„Nach acht Tagen komme ich immer beseelt nach Hause und habe viel zu erzählen“
Noch einmal durchstarten, wenn die Kinder aus dem Haus sind – für viele bleibt das ein Traum. Birgit*, 58 Jahre alt, hat ihn sich erfüllt. In 40.000 Fuß Höhe begleitet sie als Stewardess im Privatjet Staatsmänner, Königsfamilien und Rockstars um die Welt. Trotz der Herausforderungen ist sie heute glücklicher und erfüllter denn je.
WELT: Sie haben vor etwa drei Jahren einen ungewöhnlichen Job angetreten.
Birgit: Es war Zufall. Ich war mit Freundinnen an der Elbe walken. Nach elf Jahren musste ich meine Eventagentur wegen Corona schließen. Eine der Freundinnen arbeitet bei einer großen Airline und meinte: „Wir suchen, bewirb dich doch!“ Ich war 54 und dachte: Nee, sonst sind Stewardessen doch immer groß und jung. Ich wurde zum Bewerbungsgespräch eingeladen, flog aber nach der ersten Runde raus.
WELT: Entmutigte Sie das?
Birgit: Nein, ich hatte mich mit dem Gedanken, durch die Welt zu jetten, schon angefreundet – und die Bewerbung war ja bereits fertig. Im Internet stieß ich auf die Seite eines Privatjet-Anbieters, bewarb mich, wurde eingeladen und genommen. Das ist übrigens ein riesiger Markt.
WELT: Sie hatten einen ziemlich passenden Lebenslauf.
Birgit: Ich bin in Venezuela geboren und aufgewachsen, meine Eltern sind Deutsche. Ich spreche mehrere Sprachen, vor allem fließend Spanisch. Und ich komme aus der Hotelbranche. Meine Ausbildung habe ich im „Bareiss“ gemacht, später im „Atlantic“-Hotel in Hamburg gearbeitet. Ich kenne mich also mit der 5-Sterne-Hotellerie aus.
WELT: Also haben Sie dank Corona Ihren Traumjob gefunden?
Birgit: Genau. Obwohl ich mich mit Mitte 50 etwas „alt“ fühlte, wollte ich es versuchen. Am Ende war gerade das Alter ein großer Vorteil, denn sie suchten eine gestandene Frau mit Expertise und Lebenserfahrung.
WELT: Wie liefen die ersten Arbeitstage?
Birgit: Ich war super aufgeregt und wurde zunächst zwei Wochen von einer Trainerin begleitet, die jeden Schritt überwacht und verbessert hat. Die Destination erfuhr ich immer erst am Abend vorher. Meine erste Maschine übernahm ich dann auf Zypern. An Bord sind wir als Crew immer zu dritt: ein Kapitän, ein First Officer und ich als Stewardess. In unsere Maschinen passen bis zu 18 Passagiere.
WELT: Fühlen Sie sich sicher?
Birgit: Flugangst sollte man in diesem Job nicht haben. Wir fliegen höher als normale Passagierflugzeuge, da gibt es auch weniger Turbulenzen. Abhängig vom Flugzeugtyp kann so ein Jet bis zu 14 Stunden zurücklegen. Fliegen wir etwa nach New York, tanken wir zwischendurch einmal auf Island. Um nach Australien zu kommen, muss man ebenfalls zum Tanken zwischenlanden.
WELT: Wie ist der Ablauf auf so einem Flug?
Birgit: Die Gäste steigen ein, ich sammle die Jacken ein und serviere manchmal schon vor dem Abflug den ersten Drink – Champagner oder Kaffee. Der Kapitän stellt uns vor und informiert über die Reise. Die Gäste bekommen ein Erfrischungshandtuch, und ich sichere die Maschine für den Abflug. Nach dem Start serviere ich Häppchen, Drei-Gänge-Menüs, Tageszeitungen, Magazine, Hausschuhe, Spiele für die Kinder, Leckerlis für den Hund, Kissen und Decken. Das Essen wird immer frisch vom Catering zubereitet und geliefert.
WELT: Wie steht es um Sonderwünsche?
Birgit: Die werden vorher abgefragt und organisiert. Mal muss das Essen glutenfrei, vegetarisch, halal oder koscher sein. Oder ein Gast möchte keinen Süßstoff, der nächste keine Tomaten oder kein Salz. Wir haben vier verschiedene Champagnersorten und eine Auswahl an besonderen Weinen. Manche Gäste bringen sogar ihren eigenen Koch mit an Bord.
