Wer zur chinesischen Premiummarke Nio greift, bekommt quasi ausschließlich luxuriöse Fahrzeuge. Günstig sind die nicht, doch stimmt die Qualität überhaupt? ntv.de hat den Nio EL7 ausgiebig getestet.

Nio bleibt einstweilen ziemlich exklusiv hierzulande. Das Kraftfahrt-Bundesamt verzeichnet im ersten Halbjahr dieses Jahres gerade mal 121 Neuzulassungen dieser Marke. Allerdings lässt sich die Kaufzurückhaltung sicherlich kaum auf eine schlechte Produktqualität zurückführen, denn gute Autos bauen kann Nio durchaus, so viel sei vorweggenommen.

Vielleicht hilft ein Blick in die Modellauswahl zur Klärung dieser Frage. Und schnell wäre festgestellt, dass das Startup aus Shanghai ausschließlich leistungsstarke Topmodelle mit vielen Hundert PS im Programm führt. Und die sind eben weder massentauglich noch günstig. Genauso wie der ausladende EL7 von 4,91 Metern Länge mit seiner zurückhaltenden, schlichten Optik, die irgendwo im Spannungsfeld zwischen futuristisch, nobel und sportlich anzusiedeln ist. In jedem Fall kann man dem SUV aber attestieren, dass es von seiner Erscheinung in der Mitte der europäischen automobilen Gesellschaft angekommen ist.

Doch gilt das auch für den Innenraum? Zumindest lässt die Qualitätsanmutung zunächst keine Wünsche offen. Ob man das ziemlich nüchterne Interieur mag oder nicht, ist freilich eher Geschmacksache. Und der Assistent namens Nomi ist schon witzig; wenn sich die kleine Kugel mit den virtuellen Augen auf der Armaturentafel nach den Passagieren umdreht, ist das Eis gebrochen. Ein bisschen steril mutet das Cockpit mit den beiden Displays schon an, aber immerhin ist man nach kurzer Eingewöhnung schnell durch die Menüs gehuscht.

Und vielfach verstellbare Sitze sogar mit herausziehbarer Schenkelauflage bieten schon ganz soliden Komfort, wenngleich der letzte Schliff an der einen oder anderen Stelle noch fehlen mag. Dennoch ist Nio selbstbewusst genug, um vom zweiten Wohnzimmer zu sprechen auf seiner Webseite. Der Unterschied lässt sich aber bloß im direkten Vergleich mit diversen Vertretern des hiesigen Premiumwettbewerbs herausarbeiten, und klar ist: Der Nio operiert auf hohem Niveau.

Platz in Hülle und Fülle

Das gilt übrigens auch für die Platzverhältnisse, was angesichts der Abmessungen indes kein Wunder ist. Seine langen Beine sortieren? Kann man in der zweiten Reihe ohne Probleme. Und mit dem Kopf stößt man auch nicht so schnell an. Beim Gepäckraum wird die Sache zweischneidig. Wer mit Familie oder Freunden in den Urlaub möchte und viel Gepäck mitnehmen muss, kann das tun angesichts von 570 Litern Volumen. Baumarktbesucher erwarten vielleicht ein bisschen mehr als die 1545 Liter bei umgeklappten Lehnen, aber das passt schon.

Und was in jedem Fall passt oder auch nicht, ist das, was unter dem Blech schlummert. Über zwei Elektromotoren mit insgesamt 653 PS kann man herrlich diskutieren. Ökologischer Wahnsinn oder Spaßfaktor mit Nutzwert, wie soll man das betrachten? Ist eben subjektiv. Die Systemeinstellungen sehen jedenfalls vor, dass die volle Power in der Startkonfiguration nicht abgerufen werden kann. Das ergibt Sinn, könnte man meinen. Und wer immer mit der vollen Ladung Drehmoment (850 Newtonmeter) angeschoben werden will, muss entweder in den sportlichsten Fahrmodus gehen oder, wenn das Chassis geschmeidig bleiben soll von der Dämpfungsstufe, individuell konfigurieren.

Fahrleistungen auf Supersportler-Niveau

Binnen 3,9 Sekunden auf Landstraßentempo geschossen zu werden in einem 2,4-Tonnen-Koloss dürfte für die meisten Interessenten definitiv eine neue Dimension des Autofahrens darstellen. Man kann das abtun oder einfach genießen (auch wenn die Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h nicht zum Rest passt).

Jetzt ist bei Nio besonders spannend, wie man den Energiespeicher wieder gefüllt bekommt. Wahlweise steht der Batterieswap an einer der 20 in Deutschland anfahrbaren Tauschstationen auf dem Plan. Das Tauschen des Akkus dauert gerade einmal fünf Minuten. Allerdings gelingt in diesem Fall nicht bloß die Energieaufnahme schnell, sondern die Aktion hat auch Erlebniswert. Allein das automatische Manövrieren des Fahrzeugs in die Station beeindruckt, wenn man es noch nicht kennt.

Nio arbeitet aber gleichzeitig auch immer weiter daran, die Ladeperformance zu erhöhen. Während der EL7 mit moderaten 126 kW noch 40 Minuten braucht, um seinen 100 kWh großen Stromspeicher von 10 auf 80 Prozent zu laden, pustet der etwas größere EL8 bereits mit satten 240 kW durch. Und die Reichweite? Optimistische 509 WLTP-Kilometer schrumpfen in der Praxis natürlich gerne mal auf 390 Real-Kilometer zusammen je nach Außentemperatur und Fahrstil, aber das ist wenig markenspezifisch.

Zum Schluss seien noch ein paar Besonderheiten erwähnt, die man nicht in jedem Auto findet und die für ein bisschen Individualismus bürgen. Nennen wir es mal Tech-Individualismus - das ist eben, wenn das Chassis auf Luftbälgen (adaptiv) ruht, man per Sprachbedienung die Sitzheizung aktivieren oder die Bank in der zweiten Reihe elektrisch verstellen kann.

Und dann ist noch über den Preis zu sprechen. Wer den EL7 kaufen möchte, kann das bloß über Umwege machen. Während für andere Nio-Modelle auch direkte Kaufoptionen bestehen, ist für diese Ausführung nämlich zunächst lediglich die Abo-Variante vorgesehen, bevor man den EL7 später als Gebrauchtwagen erwerben kann - der Preis richtet sich dann nach Fahrzeugalter und Kilometerleistung. Für das Abo verlangt Nio je nach Laufzeit von rund 900 bis über 2000 Euro pro Monat. Der Kurs variiert natürlich auch mit der Menge an gefahrenen Kilometern. Das ist eine Stange Geld, wenngleich hier Servicekosten inbegriffen sind. Mit Strom möchte das Allrad-SUV immerhin auch noch gefüttert werden. Und so bleibt der große Langstrecken-Stromer eine eher exklusive Angelegenheit.

Datenblatt Nio EL7 mit 100 kWh

Abmessungen (Länge/Breite/Höhe)

4,91 / 1,99 / 1,72 m

Radstand

2,96 m

Leergewicht (DIN)

2366 kg

Sitzplätze

5

Ladevolumen

570 bis 1545 l

Motorart

Zwei Elektromaschinen

Getriebe

Eine Übersetzung, fest

Systemleistung

653 PS (480 kW)

Antrieb

Allradantrieb

max. Drehmoment

850 Nm

Beschleunigung 0-100 km/h

3,9 s

Höchstgeschwindigkeit

200 km/h

Akkukapazität

100 kWh

Maximale Ladeleistung (Gleichstrom)

126 kW

Ladeleistung (Wechselstrom)

11 kW

Ladedauer von 10 auf 80 Prozent

40 Minuten

Verbrauch (kombiniert)

21,6 kWh

kombinierte WLTP-Reichweite

509 km

CO₂-Emission kombiniert

0 g/km

Grundpreis

Abo-Modell ab 923 Euro monatlich

Fazit: Mit dem Nio EL7 gibt es einen exklusiven Hochleistungs-Allrounder samt den Fahrleistungen eines Sportwagens. Ja, den letzten Feinschliff europäischer Premiumbrands mag der chinesische Hersteller dem Kunden zunächst noch schuldig bleiben. Demnach arbeitet die Lenkung vielleicht einen Tick zu synthetisch und das Wegdämpfen von harten Querfugen könnte geschmeidiger gelingen. Dennoch bietet Nio hohes Level und viel Ausstattung für einen jedoch auch ambitionierten Abo-Preis. Dass die Marke keine Massen anzieht, liegt sicherlich nicht nur am fehlenden Bekanntheitsgrad, sondern auch an der hohen finanziellen Einstiegshürde. Doch auch daran arbeitet der Konzern gerade.

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