Darum geht die Auto-Entwicklung in China doppelt so schnell
Chinas Autobauer setzen der westlichen Konkurrenz zu. Wie schaffen sie es, für die Entwicklung neuer Modelle nicht mal halb so lange zu brauchen? Und geht das auf Kosten der Sicherheit?
Der Begriff "China Speed" steht in der Autoindustrie für Bewunderung und Furcht zugleich: Wie kann es sein, dass chinesische Hersteller wie Chery oder BYD nicht mal halb so lange brauchen wie traditionelle westliche Branchengrößen, um neue Modelle in großer Zahl auf den Markt zu bringen?
Viel Personal zu niedrigen Löhnen, lange Arbeitszeiten, reichlich Einsatz von digitalen Tools und künstlicher Intelligenz und mehr Experimentierfreude sind Zutaten des Erfolgsrezepts chinesischer Autobauer, wie Reuters aus Gesprächen mit mehr als 40 Branchenkennern herausfand. Aber auch der Verzicht auf langwierige Prüfprozesse bei neuen Bauteilen, die traditionelle Autobauer befolgen, weil Sicherheit oberste Priorität hat.
Beispiel Chery
Im Oktober 2023 trommelte Chery, der zweitgrößte Autobauer Chinas und führender Exporteur, Ingenieure und Zulieferer kurzfristig auf seinem Testgelände in Zhaoyuan zusammen. An nur einem Wochenende sollten Aufhängung und Lenkung der chinesischen Version des SUV Omoda 5 für Europa, einen Schlüsselmarkt für die globale Expansion des Unternehmens, überarbeitet werden. Das für Chinas glatte Straßen konzipierte Auto musste für die kurvenreichen, holprigen Fahrbahnen Europas fit gemacht werden.
Nur sechs Wochen später begann Chery mit der Auslieferung an die Händler in Europa - mit neuer Lenkung, Bremsen und Reifen. "So etwas Schnelles kann man bei einem europäischen Autohersteller vergessen", sagte Riccardo Tonelli, der leitende Experte für Fahrzeugdynamik bei Chery, der die Überholung leitete. Westliche Hersteller bräuchten für ähnliche Verbesserungen in ihren aufwendigen Organisationen weit über ein Jahr, erklärte Tonelli, der zuvor unter anderem bei einem italienischen Automobilhersteller gearbeitet hatte.
Chinas Dominanz in der Automobilbranche rührt daher, dass die Antriebe von Elektroautos viel einfacher zu bauen sind als die von traditionellen Herstellern perfektionierten Verbrennungsmotoren. Sie ist aber auch einem wichtigen Vorteil in der Produktion zu verdanken: der Verkürzung der Entwicklungszeit um mehr als die Hälfte auf nur noch 18 Monate für ein neues Modell. Autos kommen schneller auf den Markt und werden rasch wieder eingestampft, wenn sie floppen. Westliche Autobauer überarbeiten ihre Fahrzeuge dagegen alle fünf bis sieben Jahre.
Beispiel BYD
Was das Tempo möglich macht: jede Menge Personal. Zu niedrigen Löhnen beschäftigt Chinas Marktführer BYD rund 900.000 Menschen, fast so viele wie Toyota und Volkswagen zusammen, um Design und Produktion zu beschleunigen. Allein von August bis Oktober stellte BYD 200.000 neue Leute ein - mehr als die gesamte Belegschaft von General Motors. BYD habe die riesige Belegschaft dadurch aufgebaut, dass Nachwuchs von zweitrangigen Hochschulen zu bescheidenen Gehältern rekrutiert wurde, hieß es von BYD-Investoren.
Beschäftigte chinesischer Automobilhersteller arbeiten oft sechs Zwölf-Stunden-Tage pro Woche, sagte Peter Matkin, Cherys Chefingenieur für internationale Marken. Bei BYD verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben: Die Beschäftigten wohnen in Firmenwohnungen auf einem Campus am Hauptsitz in Shenzhen. Ihre Kinder besuchen firmeneigene Schulen.