WELT: Der Koch darf an Bord Hand anlegen?
Birgit: Er überwacht meine Arbeitsschritte und gibt Anweisungen. Ich habe an Bord eine Mikrowelle und einen Ofen und richte das Essen auf Porzellantellern an. Manche Gäste bringen aber auch eine McDonald’s-Tüte mit. Was das Essen betrifft, ist praktisch jeder Wunsch erfüllbar. Geburtstage in der Luft, bei denen wir Torten, Blumen und Dekoration besorgen, sind ganz normal. Ein Gast wünschte sich bei einer Zwischenlandung auf Korfu einen Salat aus griechischen Tomaten. Die wurden per Einkaufstüte in den Flieger gebracht und exakt nach seinen Wünschen – mit Olivenöl, Salz und Pfeffer – zubereitet.
WELT: Sie müssen ziemlich flexibel sein als Wunschfee in der Luft.
Birgit: Absolut. Einem Passagier ging etwa sein Gürtel bei der Anreise kaputt. Bis die Anschnallzeichen aus waren, hatte ich den Gürtel mit einem Gummiband und zwei Knöpfen repariert – die Situation war gerettet. Er war extrem dankbar. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir auch die Überführung einer Urne in Begleitung einer Witwe mit ihren drei Töchtern von Málaga nach London. Ich hatte Blumen besorgt und eine Karte geschrieben. Sie hatten den Lieblingswein des Verstorbenen dabei. Während des Fluges baten sie mich, mich zu ihnen zu setzen. Sie zeigten mir Bilder und erzählten Geschichten. Der Flug war herzerwärmend, und sie waren so glücklich, ihren Mann und Vater in dieser Atmosphäre nach Hause gebracht zu haben.
WELT: Gibt es viele unvergessliche Erlebnisse in der Luft?
Birgit: Ja, etwa einen Heiratsantrag in 40.000 Fuß Höhe, von Kasachstan nach Dubai. Ich musste einen riesigen Rosenstrauß besorgen und nonstop Blickkontakt mit dem Antragsteller halten, um den richtigen Moment abzupassen, den Strauß hervorzuholen. Er ging vor seiner Braut in spe auf die Knie – und sie sagte „Yes“. Diesen Antrag vergisst sie sicher nicht. Und ich auch nicht.
WELT: Sind Ihre Gäste sehr exzentrisch?
Birgit: Die meisten sind eher nett und bodenständig und freuen sich über einen kleinen Plausch mit mir – aber unsittliche Angebote gibt es nicht. Andere möchten gar nicht angesprochen werden. Da läuft die Kommunikation über eine Assistentin oder wird auf ein Minimum reduziert. Man entwickelt ein Gespür dafür, was ein Gast möchte, bevor er es ausspricht – ohne aufdringlich zu sein. Unser Ziel ist es, allen Gästen das Gefühl zu geben, Könige an Bord zu sein.
WELT: Apropos Könige …
Birgit: Tatsächlich gehören Mitglieder von Königshäusern, Scheichs, Staatsmänner, Rocksänger, Präsidenten, Hollywoodstars und manchmal auch einfach Superreiche, die nicht prominent sind, zu unseren Gästen. Viele legen großen Wert auf ihre Privatsphäre. Das ist einer der Hauptgründe, warum sie mit uns fliegen. Sie möchten anonym bleiben und nicht ständig angesprochen werden. Natürlich darf ich keine Namen nennen, keine Autogramme oder Selfies erbitten – das ist absolut tabu. Überhaupt ist die gesamte Reise streng geheim.
WELT: Gibt es Vorschriften für Ihre äußere Erscheinung?
Birgit: Ja. Der Nagellack muss zum Lippenstift passen, das Make-up soll dezent, aber vorhanden sein. Die Haare müssen kurz oder hochgesteckt sein, und die Uniform muss tipptopp gebügelt sein. Piercings sind verboten, und Tattoos dürfen nicht sichtbar sein. Insgesamt sollte man in diesem Job eine sehr gepflegte Erscheinung haben.
WELT: Entwickeln sich auch mal Freundschaften in der Luft?
