„Dann ergibt es keinen Sinn mehr, ein Auto zu besitzen – außer als Statussymbol“
In der Vision von Elon Musk ergrünt Los Angeles. Wo heute riesige Parkplätze rund um das Stadion der L.A. Dodgers Teile des Elysium-Parks zur Asphaltebene verunstalten, wachsen in einem Videoclip Büsche, Blumen und Gras. Autonom fahrende Autos lösten schon bald das Parkplatzproblem, versprach Musk vor einigen Monaten bei der Präsentation seines Robo-Taxis in Nord-Hollywood – dort, wo Träume gemacht werden. Während die Sportfans im Stadion jubeln, könnten ihre Autos ja andere Menschen befördern, bis sie wieder gebraucht werden, erläuterte Musk. Parken? Unnötig.
Die Realität des autonomen Fahrens, eines der potenziell größten Geschäftsfelder der Künstlichen Intelligenz (KI), könnte weitaus ernüchternder ausfallen. Zwar hat die Technik, ist sie erst einmal zur Serienreife ausentwickelt, das Potenzial, die Gesellschaft stark zu verändern. Doch womöglich schafft sie mindestens so viele Verkehrsprobleme, wie sie zu lösen verspricht. Und auf die Autohersteller, eine Stütze der deutschen Wirtschaft, kommt ein womöglich beispielloser ökonomischer Bruch zu.
Marvin Greifenstein hat als Doktorand am Institut für Mobilität in St. Gallen etliche Studien zum autonomen Fahren analysiert. „Viele Szenarien sehen mehr Verkehr durch diese Technologie. Selbst wenn die Autos dadurch etwas effizienter fahren, überwiegt daher in vielen Betrachtungen die negative Seite des höheren Verkehrsaufkommens“, sagt der Wissenschaftler.
Der Grund ist einfach: Mit dem autonomen Verkehr sinken die Kosten des Autofahrens – nicht unbedingt die finanziellen, aber die Zeit-Kosten. Ein komplett selbstfahrendes Auto lässt den Insassen Zeit, andere Dinge zu erledigen. Im Zeitalter des mobilen Internets wird es zum Büro oder zum rollenden Heimkino. Der Innenraum könnte völlig umgestaltet werden – etwa mit gegenüberliegenden Sitzbänken, Liegen oder einem Schreibtisch.
Es droht ein Effekt, der bereits beim Ausbau der Autobahnen in den vergangenen Jahrzehnten aufgetreten ist. Mit den neuen Verkehrswegen zogen mehr Menschen in die Vorstädte, bis die ausgebauten Straßen erneut voll waren – und der Effizienzgewinn mehr als neutralisiert war. „Eine staatliche Regulierung des Verkehrs wird nötig sein, weil es sonst sehr viel unnötigen Verkehr geben wird“, meint Greifenstein. Bewährt habe sich schon jetzt in Metropolen wie London und New York eine City-Maut. Auch viele chinesische Städte lassen Autos nur noch begrenzt zu und bevorzugen emissionsarme Elektroautos.
Dem verzichtbaren Verkehr wirkt jedoch ein anderer Effekt entgegen: Womöglich erübrigt sich der Besitz eines eigenen Autos, wenn Fahrzeuge per App schnell verfügbar sind – ähnlich einem heutigen Taxi, aber ohne die Kosten für den Fahrer. „Es ist völlig klar, dass sich Carsharing durchsetzen wird. Es ergibt keinen Sinn mehr, ein Auto zu besitzen – außer als Statussymbol“, ist Peter Letmathe, Wirtschaftswissenschaftler an der RWTH Aachen, überzeugt.
Dann verschiebt sich die ökonomische Kalkulation erneut. Heute erfordert ein Auto größere Anschaffungs- oder Leasingausgaben, verursacht also hohe Fixkosten. Dafür fallen die variablen Kosten je Kilometer moderat aus. Psychologisch bedeuten die ohnehin angefallen Ausgaben zudem: Damit sich diese Zahlungen vor sich selbst rechtfertigen lassen, muss das Auto möglichst oft genutzt werden – etwa statt einer eigentlich günstigeren U-Bahn. Diese Kalkulation ändert sich, wenn die Fixkosten entfallen und rein pro Fahrt gezahlt wird. Dann steht jeder Auto-Trip neu auf dem Prüfstand.
Einige Wissenschaftler beurteilen zudem das Potenzial der Technik für Effizienzgewinne höher. „Mehr Verkehr ist zwar wahrscheinlich“, sagt Forscherin Maren Paegert von der RWTH Aachen. Doch könnten die vorhandenen Straßen stolze 40 Prozent mehr Verkehr vertragen, wenn Fahrzeuge autonom und möglicherweise vernetzt dichter, vorausschauender und umweltfreundlicher fahren.
Weniger Tote, mehr Chancengleichheit
„Die sozialen Auswirkungen sind noch größer als die ökologischen Aspekte“, sagt Letmathe. Die Zahl der Verkehrstoten im Autoverkehr könne um 80 bis 90 Prozent sinken – also über 2000 Tote weniger im Jahr.
