstellung, dass andere posthum an seinem Werk herum dilettieren.

Modedesigner Assistent verrät, warum Karl Lagerfeld kein Grab hat

Bestattungsunternehmer empfehlen ihrer Kundschaft das Einrichten von Grabmälern nicht bloß aus finanziellem Eigeninteresse, sondern auch aus psychologischen Gründen. Hinterbliebene brauchen einen Ort zum Trauern, aber auch einen Platz, an dem man seine Trauer lassen und auch hinter sich lassen kann. Die Hinterbliebenen Lagerfelds sind wir alle, die ihn bewunderten. Und ihm seit seinem Abgang vor sechs Jahren keine Totenruhe gönnen.

Lagerfelds Leben als literarischer Steinbruch 

 "Wo bist du?", rief er, zuerst verhalten, von Zimmer zu Zimmer schleichend. "Wo bist du?!", wiederholte er immer lauter. "Komm heraus und begrüße mich! Du bist nur eine Katze, ich bin der Hausherr. Ich finde es unwürdig, Haustiere zu halten. Ich würde mir niemals freiwillig ein Tier zulegen, da dann jeder sofort wüsste: Karl Lagerfeld ist einsam. Ich bin nicht einsam. Wo bist du?"

Diese dramatisch schlecht geschriebenen Zeilen entstammen dem gerade erschienenen Kolportageroman "Karl" des österreichischen Autors Michael Wallner. Man kann es sich kaum ausdenken, was Lagerfeld selbst davon gehalten hätte, Hauptfigur eines – nicht bloß sprachlich – mangelhaften Boulevardromans zu werden. Ausgerechnet er, der literarisch höchste Ansprüche pflegte, Alfred Polgar liebte, Tolstoi, Elisabeth von Arnim, Balzac und Virgina Woolf. Nun also von einem Herrn Wallner aus der Steiermark verhackstückelt.

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Der 2019 verstorbene Modestar hätte sich die Augen gerieben, wie umfangreich, vor allen Dingen aber skurril sein Nachleben ausfallen würde. Lagerfeld war schon zu Lebzeiten eine Art literarische Figur geworden, allerdings gab es nur einen Autor, Lagerfeld selbst. Kaum war der Modezar unter der Erde, oder in seinem Fall vermutlich eher irgendwo verstreut, fingen alle möglichen Menschen an, sich seiner Lebensgeschichte zu bemächtigen. 

Ausschnitt aus der Graphic Novel "Karl Lagerfeld" von Michele Botton. Eine weitere ist von Simon Schwartz erschienen

Dass ihn der Schauspieler Daniel Brühl in einer Disney-Serie verkörpern würde, hätte ihn vielleicht amüsiert, dass zeitweilige enge Weggefährten wie Marietta Andreae, Sebastian Jondeau oder Baptiste Giabiconi ihre Erinnerungen zwischen Buchrücken packen würden, war vorauszusehen und hat seine redliche Berechtigung. Und natürlich gereichte ihm die von Anna Wintour gestaltete Met Gala 2023 zu Ehren.

Wie viele Bücher müssen noch geschrieben werden?

Der Modechef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Alfons Kaiser, hat eine umfassende und in ihrer Akribie sehr deutsche Lebensbilanz verfasst. Nun kommt diese, warum auch immer, auch noch als Graphic Novel des Illustrators Simon Schwartz auf den Markt. Eine andere ist bereits veröffentlicht. Die vermutlich rauschendste Biografie ist bislang in den USA erschienen: Die französische Journalistin Marie Ottavi hat mit "A Fashion History" eine launige Anekdotensammlung von Lagerfelds Leben und Wirken vorgelegt. Der große Dokumentar Gero von Böhm, der Lagerfeld immer wieder persönlich vor der Kamera hatte, liefert soeben eine filmische Gesamtsicht auf dieses außergewöhnliche Leben, und danach hätte man hoffen können, es sei endlich alles gesagt.

Doch leider ist es so nicht, manches, was da erscheint, erfüllt inzwischen den Tatbestand der Störung der Totenruhe. In Lagerfelds Heimatstadt Hamburg wurden belanglose Modeskizzen ausgestellt und zur exklusiven Präsentation hochgejazzt. Zum Verkauf seiner französischen Villa werden erneut Homestorys publiziert. Irgendjemand designt so recht und schlecht an der Modemarke weiter, die seinen Namen trägt, und irgendwer betreut auch den Instagram-Kanal seiner Katze Choupette und befüllt diesen mit beschämend dämlichen Texten. Kostprobe (anlässlich seines Geburtstags): "Du bist weit weg, aber du bist überall, in jedem Glanz finde ich deine Stimme zurück, in jeder Nacht spüre ich deine Hand, und in jedem Augenblick liebe ich dich noch mehr. Bonne fête, Papa. Ton étoile veille sur moi. Je t'aime, Choupette."

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Ich würde sagen: Es reicht! Dieses große und schillernde Leben ist genug ausgeleuchtet worden, es ist alles erzählt, es bedarf keiner weiteren Deutung und Umsetzung und schon gar keiner Fortführung durch Unberufene. Wer ihn bewunderte und verehrte, würde gut daran tun, seiner Seele Ruhe zu gönnen. In diesem Sinne: Adieu, Karl!

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