Als Heinz Jagusch 1983 seine Lehre zum Metallflugzeugbauer bei der damaligen Mercedes-Tochter Dornier begann, wird sich der 16-Jährige kaum ausgemalt haben, dass er sich 42 Jahre später wieder an seiner alten Wirkungsstätte in Oberpfaffenhofen wiederfinden würde.

Jedenfalls nicht mit einer Makita-Handkreissäge und dem abenteuerlichen Vorhaben, damit den Rumpf einer Dornier 328 wie eine Bratwurst in zwei Hälften zu zersägen.

Um dann auf gleiche Weise aus einem weiteren Flugzeug eine 2,10 Meter lange Sektion herauszutrennen und das Rumpfstück in das erste Flugzeug einzusetzen. Aber genau das hat Jagusch mit seinem Team getan. „Das hier ist die Nahtstelle“, sagt der 58-Jährige, während er zufrieden über die Außenhaut des Passagierflugzeugs fährt. „Fachmännisch verbunden.“

Ende Mai wird das gestreckte Flugzeug aus dem Hangar geschoben und feierlich der Presse präsentiert. Die „TAC 1“ ist der erste Prototyp eines neuen Flugzeugmusters aus deutscher Herstellung, der D328eco. Ein Regionalflugzeug für 40 Passagiere mit bis zu 2000 Kilometern Reichweite.

Schon 2028 sollen die ersten Maschinen ausgeliefert werden. Zwei Jahrzehnte nach Produktionsende in den alten Dornier-Werken will das Unternehmen Deutsche Aircraft, eine Tochter des US-amerikanischen Sierra Holding, hier wieder Flugzeuge herstellen. Deutschland meldet sich zurück im Flugzeugbau.

Was die Deutsche Aircraft vorhat, scheint gleich in mehrfacher Hinsicht ein gewagtes Unterfangen. Die Idee, ausgerechnet im Land von Flugscham und Lohnspirale wieder Flugzeuge bauen zu wollen, in einem Klima von Deindustrialisierung und Dekarbonisierung, wirkt fast schon trotzig. Das dem neuen Deutschland-Flieger zugrunde liegende Dornier-Muster ist über 30 Jahre alt, galt seinerzeit als leicht überambitionierter und teurer „Mercedes der Lüfte“, der sich eher schleppend verkaufte.

Und dann soll die Neuentwicklung auch noch mit Antriebsaggregaten ausgestattet werden, die im Zeitalter von Jettriebwerken und revolutionären Elektroantrieben auf den ersten Blick fast schon historisch anmuten: Die neue Dornier wird eine Propellermaschine, mit Verbrennermotoren. Zwei Fragen drängen sich auf. Wer soll so ein Flugzeug kaufen? Und wie soll das dem Klima dienen?

„Wir hätten die Luftfahrt in Deutschland in ihrer Gänze nie aufgeben dürfen. Wir haben hierzulande eine große Kompetenz in allen Bereichen des Flugzeugbaus“, erwidert Nico Neumann, CEO der Deutschen Aircraft. Durch die Fenster seines Büros geht der Blick auf die verlassene Piste des Flughafens Oberpfaffenhofen, jenseits der Rollbahn sind die Gebäude des pleitegegangenen Flugtaxi-Start-ups Lilium zu erahnen. Keine erbauliche Kulisse für ein aufstrebendes Luftfahrtunternehmen.

Doch Neumann strahlt Zuversicht aus. Kommende Woche ist am Flughafen Leipzig-Halle Grundsteinlegung für die Endmontage, die bald bis zu 48 Flugzeuge im Jahr ausstoßen soll. 100 Millionen Euro werden dort investiert. „Der Flughafen hat 24-Stunden-Betrieb und anders als im Münchner Speckgürtel gibt es dort noch bezahlbaren Wohnraum“, sagt Neumann über den neuen Standort, an dem man um die 300 Mitarbeiter beschäftigen will. Das Orderbuch fülle sich gut, die Charterfluggesellschaft „Private Wings“ habe gleich eine Handvoll Flugzeuge bestellt.

„Wir zielen auf einen Nischenmarkt, auf dem es aber in den kommenden Jahren einen großen Bedarf an Flugzeugen geben wird“, erklärt Neumann. Nach dem Produktionsstopp bei Dornier und anderen Herstellern kleinerer Regionalflugzeuge mit bis zu 40 Sitzen hätten die rund 2000 Maschinen in diesem Marktsegment heute ein Durchschnittsalter von rund 35 Jahren. Zuletzt hatte die Deutsche Aircraft als Halterin der Muster-Rechte alte Dornier 328 aufgekauft und wieder in einen verkaufsfähigen Zustand versetzt.

