Laut Astronomen herrschen nirgendwo auf der Welt günstigere Bedingungen für die Beobachtung der Sterne als in der Atacama-Wüste in Chile. Es ist der trockenste Ort der Welt, es gibt kaum Wolkenbildung.

In der Wüste ist es nachts zappenduster – es gibt auch kaum Lichtverschmutzung. Und die Höhenlage der kargen Berge lässt die Sterne zum Greifen nah erscheinen.

Legende: Auf dem Gipfel am Horizont wird gerade das grösste Teleskop der Welt gebaut, das «Extremely Large Telescope». Teresa Delgado / SRF

Schätzungen zufolge verfügt Chile über mehr als die Hälfte der weltweiten Astronomie-Infrastruktur. China, die USA und Russland – sie alle haben hier Observatorien. Europa baut gerade das grösste Teleskop der Welt, das «Extremely Large Telescope». Es ist ein Projekt der Europäischen Südsternwarte ESO, bei der auch die Schweiz Mitglied ist.

Das Extremely Large Telescope muss zwar noch fertig gebaut werden, aber in der Atacama-Wüste gibt es bereits Dutzende andere Teleskope – alleine die Europäische Südsternwarte hat mehr als deren vierzig. Das bisher grösste heisst «Very Large Telescope».

Alle dürfen die europäischen Teleskope benutzen

Im Kontrollraum des Very Large Telescope arbeitet die deutsche Astronomin Linda Schmidtobreik: «Ich arbeite für die astronomische Gemeinschaft», sagt sie und erklärt, die Europäische Südsternwarte verstehe sich als Dienstleisterin.

Legende: So sieht das Extremely Large Telescope aus, welches gerade in der Atacama-Wüste gebaut wird. Kostenpunkt: 1.45 Milliarden Euro. Teresa Delgado / SRF

«Das heisst, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt dürfen die europäischen Teleskope benutzen.» Die Bewerbungen laufen per Forschungsantrag. «Ein Komitee der Sternwarte sucht die spannendsten Bewerbungen aus und dann setzen Astronominnen wie ich die Aufträge der Forschenden um. Wir schicken ihnen dann die Bilder und Daten des Teleskops.» Das Very Large Telescope ist gefragt, die Liste der Anfragen lang.

Astronominnen und Astronomen aus Europa und der Schweiz, den Mitfinanzierern der Teleskope, haben Vorrang. Ebenso Forscher aus Chile, wo sich das Very Large Telescope befindet. Doch auch Wissenschaftlerinnen aus China, Russland und den USA können die europäischen Teleskope nutzen.

Auf die Frage, ob da nicht die Gefahr bestehe, nebst Daten zu Forschungszwecken auch militärisch-strategisch relevante Daten zu sammeln, sagt Linda Schmidtobreik: «Die Anfragen werden wissenschaftlich beurteilt von den Komitees. Da geht es um wissenschaftliche Kriterien.» Das Teleskop werde auch für Lasertechnik genutzt, um die Atmosphäre optisch zu korrigieren: «Wir achten dabei auf Flugzeuge, aber können ansonsten sehr frei unsere Laser benutzen. Unsere amerikanischen Kollegen hingegen müssen jedes Mal nachfragen, ob sie mit ihren Lasern in eine bestimmte Richtung schauen dürfen oder nicht.»

Die Erlaubnis einholen müssen die Astronominnen und Astronomen von der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa jeweils beim Verteidigungsministerium in den USA.

Zusammenarbeit trotz geopolitischer Spannungen

Punktuell arbeiten die verschiedenen Länder zusammen, sagt Eleonora Sani, stellvertretende wissenschaftliche Leiterin des europäischen Paranal-Observatoriums: «Manchmal tauschen wir uns über unsere Entdeckungen aus. Das ist aber stark abhängig von der wissenschaftlichen Zusammenarbeit innerhalb der verschiedenen Forschungsgruppen. Auch mit den anderen Observatorien gibt es manchmal Zusammenarbeit.»

