Lotus soll unter dem Eigner Geely aus der Nischenrolle heraus und als globaler Player etabliert werden. In Deutschland ist dieser Weg steinig. Aber nicht etwa, weil die Produkte schlecht wären. ntv.de war mit der neuen Limousine Emeya unterwegs.

Während Lotus früher immer am Rand der Pleite entlang navigierte, kommt jetzt kräftiger Rückenwind vom neuen Eigner Geely. Der chinesische Konzern möchte das Label als sportliche Premiummarke zur Blüte verhelfen. Doch Sichtbarkeit auf der Straße? In Deutschland bislang Fehlanzeige. Das hat gleich mehrere Gründe. Erstens müssen sich potenzielle Kunden überhaupt erst einmal daran gewöhnen, dass Lotus plötzlich nicht mehr nur Spaßautos produziert, die aufgrund ihrer mangelnden Praxistauglichkeit höchstens als Drittwagen infrage kommen könnten. Und zweitens tun sich echte Fans sicherlich schwer mit dem Bruch in der Markenphilosophie.

Ja, es gibt ihn noch, den leichten Verbrenner-Sportwagen - in neuester Ausgabe unter dem Namen Emira erhältlich. Aber Lotus setzt künftig auf elektrisch angetriebene SUV sowie sportliche Limousinen, wie auch der hier besprochene Emeya eine ist. Doch beide Kandidaten, also Eletre und Emeya, sind vor allem groß und schwer.

Und in dieser Mission findet man nicht gerade Kunden in Massen, denn die Preise sind entsprechend gewürzt. Was Lotus als "Hyper-GT" auf seiner Website anpreist, strapaziert das Konto mit nicht weniger als 107.990 Euro. Mithin bespielt der Emeya eine Liga, in der die Marketingstrategen vor allem im sportlichen Segment tendenziell auf elektroskeptische Kunden treffen. Und wenn es dann doch ein Stromer sein soll, braucht man schon ein gutes Argument, warum man nicht bei Porsche den ausgereiften Taycan kaufen sollte.

Ganz einfach, weil Individualität eben auch ein Wert an sich ist. Und warum nicht dem Lotus eine Chance geben? Immerhin steckt unter dem sportlich-vornehmen Blech nichts anderes als eine Großserienplattform (Sustainable Experience Plattform), auf der auch Polestar-, Smart- und Volvo-Modelle fußen. Zuverlässigkeit sollte hier also nicht das Thema sein.

Emeya ist exklusiv

Aber der mit 5,14 Metern ausladende Emeya ist noch mal eine ganze Ecke exklusiver, und diese Botschaft strahlt aus jedem Winkel seines Blechs. Flach und mit etlichen markanten Sicken ausgestattet, verströmt er echte Athleten-Vibes. Die Grundform mit den zackigen Doppel-Tagfahrleuchten zitiert die traditionelle Lotus-Designsprache. Rahmenlose Türen verleihen der Limousine coupéhafte Coolness.

Bleibt die Frage, wie praxistauglich er ist. Die durchaus stylish wirkenden Seitenkameras als Spiegelersatz sind es jedenfalls nicht, so viel sei vorweggenommen. Vor allem nachts wird der Fahrer durch unscharfe Konturen geplagt, nicht schön beim Rangieren. Doch das nur am Rande, hier ist die konventionelle Lösung jedenfalls besser.

Aber sonst? Empfängt der Emeya seine Gäste nicht nur mit viel Platz, sondern insbesondere mit anschmiegsamen Sportsesseln, die allerdings in erster Linie durch Komfort bestechen. Gut für einen Langstreckenläufer. Etwas Seitenhalt gibt es dann auch, denn das Luftfahrwerk bewältigt in Tateinheit mit tiefem Schwerpunkt (immerhin ruhen etwa 100 kWh Stromspeicher im Bereich des Unterbodens) durchaus Kurven in Verbindung mit einer leichtgängig-präzisen Servolenkung. Aber auch als Autobahnexpress macht der Viertürer eine ausgezeichnete Figur dank soliden Federungskomforts.

Dass die Fahrleistungen mehr exorbitant als herausragend sind, bedarf keiner Erklärung angesichts von 612 PS aus zwei Elektroaggregaten. Entsprechend ausgeprägt fällt die Traktion des Allradlers aus. Was soll man sagen - der Emeya beschleunigt feurig bis 100 km/h (4,2 Sekunden) und marschiert mühelos auf die bei 250 km/h begrenzte Topspeed. Fein ist, dass er zumindest unter Alltagseinsatz - also nicht auf dem Track - keine Ermüdungserscheinungen in der Leistungsabgabe zeigt. Bis zur Höchstgeschwindigkeit geht es auch nach mehreren Beschleunigungsvorgängen immer mit Schmackes.

Strom kommt mit Wucht in den Akku

Apropos Schmackes: Auch der Strom kommt brutal schnell in die Batterie. Es vergehen in der Praxis kaum mehr als 15 bis 20 Minuten, um einen leeren Akku wieder auf 80 Prozent State of Charge zu bringen. Dabei hat ntv.de in der Praxis teils 350 kW Ladeleistung gesehen - schnelles Laden ist also nicht bloß ein leeres Versprechen auf dem Papier, wobei 420 kW Peak, wie vom Werk angegeben, nicht erreicht wurden. Entscheidend ist aber ohnehin eine gute Ladekurve. Wichtig dazu ist, den Akku gut zu konditionieren. Dazu sollte man beispielsweise die Ladesäule per Navigation ansteuern.

Und damit wäre auch schon ein Kritikpunkt angesprochen. Das Menü auf dem überdies etwas langweilig designten Zentraldisplay dürfte in Zukunft gern eine Spur mehr Struktur bekommen - das gilt auch für die Bedienung des Elektroniklotsen. Und es sollte eine Möglichkeit geben, Assistenten auch gebündelt abschalten zu können, wie das andere Hersteller ja auch anbieten.

Zur Ehrenrettung: Insgesamt wirkt die Architektur mehr stylish als belanglos. Vor allem das Ambientelicht auf der belederten Armaturentafel bringt Atmosphäre. Genauso wie die schicken Mikrofaser-Türbeläge plus szenisch platzierte Lautsprecherboxen. Den Blick für solche Details hat man freilich eher als Mitfahrer - und diese Eigenschaft macht übrigens auch in der zweiten Reihe Spaß, denn Platzmangel herrscht in diesem Briten mit 3,07 Metern Radstand keineswegs.

Seiner Exklusivität kann man sich übrigens sicher sein. Denn selbst wenn sich die Verkäufe verzehnfachen sollten, was der Marke zu gönnen wäre, aber ziemlich unwahrscheinlich ist, wäre man noch nicht bei den Taycan-Zulassungen angelangt. Andererseits verzichtet Lotus auf eine günstigere Einstiegsversion, was die Verkäufe auf natürliche Weise ausbremst. Umso schöner für die wenigen User mit einem Lotus Emeya in der Garage.

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