«One to One: John & Yoko» zeigt, wie progressiv das Paar 1972 war
Wie elektrisierend die Stimmung in einem Stadion ist, spürt man innert Sekunden. Auch wie gut performt wird, erschliesst sich einem meist in kurzer Zeit. Für die Beurteilung des Wesentlichen brauchen wir dagegen etwas länger: Ob ein Event bedeutend oder gar einzigartig ist, zeigt sich oft erst im Nachhinein.
Als John Lennon am 30. August 1972 im Madison Square Garden sein erstes abendfüllendes Konzert nach dem Ende der Beatles gab, ahnte niemand, dass dies auch sein letztes sein würde. Schliesslich sprühte der frisch nach New York Umgesiedelte damals nur so vor Tatendrang.

Gemeinsam mit seiner grossen Liebe nahm der Liverpooler an politischen Märschen teil, protestierte lautstark gegen den Vietnamkrieg und sammelte Geld für wohltätige Zwecke. Zum Beispiel für die Eins-zu-eins-Betreuung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, auf die sich der Titel des Benefizkonzerts «One to One» bezieht. Kevin Macdonalds gleichnamiger Film bildet aber nicht nur dieses ab. Die Doku bietet vielmehr ein Panoptikum der 1970er-Jahre mit den Anarchos John Lennon und Yoko Ono im Mittelpunkt.
Zeitgeist der frühen 70er
18 Monate lang lebten «John & Yoko», wie der Film sie im Titel nennt, in einer winzigen Wohnung im Künstlerviertel Greenwich Village. Dort musizierten sie, trafen Gleichgesinnte und schauten viel fern.

Regisseur Kevin Macdonald nutzt das, was die zwei auf der Mattscheibe sahen, als Quelle für seine Doku; um die Zeit zu verdichten, in der sie lebten. Es war die Ära des Vietnamkriegs, der Bürgerrechtsbewegung und der gesellschaftlichen Spaltung. Während die Kritik der Progressiven am Establishment immer lauter wurde, erreichten konservative Hardliner wie Richard Nixon als Gegenreaktion dazu den Zenit ihrer Popularität.
Wer die 70er verstehen will, schaut also am besten das, was damals über die Bildschirme flimmerte: Heile-Welt-Serien wie «The Waltons», sexistische Chevrolet-Werbung und News-Berichte über Friedensdemos. All dies zeigt die Doku in kurzen Clips. Ganz im Sinne von John Lennon, der seinen hohen TV-Konsum im Film so rechtfertigt: «Für mich ist Fernsehen das neue Lagerfeuer. Eine Art Fenster zur Welt und zugleich ein Spiegel, der zeigt, wie wir uns selbst betrachten.»
Unveröffentlichte Aufnahmen
«One to One» ist also kein klassischer Konzertfilm, sondern eine experimentelle Doku, die von Szene zu Szene zappt. In Macdonalds Worten handelt es sich um einen «nicht-narrativen Film, mit einer rekonstruierten Wohnung, ohne Erzählerstimme». Was allerdings nicht heisst, dass der Film nichts Interessantes erzählen würde.
Bisher unveröffentlichte Archivaufnahmen klären etwa darüber auf, warum das Paar überhaupt in die USA gezogen ist. Nicht nur, um dem Hass gegen Yoko Ono in England zu entkommen, sondern auch, um deren Tochter wiederzufinden.

Die 1963 geborene Kyoko landete nach dem Scheidungskrieg ihrer Eltern früh in der vermeintlich sichereren Obhut des Vaters. Zu einem Treffen von Mutter und Tochter kam es erst 1994 wieder, lange, nachdem John Lennon das Zeitliche gesegnet hatte.
In Erinnerung bleiben wird «One to One» nicht zuletzt wegen der verwendeten Gespräche aus dem Fundus der Lennon-Familie. «Keine Angst», sagt der Ex-Beatle einem Freund am Telefon: «Ich bin wohl ein Revolutionär, aber kein Politiker. Ich habe nicht vor, erschossen zu werden.»
Kinostart: 12.6.2025
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