Unsere Vielfalt ist unsere grösste Stärke innerhalb der astronomischen Gemeinschaft.
Autor: Eleonora Sani Stv. wissenschaftliche Leiterin, ESO Paranal-Observatorium

Darauf angesprochen, ob der hohe Preis von fast eineinhalb Milliarden Euro gerechtfertigt sei für das neue Riesenteleskop, sagt Eleonora Sani: «Wenn wir es auf alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Südsternwarte verteilen und pro Kopf runterrechnen, dann kostet dieses Riesenteleskop vielleicht einen Kaffee im Monat pro Person.»

Das sei nicht so viel und der Nutzen enorm: «Nicht nur, was Wissenschaft, Technologie und Industrie angeht, sondern es fördert auch den wissenschaftlichen Austausch und die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Staaten. Dabei ist unsere Vielfalt unsere grösste Stärke innerhalb der astronomischen Gemeinschaft.»

Legende: Wissenschaftler gehen zwischen den verschiedenen Gebäuden des Very Large Telescope umher. Teresa Delgado / SRF

Letztendlich hätten alle ein Interesse daran, neue bewohnbare Planeten zu entdecken, sagt Eleonora Sani. Die Observatorien seien wichtig für die Wissenschaft.

Es scheint, als wäre die Weltraumforschung heute mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander – anders als zur Zeit des Kalten Kriegs. Doch ohne Risiko ist die starke Präsenz der Grossmächte in der Atacama-Wüste nicht, auch wenn Chiles Regierung sehr offen für solche Investitionen aus dem Ausland ist.

Es gibt auch Kritik an der Weltraumforschung

Kritiker sagen, dass die Teleskope nicht nur Sterne beobachten, sondern auch Satelliten überwachen, Informationen sammeln und militärische Weltraumoperationen unterstützen können. China zum Beispiel scannt mit seinem Observatorium in der Atacama-Wüste alle 30 Minuten den gesamten Himmel der Südhalbkugel durch.

Das sei wichtig für die nationalen strategischen Bedürfnisse Chinas, sagt die Regierung in Peking. Sie macht damit deutlich, dass die Observatorien längst nicht nur der Wissenschaft dienen.

Angst vor Lichtverschmutzung

Doch die Idylle könnte bedroht sein: Ausgerechnet in der Nähe des grössten Teleskops der Welt will das chilenische Energieunternehmen AES Andes einen Industriekomplex bauen zur Produktion von grünem Wasserstoff und Ammoniak.

Legende: «Dark is beauty», Dunkelheit ist Schönheit, heisst es auf diesem Schild im Paranal-Observatorium. Je weniger Lichtverschmutzung herrscht, desto besser können die Forscherinnen und Forscher Sterne beobachten. Teresa Delgado / SRF

Nun befürchteten Astronomen weltweit eine Lichtverschmutzung am sternenklarsten Ort der Welt, sagt Laura Ventura. «Dieses Projekt stellt eine echte Bedrohung dar für die Teleskope in der Atacama-Wüste. So ein Industriekomplex würde direkte Auswirkungen auf die Qualität des Himmels haben.» Dies bedeute mehr Lichtverschmutzung – aber auch atmosphärische Verschmutzung. «Das alles lässt uns bei der Europäischen Südsternwarte zum Schluss kommen, dass dieser Industriepark aufgrund seiner Nähe zu den Beobachtungszentren für uns verheerend wäre», sagt die Mediensprecherin der Europäischen Südsternwarte ESO.

Die Europäische Südsternwarte hat zusammen mit anderen Astronominnen und Astronomen eine Beschwerde bei der chilenischen Regierung eingereicht. Nun gelte es abzuwarten und zu hoffen, dass das Extremely Large Telescope dereinst wirklich möglichst ungestört ins Weltall schauen kann.

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