Fernsehinterview mit Chimamanda Ngozi Adichie. Plötzlich wird eine Tür aufgerissen und lauthals zugeknallt. Ein Mann stampft durch den Raum, kläfft auf das verdatterte «Entschuldigung, wir drehen hier. Draussen hängt ein Schild!»: «Tja, hab ich nicht gesehen!»! Eine zweite Tür wird ins Schloss geballert.

Der Weltliteraturstar Adichie will eine Übersetzung des eben Gesagten. Sie holt tief Luft. Und sagt: «Für diese Art von männlicher Energie habe ich keine Geduld.»

Botschafterin des Feminismus

Die nigerianische Schriftstellerin ist für das Literaturfestival in Zürich. Seit Monaten reist die 47-Jährige um die ganze Welt, mit ihrem neuen Roman «Dream Count».

Chimamanda Ngozi Adichie hat 4 Romane veröffentlicht, ihre Bücher verkaufen sich millionenfach, werden in mehr als 50 Sprachen übersetzt. Das «Times Magazine» kürte sie zu einem der einflussreichsten Menschen 2015.

Adichie ist im letzten Jahrzehnt zu einer feministischen Ikone geworden, die mit Angela Merkel oder Michelle Obama auf Podien diskutiert.

Legende: Der grosse internationale Durchbruch gelang Chimamanda Ngozi Adichie 2013 mit dem Roman «Americanah». (Bild: Literaturfestival Zürich 2025) Livio Baumgartner

Vor der Buchtour mit «Dream Count» war es still um sie. Interviews waren selten. Umso erstaunlicher, dass ein Gespräch an ihrem einzigen Termin in der Schweiz möglich ist.

Private und globale Umwälzungen

Zwölf Jahre lang gab es keinen Roman mehr von Chimamanda Ngozi Adichie. Es sind Essays erschienen, ein Kinderbuch. Adichie hielt Reden an Universitäten, schrieb im Internet gegen die von ihr verhasste Cancel-Culture an. Sie kritisierte die moralische Absolutheit in jungen progressiven Kreisen.

Die Ideen, die Figuren für Romane waren da. Aber: «Ich hatte eine schreckliche Schreibblockade», sagt die Autorin. «Dieses Gefühl der Hilflosigkeit war grauenhaft.»

In dieser Zeit hat sie Kinder gekriegt, Donald Trump wurde zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt, die Welt von Coronavirus für Monate lahmgelegt.

Und heute, Frau Adichie?

Wie schaut jemand wie Adichie auf eine heutige Welt der Tates, Trumps und Weinsteins? «Wir leben in einer modernen Gesellschaft, die gerne glaubt, viele Fortschritte gemacht hat zu haben.» Das habe sie auch. «Aber die Welt ist immer noch durchdrungen von Misogynie.»

Viele reden über MeToo, als wäre es eine Bewegung, die nun erledigt ist, anstatt der Anfang von etwas.
Autor: Chimamanda Ngozi Adichie Schriftstellerin

Adichie gilt seit 2012 als popkulturell gefeiertes Sprachrohr für Frauenrechte. Seit ihrem viralen TED-Talk «We should all be feminists», fünf Jahre vor dem berühmten Me-Too-Hashtag, steht sie für einen Feminismus, der greifbar und global wirkt. Sie forderte, dass Jungen und Mädchen anders erzogen werden. Gerechtere Strukturen kämen allen zugute.

Heute sei es noch immer ein weiter Weg. «Wir machen einen Schritt vorwärts und dann wieder einen zurück.» Die Me-Too-Bewegung war in ihren Augen ein Funke, der nicht so recht gezündet hat. «Viele reden über Me-Too, als wäre es eine Bewegung, die nun erledigt ist, anstatt der Anfang von etwas.» Ob Männer nun gleich aktiv über Geschlechterfragen nachdenken? «Ich bin nicht sicher.» Oft sei es sehr defensiv. Das störe sie.

Die Schriftstellerin und die Mutter

Über ihre Rolle als Mutter redet sie gerne. Wenn es um ihre Familie geht, ist Adichie aber vorsichtig, nicht zu viel preiszugeben. Sie möchte ihre Kinder schützen.

