Wer Wein zur Gefahr erklärt, verliert Maß und Respekt vor Menschen
Ein Gastgeber öffnet eine Flasche Wein, schenkt ein, lächelt, reicht das Glas weiter. Eine Geste der Gastfreundschaft, eine Einladung zu Gespräch, Gemeinschaft, Kultur. Was für Generationen selbstverständlich war, wird inzwischen von manchen als Anschlag auf Leib und Leben betrachtet. Wer Wein anbietet, gilt schnell als jemand, der Gesundheit riskiert – bis hin zum potenziellen Lebensgefährder.
Spätestens seit in einem Meinungsstück einer überregionalen Tageszeitung der Satz fiel, „eigentlich ist das Sterben der Weingüter eine gute Nachricht, denn es könnte das Sterben von Menschen verhindern“, ist klar: Die Debatte über Wein ist entgleist. Diese Aussage ist nicht nur falsch, sie ist zynisch. Sie beleidigt all jene, die vom Wein leben, die ihn mit Leidenschaft erzeugen und Verantwortung übernehmen – für Natur, Qualität und Arbeitsplätze.
Natürlich, niemand ruft zum besinnungslosen Trinken auf. Wein ist kein Getränk, das man achtlos konsumiert. Wein ist Kultur, Handwerk, Geschichte. Maßvoller Weingenuss ist kein gesundheitliches Risiko, sondern Ausdruck einer Lebenshaltung, die Achtsamkeit und Genuss miteinander verbindet.
„Apodiktische, allzu pauschale Warnungen“
Nie zuvor war das Bewusstsein für maßvollen Konsum größer – und das zeigt sich in der Branche wie bei den Verbrauchern. Initiativen wie „Wine in Moderation“ werben für verantwortungsvollen Genuss und setzen auf Aufklärung statt Bevormundung. Gleichzeitig fragen immer mehr Menschen nach alkoholreduzierten Weinen oder hochwertigen alkoholfreien Alternativen. Die Winzerinnen und Winzer reagieren mit Innovationskraft und neuen Produkten. Das zeigt: Der Weinbau stellt sich aktiv auf – verantwortungsvoll, modern und nah an den Menschen.
Die apodiktischen, allzu pauschalen Warnungen, wie sie derzeit von internationalen Organisationen verbreitet werden, greifen zu kurz. Die Weltgesundheitsorganisation erklärt pauschal, jeder Schluck könne schaden, es gebe keine sichere Konsummenge. Doch wissenschaftlich ist das Bild differenzierter.
Seriöse Studien belegen, dass mäßiger Weingenuss einen gesunden Lebensstil nicht konterkarieren muss – etwa im Rahmen der mediterranen Ernährung, die seit Jahrzehnten als besonders ausgewogen gilt. Es ist eben ein Unterschied, ob man trinkt, um zu genießen, oder um zu vergessen.
Der Weinbau ist kein Randphänomen. Er ist ein tragender Teil unserer Wirtschaft und Identität. In Rheinland-Pfalz hängen zehntausende Arbeitsplätze direkt oder indirekt an ihm – in Kellereien, im Tourismus, in der Gastronomie oder in der Landmaschinentechnologie. Ganze Regionen leben vom Wein – von der Ahr, der Mittelrheinregion, der Mosel und der Nahe bis nach Rheinhessen und in die Pfalz.
Der Weinbau formt Landschaften, schafft Wertschöpfung im ländlichen Raum und belebt Dörfer und Innenstädte. Und das gilt weit über Rheinland-Pfalz hinaus – auch in anderen weinbautreibenden Bundesländern ist der Wein Kern regionaler Identität und wirtschaftlicher Stärke.
Doch er ist mehr als Wirtschaft: Er ist Geschichte, Leidenschaft und Handwerk, er ist Ausdruck unserer Lebensart. Wer Wein verdammt, verdammt ein Stück unseres kulturellen Erbes. Hinter jedem Weingut stehen Familien, Geschichten und Existenzen. Für viele ist der Wein nicht nur Beruf, sondern Berufung. Und es gibt Fälle, in denen wirtschaftlicher Druck, fehlende Wertschätzung und öffentliche Diffamierung Menschen in tiefe Verzweiflung treiben. Solche Schicksale machen deutlich, dass es in dieser Diskussion nicht um Theorie geht, sondern um Menschen.
Der Versuch, Genuss moralisch zu ächten
Deshalb ist es so gefährlich, wenn aus Gesundheitsdebatten ideologische Kampagnen werden. Wenn man versucht, den Genuss moralisch zu ächten, verliert man den Respekt vor denen, die ihn ermöglichen. Der Weinbau verdient Anerkennung, keine Abwertung.
In Deutschland gehört Wein seit über 2000 Jahren zum Leben. In den Weinbergen und Dörfern, bei Festen, Feiern und im Gottesdienst – Wein ist Teil unserer Kultur. Eine Hütte im Pfälzer Wald ohne Schorle? Undenkbar. Diese Normalität ist kein Ausdruck von Exzess, sondern von Lebensfreude.
Ich bin überzeugt: Wir brauchen in dieser Debatte wieder mehr Vertrauen in die Menschen – und weniger Bevormundung. Verantwortung entsteht nicht durch Verbote, sondern durch Bewusstsein. Erwachsene brauchen keinen Staat, der ihnen vorschreibt, wann sie ein Glas Wein trinken dürfen. Sie brauchen eine Politik, die auf Aufklärung und Eigenverantwortung setzt, statt auf Misstrauen und erhobene Zeigefinger.
Politik kann und muss Rahmenbedingungen schaffen – mit Förderung, mit Forschung, mit Entlastungen. Genau das tun wir in Rheinland-Pfalz mit dem Weinbaupaket 2025+, das unsere Winzerinnen und Winzer stärkt, Innovationen fördert und den Weinbau zukunftsfest macht. Doch all das bleibt nur die eine Seite. Die andere ist unsere Haltung als Gesellschaft.
Ich wünsche mir, dass wir uns wieder stärker zu unseren Wurzeln bekennen – im wahrsten Sinne des Wortes. In Rheinland-Pfalz hängen diese Wurzeln an Reben. Sie stehen für Fleiß, für Leidenschaft, für Gemeinschaft und für Lebensfreude. Wer das versteht, weiß: Der Wein ist kein Risiko, sondern ein Stück Identität und Menschlichkeit. Schon Bundespräsident Theodor Heuss sagte einst: „Wein saufen ist Sünde, Wein trinken ist Gebet.“ In diesem Satz steckt eine Haltung, die wir wieder stärken sollten: Genuss mit Maß, Freiheit mit Verantwortung.
Daniela Schmitt (FDP) ist Ministerin für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke