Eine Tonleiter oder einen Lauf ebenmässig zu spielen, ist für Profipianisten eine Selbstverständlichkeit. Passagenwerk aber erzählerisch zu gestalten, ist hohe Kunst. Eine, die der Jahrhundertpianist Alfred Brendel mustergültig beherrschte.

Er verfügte über unzählige Klangnuancen und erreichte mit seinen Artikulationen und Phrasierungen ein musikalisches Parlando, welches seinesgleichen sucht. Nichts in seinem Spiel war zufällig, alles wohlüberlegt und tief empfunden.

Kunst braucht Intellekt

Eines seiner wichtigsten Credos war, dass wahre Kunst nur mit Intellekt entstehen könne. Ohne diesen sei ein Kunstwerk amateurhaft, selbst wenn es sonst mit noch so viel Liebe und Leidenschaft gemacht sei. Er selbst durchdrang die Musik denn auch intellektuell und emotional, sie strömte beim Spielen sogar sichtlich durch seine Gesichtszüge.

Legende: Alfred Brendel, ganz in seinem Element, sitzt 1971 im Herkulessaal in München am Flügel – hochkonzentriert, versunken in die Musik, als würde er mit jeder Note ein kleines Universum erschaffen. IMAGO / Michel Neumeister

Er studierte unter anderem in Graz bei Ludovika von Kaan und besuchte später Meisterkurse bei Eduard Steuermann und Edwin Fischer. Bereits als Teenager nahm er auch Kompositionsunterricht.

Wiener Klassik als Schwerpunkt

Schon in jungen Jahren machte er mit ausgeklügelten Konzertprogrammen auf sich aufmerksam, integrierte die damals neue Klassische Moderne in seine Klavierabende oder kombinierte polyphone Werke aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Mit dem Gewinn eines Preises beim Busoni-Wettbewerbs 1949 gelang ihm der internationale Durchbruch.

Die Musik der Wiener Klassik bildete den Schwerpunkt in seinem Repertoire. Er spielte als erster sämtliche Klavierwerke Beethovens ein, nicht «nur» dessen 32 Klaviersonaten. Der Kosmos dieser Sonaten beschäftigte ihn zeitlebens: Er nahm sie dreimal komplett auf, ergründete ihre Geheimnisse, feilte an deren Charakteristiken und schaffte es, seine Interpretationen stets zu verfeinern.

Legende: Alfred Brendel bei seinem Abschiedskonzert im Wiener Musikverein, Dezember 2008. Keystone/APA/DIETER NAGL

Auch seine Einspielung der Klavierkonzerte Mozarts gilt als Referenzaufnahme. Er brachte die Klaviersonaten von Franz Schubert zurück ins Bewusstsein der Klavierwelt, rehabilitierte die teils als blosse Virtuosenmusik verschrienen Werke Franz Liszts, protegierte aber auch das Klavierkonzert von Arnold Schönberg. Durch seine zahlreichen Aufnahmen wurde sein Spiel weltweit noch bekannter, bei Tonmeistern war er allerdings berüchtigt für seine Perfektionsansprüche.

Er verfolgte während sechs Jahrzehnten eine glänzende internationale Konzertkarriere und spielte mit den bedeutendsten Musikern und Ensembles, wie auch mit seinem Sohn, dem Cellisten Adrian Brendel. Seine Suggestionskraft und sein unbedingter Ausdruckswille machten seine Klavierabende zu intensiven Ereignissen, welche nachhaltig in Erinnerung blieben.

Ein Mentor und Autor

2008 trat Brendel von der Konzertbühne ab und widmete sich der Musik fortan in Vorlesungen oder Meisterkursen. Er wurde zum Mentor für nachfolgende Generationen, wie für den Tessiner Pianisten Francesco Piemontesi.

In Büchern hielt er seine Gedanken über Musik fest: Überlegte sich etwa, ob es eigentlich lustige Musik gebe, wie die letzten Klaviersonaten von Franz Schubert motivisch verbunden sind oder erklärte, wie man dem Klavier bestimmte orchestrale Farben entlocken kann. Und der an allen Künsten interessierte Brendel war auch mit dem Stift ein Poet: Er verfasste Gedichte, in welchen er seinen hintersinnigen, manchmal skurrilen Humor zeigte.

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