Ist China grüner als sein Ruf?
China steht vor einer Mammutaufgabe: Das Land mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoß möchte bis 2060 klimaneutral werden. Der Anteil erneuerbarer Energien am chinesischen Strommix ist in den vergangenen Jahren so stark gestiegen wie sonst nirgendwo auf der Welt. Mit klimaschonenden Technologien flutet Peking die internationalen Märkte und trägt damit global zur grünen Wende bei. Gleichzeitig hält das Land an der schmutzigen Kohle fest und stellte mit seinen Treibhausgasemissionen immer neue Rekorde auf – bis jetzt.
Seit anderthalb Jahren steigen Chinas Emissionen kaum noch an. Obwohl der Energiebedarf des Landes wächst, sind seine CO2-Emissionen aus fossilen Quellen erstmals gesunken. Ist das die Klimakehrtwende, auf die die Welt so lange gewartet hat? Ein Blick auf die bemerkenswerte Energiewende der Volksrepublik.

Annäherung durch Klimaschutz Die USA, China und das Klima – was zwei Großmächte daran hindert, den Planeten zu retten
Aus Umweltschutz wird Industriepolitik
Als Deutschland in den 1970er Jahren nach der Ölkrise ernsthaft über Alternativen zu den fossilen Energieträgern nachdachte, schielte China neugierig gen Westen. Bis zur Jahrhundertwende steckte die Debatte um klimaschonende Alternativen dort aber noch in den Kinderschuhen, Vorrang hatte das Ziel, möglichst vielen Chinesen zu Wohlstand zu bringen. Umweltziele wurden in den Fünfjahresplänen von Partei und Staat zwar erwähnt, waren aber nie bindend. Die schädlichen Folgen des kohlebasierten Wirtschaftswunders konnte die Kommunistische Partei lange ignorieren, auch weil der Sektor Millionen Menschen aus der Armut holte.
Ähnlich wie in der Nachkriegszeit im Westen litten die Chinesen aber unter der erheblichen Luftverschmutzung, vor allem in den Ballungszentren. Für die Städter war das teilweise so unerträglich, dass es 2003 zu Massenprotesten gegen die Schadstoffbelastung in der Luft und in Gewässern kam. Die Parteiführung kam nicht mehr drumherum, die Umweltauflagen verpflichtend in ihren Fünfjahresplänen aufzunehmen.
Seitdem werden Regionalregierungen daran gemessen, ob sie die Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stoffe und Gase in der Luft und in Gewässern einhalten. Zusätzlich entdeckte China, dass die grüne Transformation auch ein Wirtschaftstreiber sein kann: Mit billigen Krediten und hohen Subventionen überzeugte die Parteiführung Unternehmen von den erneuerbaren Technologien und zweigt dafür mittlerweile sogar Investitionen aus dem krisengebeutelten Immobilienmarkt ab.
"Die Mischung aus Industriepolitik, Regulierung und knallharten Vorschriften hat dazu geführt, dass erneuerbare Energien jetzt zum wichtigen Wirtschaftsfaktor in China geworden sind", sagt Politikwissenschaftlerin Genia Kostka, die sich an der FU Berlin mit dem Thema beschäftigt. In einigen Regionen sei dagegen die Arbeitslosenquote gestiegen und das Wirtschaftswachstum eingebrochen, weil einige Industrien und Kohlekraftwerke geschlossen wurden. "Gleichzeitig hat man gehofft, dass die grüne Transformation solche Nebenwirkungen abfedert."
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Mit den "neuen Drei" an die Spitze der internationalen Märkte
Fachleuten streiten, ob der Kampf gegen den Klimawandel mit diesem sogenannten "ökologischen Autoritarismus" gewonnen werden kann. China-Beobachter Nis Grünberg beschäftigt sich am Mercator Institute for China Studies (Merics) mit der nachhaltigen Entwicklung des Landes und sagt: "Man braucht einfach den politischen Willen und muss dafür auch das Geld in die Hand nehmen und investieren."
Das bekommt der Westen auf den internationalen Märkten zu spüren: Mit den sogenannten "neuen Drei" – Batterien, Solarzellen und E-Autos – hat sich China zum globalen Produktionszentrum gemausert und innerhalb weniger Jahre an die Spitze der internationalen Märkte katapultiert.
Über zwei große Programme fördert die chinesische Regierung vor allem den Ausbau der Solarenergie. Mehr als die Hälfte der insgesamt 22 Provinzen sind daran beteiligt. 2023 stieg die Zahl der Anlagen in dem Land so stark wie nie zuvor, berichtet das Thinktank Carbon Brief. Einen Großteil der Paneele exportierte China nach Afrika und in südasiatische Länder. Mit der subventionierten Technik hat China die internationalen Preise drastisch gedrückt: Die Kosten für Solarenergie fielen dadurch um 40 Prozent, die Batteriepreise haben sich seitdem halbiert.