Zudem werden neue Gruppen mobil – etwa körperlich Beeinträchtigte oder Senioren. „Die Technik schafft einen großen gesellschaftlichen Nutzen. Das ist bedeutender als der Umstieg auf Elektromobilität“, sagt der RWTH-Professor. „Es ist der größte Umbruch für die individuelle Mobilität seit der Erfindung des Autos.“
Das bedeutet auch neue Geschäftsmodelle – und das Ende alter Erlösströme. Der Chipproduzent Nvidia etwa hat in seinem Münchener Büro eigenes einen Raum für „Executive Briefings“ eingerichtet. Hier zeigt der Konzern aus den USA deutschen Automanagern unter anderem, wie die KI aus den Videodaten von Hunderttausenden Fahrzeugen Muster erkennt und sogar eigene Videos produziert, um das richtige Verhalten bei allen Wetter- und Lichtsituationen zu lernen.
Autonomes Fahren ist nicht das einzige Feld, in dem Nvidia mit Herstellern wie BMW und Mercedes kooperiert. Das Unternehmen ermöglicht auch, Fabriken per digitalem Zwilling zu planen und zu steuern. Fünf Milliarden Dollar Umsatz mit der Autoindustrie verzeichnet Nvidia schon jetzt. Dabei sind teilautonome Fahrfunktionen erst bei wenigen Autos an Bord, und wenn dann solche, die weiter aktive Fahrer erfordern. Rollen autonome Fahrzeuge im großen Stil auf den Straßen, dürfte sich der Umsatz in dem Bereich vervielfachen.
Während Nivida zu den Gewinnern des Umbruchs gehört, ist noch unklar, welche Autohersteller gestärkt aus dem Umbruch hervorgehen. „Die Autoindustrie wird es auf keinen Fall schaffen, ihr altes Geschäftsmodell zu retten, sobald es voll automatisiertes Fahren gibt“, warnt Letmathe. „Und die Technik wird sich etablieren. Die Frage ist nur: wann?“, sagt er – und erkennt ein Muster: Die Autoindustrie laufe den technologischen Entwicklungen seit 15 Jahren hinterher.
Ein Problem für die Branchen-Strategen ist, dass noch unklar ist, welches Prinzip sich durchsetzt – oder ob es mehrere sind. Bei den technologisch am weitesten fortgeschrittenen Projekten im realen Einsatz, etwa wie Waymo von der Google-Mutter Alphabet in den USA, handelt es sich um Taxi-Dienste. Sie machen eher Uber-Fahrern Konkurrenz als den klassischen Autoherstellern.
Die wiederum zeigen wenig Ambition, kurzfristig vollautonome Systeme für Privatkunden anzubieten. Sie entwickeln vielmehr die vorhandenen Assistenzsysteme so weiter, dass sie nach und nach selbstständiger agieren. Bis es wirklich autonome Privatautos im großen Stil gibt, könnte es so noch bis in die 2040er-Jahre dauern.
Chancen für Revolutionäre
Es sei denn, Visionär Musk erweist sich noch als treffsicher. Der Tesla-Chef hat autonomes Fahren im Serienauto als klares Kurzfrist-Ziel ausgerufen. Doch auch Musks Geschäftsmodell ist gespalten: Einerseits bietet auch Tesla testweise einen Taxi-Dienst in Austin im Bundesstaat Texas an. Andererseits sollen bald schon bestehende Teslas per Software-Update autonom fahren und dadurch für Autokäufer enorm an Attraktivität gewinnen. Und Musk stellt seinen Kunden darüber hinaus in Aussicht, dass sie ihren privaten Wagen immer dann als Robo-Taxi herumfahren lassen können, wenn sie ihn nicht benötigen – und so als Mini-Fuhrunternehmer Geld einnehmen können.
Vielleicht gewinnen aber auch Anbieter, die heute noch niemand auf dem Schirm hat. Lethmathe jedenfalls sieht Chancen für Revolutionäre, für Start-ups, die die Autobranche aufmischen könnten.
Allerdings geben die etablierten Spieler nicht kampflos auf. Volkswagen etwa hat sich mit dem Anbieter Mobileye verbündet, um seine ID.Buzz-Kleintransporter zum ersten autonomen Serienmodell aufzurüsten – zunächst für Service-Anbieter wie das konzerneigene Moia-System in Hamburg, ÖPNV-Anbieter oder den neu gewonnenen Partner Uber.
Mercedes hingegen ermöglicht seinen S-Klasse-Kunden als einer der ersten Hersteller weltweit, im zäh fließenden Autobahn-Verkehr die Augen von der Straße zu nehmen. Allerdings müssen die Fahrer aktuell noch innerhalb von zehn Sekunden nach einem Alarmsignal in der Lage sein, das Steuer wieder zu übernehmen. Doch das Feature könnte der erste Schritt zum autonomen Oberklasse-Auto sein – jedenfalls dann, wenn sich der Technologiewandel tatsächlich evolutionär vollzieht, wie es die europäischen Hersteller erwarten. Und nicht Knall auf Fall, wie es Tesla-Chef Musk anstrebt.
Letztlich ist nur eines klar: Nicht nur die Technik wird definieren, wie die automobile Gesellschaft der Zukunft aussieht, sondern auch das dominante Geschäftsmodell. Dass dabei ein grünes Paradies entsteht, ist nur eine von vielen Möglichkeiten.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Christoph Kapalschinski berichtet als Redakteur über die Autoindustrie.
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