Birgit: Die Zeit, die man miteinander verbringt, verbindet einen – mit manchen Gästen mehr, mit anderen weniger. Manche umarmen mich beim Abschied und laden mich ein, sie zu besuchen. Dann denke ich: Ich habe alles richtig gemacht. Aber freundschaftliche Bande? Nein, es soll immer eine professionelle Distanz gewahrt bleiben.
WELT: Wie viel Trinkgeld gibt es?
Birgit: Trinkgeld gibt es nicht von jedem Gast. Wenn doch, teilen wir es unter uns drei Crewmitgliedern auf. Die Beträge variieren stark, können aber durchaus in den dreistelligen Bereich gehen. Summen von 1000 Euro, wie man vielleicht vermuten könnte, kommen jedoch nie vor.
WELT: Warum bucht ein Kunde einen Privatjet – und nicht First Class bei einer herkömmlichen Airline?
Birgit: Ein Privatjet ist zwar wesentlich teurer, aber auch viel präziser auf die Bedürfnisse des Gastes ausgerichtet. Der Zeitfaktor ist ein wesentlicher Unterschied. Wenn Sie als Vorstand eines DAX-Unternehmens morgens ein Meeting in Rom, mittags einen Termin in Prag und abends wieder in Berlin haben, schaffen sie das mit einem Linienflug nicht. Mit uns parken sie ihr Auto und sind zehn Minuten später in der Luft! Es gibt keine Gepäckbeschränkungen, und wir fliegen auch Flughäfen an, die große Maschinen nicht erreichen können, weil die Landebahn zu kurz ist.
WELT: Ihr Job scheint Sie sehr zu erfüllen?
Birgit: In meinem ersten Jahr war ich an 72 verschiedenen Orten. Ich gehe überall von Bord und berühre den Boden – das ist mir wichtig. Ich habe unzählige Städte gesehen, in die ich mich spontan verliebt habe. Das Fotografieren ist ein neues, intensives Hobby geworden. Ich gehe immer früh los, um bestimmte Motive, ohne Menschenmassen vor die Linse zu bekommen. Auch die Welt von oben ist wunderschön – alles sieht so friedlich aus. In Venedig sind wir mitten im Karneval gelandet, das bot reichlich Motive. Und als die Polarlichter vor Island vom Cockpit aus sichtbar wurden, hat der Kapitän mich geweckt, damit ich das Spektakel nicht verpasse. Aus den wenigen Stunden in fremden Ländern versuche ich, alles herauszuholen!
WELT: Was sagt Ihre Familie zu Ihrem Job – und der langen Abwesenheit?
Birgit: Zurzeit habe ich nur noch eines meiner drei Kinder zu Hause, dazu einen Hund und meinen Mann, der mich unterstützt und sich freut, dass ich glücklich bin. Er sieht ja, wie viel Freude mir mein Job macht. Nach acht Tagen komme ich immer beseelt nach Hause und habe viel zu erzählen. Mein Mann und mein Kind sind froh, wenn ich losmuss – ich auch –, aber genauso freuen wir uns dann aufs Wiedersehen. Die Distanz tut uns allen gut. Und die Zeit unterwegs ist ganz bewusst „meine Zeit“.
WELT: Haben Sie auch mal Zeit, zu entspannen?
Birgit: Der Job ist körperlich extrem anstrengend, meistens schlafe ich nach einer Buchseite ein. Die Temperaturschwankungen zwischen Dubai und Helsinki machen mir zu schaffen. Aber ich ziehe Energie aus der Freude, die das Reisen macht. Ich falle eigentlich immer glücklich ins Bett.
WELT: Haben Sie eine Botschaft für alle, die glauben, es sei ab einem gewissen Alter zu spät für etwas Neues?
Birgit: Es ist nie zu spät, einen neuen beruflichen Weg einzuschlagen. Viele erfolgreiche Menschen haben erst in späteren Lebensjahren ihre Leidenschaft entdeckt oder eine neue Karriere begonnen. Eure Lebenserfahrung und Fähigkeiten sind unglaublich wertvoll. Lernen und persönliches Wachstum sind ein lebenslanger Prozess. Lasst euch nicht von Zweifeln zurückhalten – der erste Schritt auf einem neuen Weg mag schwer sein, aber er kann zu etwas Wunderbarem führen.
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