Energiewende Solar-Weltmacht Peking – 2026 werden 80 Prozent aller Solarkomponenten aus China kommen
Jetzt pulverisiert China seine Rekorde von damals: Im ersten Halbjahr 2025, so berichtet das Analysehaus Wood Mackenzie, hat die Volksrepublik neue Solarkraftwerke mit einer Spitzenleistung von insgesamt gut 212 Gigawatt (GW) in Betrieb genommen. Das ist ungefähr doppelt so viel, wie Deutschland innerhalb der letzten 25 Jahre installiert hat. Dazu beigetragen hat auch US-Präsident Donald Trump mit seinem Handelskrieg. China habe dadurch beschlossen, seine Wirtschaft stärker auf den Binnenkonsum als auf den Export auszurichten. Im dritten Quartal 2025 stieg die Stromerzeugung aus Solarenergie in China laut Carbon Brief um 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Auch die Windkraft im Land nahm zu. Verglichen mit der Solarenergie spielt sie aber eine kleine Rolle, weil Peking vor allem alte Windfarmen wiederbelebt. Neue Windprojekte werden seltener staatlich gefördert, weil die hohen Preise beim Rohmaterial die Profite drücken würden. Einige direkte Subventionen für Onshore-Windenergie wurden bereits beendet.
Etwas lockerer sitzt laut Carbon Brief das Geld wieder für Elektrofahrzeuge. Käufe werden seit 14 Jahren subventioniert, das Angebot ist entsprechend groß: Im ganzen Land gibt es laut Carbon Brief 94 E-Automarken mit mehr als 300 Modellen. Knapp mehr als 50 Prozent der Neuzulassungen im Land waren 2025 E-Autos – Tendenz steigend.
Chinas Achillesferse
Durch den massiven Ausbau erneuerbaren Energien kann China seine Kohlenstoffemissionen seit knapp anderthalb Jahren deutlich senken: Strom aus Wind, Solar- und Kernkraftwerken reichen mittlerweile aus, um die schmutzige Kohleverstromung trotz steigendem Energiebedarf zu reduzieren, schreiben die Experten des Thinktanks Carbon Brief in ihrem aktuellen Bericht. Dadurch stagnieren die klimaschädlichen CO2-Emissionen. Es ist das erste Mal, dass die Volksrepublik ihren Kohlenstoffausstoß durch grüne Energie senkt. Insgesamt ist ihr Anteil am chinesischen Strommixes trotzdem weiter gering. 2024 lag er bei knapp 18 Prozent. Theoretisch könnten die vorhandenen Anlagen mehr Strom ins Netz pumpen. Praktisch funktioniert das aber nicht, weil der Ausbau der Stromtrassen stockt.
Die Anlagen können den immensen Energiebedarf des Landes nicht ansatzweise decken, weshalb Peking weiterhin an den fossilen Ressourcen festhält. Über 60 Prozent des gesamten Energiebedarfs in China wird mit Kohle gedeckt, mehr als ein Viertel werden mit Öl und Gas hergestellt, zeigen Daten der Internationalen Energieagentur (IEA). China bleibt damit weltweiter Spitzenreiter beim Ausstoß an Treibhausgasen.
Wie realistisch sind Chinas langfristige Klimaziele?
Ob sich das ändern wird? China-Experten sind sich unsicher. Kohle gilt nach wie vor als verlässlichste Energiequelle und sichert fast drei Millionen Arbeitsplätze. Auch von Öl- und Gasimporten wird sich China bis 2060 kaum verabschieden. "Der Energiebedarf in dem Land ist ungebrochen hoch und wird weiter steigen", prognostiziert Kostka. Solar- und Windkraft sollen die Nachfrage zusätzlich befriedigen, die fossilen Energieträger werden sie wohl niemals ganz ablösen. Außerdem hat das Land im ersten Halbjahr 2025 so viele Kohlekraftwerke ans Netz genommen, wie zuletzt vor zehn Jahren.
Bis zum Jahr 2035 will China seine Treibhausgasemissionen um sieben bis zehn Prozent senken. Experten des Thinktanks Climate Action Tracker befürchten allerdings, dass sich Chinas Treibhausgasausstoß danach auf einem minimal niedrigeren Niveau weiterbewegt. Netto-Null-Emissionen sind in dem Szenario unrealistisch.
"Technisch gesehen wäre das Klimaziel 2060 für China aber erreichbar", glaubt Grünberg. Dafür müsste China die Restemissionen mithilfe von Geoengineering-Methoden aus der Luft entfernen. Allerdings ist die Kohlenstoffspeicherung im Meer oder unter der Erde (CCS) weltweit umstritten, weil unklar ist, ob Kohlenstoff wirklich ohne Weiteres unterirdisch gelagert werden kann. Aber ganz vielleicht gibt es bald im Westen dafür eine Lösung – die China dann marktreif macht.
Hinweis: Dieser Artikel erschien bereits im Juni 2024. Wir haben ihn aus gegebenem Anlass aktualisiert und noch einmal publiziert.
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