Beispiel Zeekr
Zeekr, die Premiummarke der chinesischen Nummer vier der Volvo-Mutter Geely, hat die Entwicklung so organisiert, dass an einem Prozess bis zu 20 Stunden pausenlos gearbeitet wird. Denn Zeekr-Ingenieure in Shanghai und Hangzhou leiten ihre Arbeit am Ende jeden Tages an Kollegen im Designzentrum in Göteborg weiter. Viele Tests laufen parallel in Simulatoren, während die traditionellen Autobauer mehr physische Erprobungen auf der Straße, und zwar eine nach der anderen, durchlaufen.
Christian Hering, Zeekr-Spezialist für Europa, hält den Aufwand nicht immer für angebracht. Er entwickelte früher Navigationssoftware bei einem Volkswagen-Zulieferer. Die VW-Protokolle für Praxistests seien streng gewesen: Selbst kleine Anpassungen der Software wurden wie Änderungen an physischen Bauteilen behandelt und erforderten jeweils 25.000 Kilometer Straßentests. Hering änderte etwa mal die Farbe der Bäume in einem Navigationssystem. Die Kleinigkeit erforderte 75.000 Testkilometer, weil sie für drei Märkte bestimmt war. "Das ist der Grund, warum traditionelle Autohersteller nicht so schnell sind", sagte er.
Keine Zeit verschwenden
Inzwischen werden die chinesischen Anbieter als Trendsetter wahrgenommen. Sie sind vor allem in Sachen digitale Services etablierten Herstellern voraus. Das war vor einem Jahrzehnt noch unvorstellbar - damals kopierten Chinas Autohersteller häufig ausländische Konkurrenten. Doch dann begann die chinesische Industrie, die Entwicklungsprozesse der Konkurrenten zu untersuchen und eigene, schnellere Wege zu finden, sagte Allen Han, Professor für Automobilstudien an der Tongji-Universität in Shanghai. Er kennt als ehemalige Fachkraft von Ford wie auch von zwei chinesischen Autobauern beide Welten.
Chinesische Ingenieure seien zu dem Schluss gekommen, dass die global üblichen Prüfprozesse "ein verschwenderisches Streben nach übermäßiger Qualität" sind. Stattdessen bringen chinesische Autohersteller schnell "ausreichend gute" Fahrzeuge auf den Markt, mit weit weniger Prototypen und einer Philosophie des schnellen Scheiterns, die an Startups im Silicon Valley erinnert, so Manager und Experten.
Darüber schüttelten deutsche Automanager schon den Kopf, als der US-Elektroautopionier Tesla risiko- und experimentierfreudiger als sie die Autoproduktion anpackte. Die Markteinführung eines Modells in China ist eher der Beginn als das Ende der Entwicklung, und es werden häufig Upgrades auf der Grundlage von Kundenfeedback vorgenommen.
Bedenken wegen Qualitätsmängeln
Trotz der verkürzten Prüfverfahren erhielten Modelle der chinesischen Marken durchweg die besten Sicherheitsbewertungen mit fünf Sternen des Euro New Car Assessment Programme (Euro NCAP), einem führenden Crashtester. "Vergessen Sie, was Sie vielleicht denken, nämlich dass chinesische Autos schlechtere Qualität oder geringere Sicherheitsleistung bedeuten", sagte Matthew Avery, Direktor für strategische Entwicklung. Die Qualität chinesischer Markenfahrzeuge sei sogar "besser als die anderer".
Toyota-Ingenieure dagegen sind nicht überzeugt, dass in China die gleiche Qualität geliefert wird wie bei ihnen. Nach einem Projekt mit BYD, bei dem die Chinesen anders als bei Toyota üblich spät in der Entwicklung noch Design und Teile änderten und im Handumdrehen testeten, zeigten sich die Japaner beeindruckt. BYD biete einen "Sack voll Lektionen" - aber nur wenige, die Toyota übernehmen würde. Prototypen und Straßentests zu überspringen sei "in unserer Welt ein großes Tabu", sagte einer von ihnen. Denn es gebe Bedenken zu Qualitätsmängeln.
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