Verspätung für eine schnelle Verbindung
An den stählernen Schotts endet der Weg, direkt dahinter liegt die Ostsee. Das Betonbauwerk ragt an dieser Stelle unterhalb der Wasseroberfläche bereits um einige Meter in das Meer hinein. Bis zur Installation der ersten Tunnelröhren halten die Schotts hier das Wasser ab. Das Portal des Fehmarnbelttunnels bei Puttgarden auf Fehmarn ist schon weitgehend vollendet. Eine Öffnung in einem Abschnitt der Decke, die aus logistischen Gründen noch offensteht, wird dieser Tage betoniert, dann ist die Struktur geschlossen. „Wir gehen davon aus, dass das Tunnelportal in Puttgarden bis spätestens Ende 2026 fertiggestellt ist. Wir sind hier gut im Zeitplan“, sagt Gregory Formichella, Bauleiter bei Femern A/S für Portale, Rampen und die landseitigen Arbeiten auf Fehmarn, bei einem Rundgang über die Baustelle. „Derzeit haben wir 420 von insgesamt 600 Metern des Tunnelportals fertiggestellt, das sind 21 Segmente von 20 Metern Länge, die in offener Tunnelbauweise betoniert wurden.“
Beim Bau des rund 18 Kilometer langen Absenktunnels durch die Ostsee ist Femern A/S schon weit gekommen, das staatliche dänische Unternehmen, das die Finanzierung, die Errichtung und die Inbetriebnahme des derzeit größten nordeuropäischen Bauwerks vorantreibt. Auch auf der deutschen Seite, auf Fehmarn, ist das mittlerweile zu sehen, auf der rund 90 Hektar großen Baustelle neben dem Fährhafen von Puttgarden. Das Portal führt den Tunnel in die Ostsee hinein und verbindet ihn auf der anderen Seite über Brücken, Schienen- und Straßenanschlüsse mit dem Inland.
Seit 2020 sind die Dänen mit den beteiligten internationalen Unternehmen und Konsortien beim Bau des Fehmarnbelttunnels weitgehend im Zeitplan geblieben. Doch an einer wichtigen Stelle hakt es seit Monaten. Die Spezialschiffe sind noch nicht einsatzbereit, die gegenüber von Fehmarn auf der dänischen Insel Lolland liegen und die später die mehrere Hundert Meter langen Tunnelelemente hinaus auf die Ostsee und hinunter in den bereits fertig ausgehobenen Tunnelgraben bringen sollen. An diesen Pontons, die aussehen wie riesige stählerne Klammern, werden die Betonelemente befestigt. Dann bringt man die Tunnelbauteile mithilfe von Schleppern in ihre Position auf dem Meer.
In den vergangenen Jahren peilte Femern A/S Ende 2029 für die Fertigstellung des Fehmarnbelttunnels an. Ob der Termin zu halten sein wird, ist unklar. „Der Fokus liegt darauf, schnellstmöglich mit dem Absenkprozess beginnen zu können“, teilt Femern A/S mit. Die „Ivy“ sei „ein einzigartiges und hochkomplexes Spezialschiff, das speziell für das Absenken der riesigen Elemente des Fehmarnbelt-Tunnels konzipiert und gebaut wurde. Um die erforderliche hohe Präzision beim Absenkvorgang gewährleisten zu können, muss das Schiff, das sich aus zwei Pontons zusammensetzt, intensiv getestet und von den zuständigen Behörden abgenommen werden. Neben der sehr umfangreichen technischen und mechanischen Schiffsausrüstung muss natürlich auch die Software reibungslos funktionieren.“
Schon jetzt ist klar: Die neue Verbindung kann im Jahr 2029 nicht in Betrieb gehen
Momentan lägen „noch nicht alle notwendigen Zertifizierungen und Genehmigungen vor. Das Spezialschiff, mit dem die 89 Tunnelelemente abgesenkt werden, ist daher noch nicht einsatzbereit. Verantwortlich für die Zulassung ist Søfartsstyrelsen, die dänische Seeschifffahrtsbehörde. Durchgeführt wird sie von der internationalen Klassifikationsgesellschaft DNV. Wenn alle Zertifikate und Genehmigungen vorliegen, kann abgesenkt werden.“