Mit ihrem Mann, einem nigerianischen Arzt, hat sie mittlerweile drei Kinder. Eine bald 10-jährige Tochter und einjährige Zwillinge, zwei Söhne. Die Leihmutterschaft, mit der sie zu den Zwillingen kam, thematisiert sie, weil sie will, «dass Frauen sich weniger schämen, auf nicht traditionelle Weise Mutter zu werden». Das sagte sie in einer Rede in Nigeria.

Auch in progressiven Kreisen existiere ein noch immer zu eindimensionales Bild, was eine Frau sein kann. «Ja, ich bin Mutter. Und es ist herrlich. Aber mich zeichnen noch viele andere Dinge aus.» Ihr Vorbild war ihre Mutter, Grace Ifeoma Adichie. Sechs Kinder hat sie grossgezogen, war gleichzeitig die erste Beamtin in der Universitätsverwaltung von Nsukka.

Feminismus ist meine Art, zu träumen.
Autor: Chimamanda Ngozi Adichie Schriftstellerin

Ihre Mutter ist, neun Monate nach ihrem Vater, 2021 gestorben. «Es hat meine Seele zerstört», sagt Adichie.

Trotz schwerer Themen, des streng getakteten Zeitplans – und lauter Unterbrüche – gibt es mit Adichie immer wieder viel Raum für Leichtigkeit. Für Lacher. Sie erzählt von den ertragbaren Kochkünsten ihres Mannes, der bis vor Kurzem «nicht mal wusste, wie Estragon schmeckt». Von nervtötender Einschlafmusik, die bei ihr absolut nichts bringt. Von Dating-Apps, von denen sie Freundinnen abrät. «Alle sollten davon weg. Die taugen nichts!»

Frauen mehr Stärke zugestehen

Zurück zum Thema der Männer in der Krise. Sie stösst einen Seufzer aus und stützt den Kopf in die rechte Hand ab. Macht es sich ab der unbequemen Frage bequem auf dem Sofa.

Sie sei jetzt auch Mutter von Jungs. Ihr sei klar, dass Männer es nicht einfach haben. «Wir sagen Jungs, was sie nicht tun sollen. Aber nicht, was sie tun sollen.» Junge Männer weltweit bräuchten gute Vorbilder. «Barack Obama sollte einen Youtube-Kanal starten», konstatiert Adichie.

Was sie von der Netflix-Serie «Adolescence» halte? Die Serie, in der ein Teenager eine Mitschülerin ermordet, nachdem er sich im Netz von sogenannten Männlichkeit-Influencern radikalisieren liess.

«Wichtiges Thema», sagt sie. Aber: «Ich mochte die Darstellung der Psychologin, die den Jungen im Gefängnis befragt, nicht.» Diese versucht, zum Jungen vorzudringen, er schreit sie nieder. Sie wirkt eingeschüchtert. Klar sei dieser «male rage» gefährlich, «aber Angst ist nicht die einzige akzeptable Antwort. Frauen sollte mehr Stärke zugestanden werden».

Unerschütterliches Selbstbewusstsein

Im Laufe des Gesprächs wird klar, dass Chimamanda Ngozi Adichies wirksamstes Werkzeug ihr unerschütterliches Selbstvertrauen ist. Sie pocht auf Selbstwirksamkeit. Fokussiert stets auf die eigene Handlungsfähigkeit.

Es klingt abgedroschen, aber Adichie nimmt man es ab, dass sie es satt hat, «als Frau permanent um die Gunst von Leuten zu buhlen, die ich nicht einmal mag».

Nicht jeder und jedem fällt das so leicht, könnte man einwenden. «Ja, aber es ist möglich, Selbstbewusstsein vorzutäuschen, wenn es um Sexismus geht.» Sie habe auch oft Angst. Aber tue es trotzdem. «Ich wäre zum Mann, der hier hereingeplatzt war, hin und hätte gesagt: Das war unhöflich!»

Wenn man etwas nicht möge, dann sei es nicht genug, es zu kritisieren. «Feminismus ist meine Art, zu träumen.» Es gehe darum, sich vorzustellen, wie die Welt anders sein könnte.

«Ich werde es wohl nicht mehr erleben, dass Frauen wirklich gleichberechtigt sind. Aber ich kann es mir vorstellen.» Ihre Fantasie sei schon immer ihr «happy place», ihr Wohlfühlort, gewesen.

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