Nun will man den wachsenden Ersatzbedarf mit dem neuen Flugzeug decken, das dank Verlängerung Platz für 40 statt zuvor 32 Fluggästen bietet, wodurch sich das Flugzeug wirtschaftlicher betreiben lässt. Die zweite wichtige Neuerung deutet sich in der Erweiterung „eco“ an: Obschon ein Verbrenner, soll die neue Dornier ein Öko-Flieger sein.

„Propellertriebwerke sind gerade auf kurzen Strecken wesentlich effizienter als Jettriebwerke“, rechnet Neumann vor. „Für eine Entfernung von 300 bis 400 nautische Meilen (rund 750 km) braucht man mit ihnen fünf bis zehn Minuten mehr Flugzeit, spart dabei aber zugleich 30 bis 40 Prozent an Kraftstoff.“

Die an der D328eco montierten Triebwerke des US-Herstellers Pratt & Whitney sollen zudem in der Lage sein, mit hundertprozentig nachhaltigen Flugkraftstoffen (Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF) zu fliegen, die etwa aus Speisefetten und Agrarabfällen gewonnen werden.

„Unser Flugzeug ist kein experimentelles Projekt für eine ferne Zukunft“, sagt Neumann. „Es basiert auf einer existierenden Technologie, die zeitnah umgesetzt werden und zum Klimaschutz beitragen kann.“

Mit ihrem Ansatz bieten die Bayern ein Gegenmodell zu den Dekarbonisierungsbemühungen anderer Flugzeugbauer an, allen voran denen des Weltmarktführers Airbus. Dieser arbeitet seit Jahren an der Entwicklung eines Null-Emissions-Flugzeugs, das mit Wasserstoff betrieben werden soll.

Solider Pragmatismus statt Overengineering

Selbst wenn alle technologischen Hürden hierfür eines Tages genommen werden sollten, eignet sich Wasserstoff schon wegen des großen Platzbedarfs der Tanks nur für kleinere Flugzeuge und eher kurze Strecken. Für einen teuren Zukunftsflieger ein undankbares Geschäftsfeld.

„Regionalflugzeuge sind wie Busse. Es ist der preissensibelste Markt in der Luftfahrt“, gibt Neumann zu bedenken. Er äußert Zweifel, ob ausgerechnet die kleinen Provinzflughäfen mit ihren geringen Flugfrequenzen in eine eigene Wasserstoffinfrastruktur investieren können und wollen. „Um hier zeitnah eine Klimawirkung zu erzielen, setzen wir auf einen praxisnahen Ansatz“, sagt er. Solider Pragmatismus statt Overengineering – und das von einem deutschen Unternehmen.

Dass es funktionieren kann, haben sie bereits bewiesen. In der Werkshalle in Oberpfaffenhofen, wo Prototypenbau-Leiter Jagusch gerade mit seinem Team die TAC 1 auf den großen Roll-out vorbereitet, steht gleich daneben noch eine andere Dornier 328 mit grün lackierten Turboprop-Triebwerken. Die „Uplift“ ist ein Forschungsflugzeug des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt und dient als eine Art fliegender Prüfstand, auf dem Unternehmen klimaschonende Technologien erproben können.

Erste Nutzerin war die Deutsche Aircraft, die mit dem Flugzeug erfolgreich einen Flug mit 100 Prozent synthetischem und aromatenfreiem Flugkraftstoff durchführte, dem SAF-Nachfolger PTL, der mithilfe von grünem Strom aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt wird.

Mit der Eco-Dornier soll nun die Basis für einen Serieneinsatz geschaffen werden. Die Entwicklungskosten beziffert das Unternehmen auf 500 bis 700 Millionen Euro. Vor allem die Zertifizierung geht ins Geld. Seit einem Jahr arbeiten Ingenieure und Testpiloten bereits im Simulator auf dem neuen Muster. Es folgen diverse Testeinsätze der TAC 1 und eines folgenden zweiten Prototyps erst am Boden und dann in der Luft.

Ende 2027 will man die Zulassung durch die europäische Luftfahrtbehörde EASA erhalten. Airbus hat die Einführung seines Wasserstofffliegers ursprünglich für 2035 vorgesehen – musste seine Zeitplanung aber gerade um fünf bis zehn Jahre nach hinten verlegen.

Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT und berichtet über Themen aus Luftfahrt, Sportbranche und anderen Industrien.

Dieser Artikel ist im Rahmen der BETTER FUTURE WEEK von WELT erschienen.

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