Wegen der verzögerten Absenkungen „wird es sehr schwierig, den Fehmarnbelt-Tunnel 2029 zu eröffnen“, so Femern A/S. Sobald die ersten Tunnelelemente platziert worden sind, wolle man „gemeinsam mit den Bauunternehmen prüfen, welche Beschleunigungsmaßnahmen umgesetzt werden können. Ebenso wie bei der Betonage der Tunnelelemente, gehen wir auch in der Absenkphase von einer Lernkurve aus, in deren Verlauf die Abläufe optimiert und beschleunigt werden können. Daher werden wir den Zeitplan nach dem Absenken der ersten Elemente neu bewerten.“
Klar ist allerdings jetzt schon: Selbst wenn es Femern A/S noch gelingt, wesentliche Zeit im Bauprozess wieder aufzuholen, kann die neue, schnelle Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland im Jahr 2029 nicht in Betrieb gehen – jedenfalls nicht der Schienenstrang, der neben der Straßenverbindung der wichtigere Teil des gesamten Projektes ist. Auf der Schiene soll die Fahrzeit zwischen Hamburg und Kopenhagen künftig auf zweieinhalb Stunden halbiert werden, im Verhältnis zum heutigen Zeitbedarf. Und für den Güterverkehr auf der Bahn bringt der Tunnel eine Abkürzung zwischen Deutschland und Dänemark um 160 Kilometer.
Die Deutsche Bahn kann einen wesentlichen Teil der 88 Kilometer langen Inlandsanbindung in Deutschland nicht – wie zunächst geplant – bis Ende 2029 fertigstellen, von der 55 Kilometer Strecke komplett neu gebaut werden. Die künftige Querung des Fehmarnsunds zwischen Fehmarn und dem deutschen Festland stellt sich als besonders kompliziert heraus. Für diesen rund 2,2 Kilometer langen Abschnitt soll ebenfalls ein Absenktunnel gebaut werden. Dessen Fertigstellung aber könnte nach Einschätzung des für die Genehmigung zuständigen Eisenbahnbundesamtes bis 2032 dauern – oder noch länger. Zur Inbetriebnahme der deutschen Inlandsanbindung werde es „ein Gespräch zwischen dem Bund und der dänischen Regierung geben“, teilt die Deutsche Bahn mit „Im Anschluss daran wird ein neuer Zeitplan benannt und festgelegt.“
Der Fehmarnbelttunnel mit seiner deutschen Inlandsanbindung ist derzeit nicht das einzige große Verkehrsprojekt im Norden, bei dem es zeitlich oder grundsätzlich hakt (siehe Text unten). Der Bau der Autobahn A26 Ost südlich des Hamburger Hafens wurde vom Bundesverwaltungsgericht Anfang Oktober nach einer Klage der Umweltverbände BUND und Nabu gestoppt. Hamburgs Wirtschaftsbehörde muss den Planfeststellungsbeschluss im Sinne eines besseren Klimaschutzes nachbessern. Das Projekt einer zusätzlichen Elbquerung zwischen Glückstadt und Drochtersen mit der Autobahn A20 wiederum kommt seit Jahren kaum voran. Und der von der Deutschen Bahn geforderte Bau einer zweiten Schnellbahntrasse zwischen Hamburg und Hannover wird von der Landespolitik in Niedersachsen, von Bürgerinitiativen und Umweltschützern vehement bekämpft.
Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete und Verkehrspolitiker Christoph Ploß bewertet diese Projekte in ihrer logistischen und wirtschaftlichen Funktion – und er hält sie für relevant mit Blick auf Europas Verteidigungsfähigkeit, besonders den Fehmarnbelttunnel. „Hamburg ist seit Jahrhunderten eine Logistikstadt, die von ihren Verkehrswegen lebt. Durch die Fehmarnbeltquerung könnte Hamburg eines der bedeutendsten Logistik-Drehkreuze in Europa werden. Die Fehmarnbeltquerung ist aus meiner Sicht eines der am meisten unterschätzten Infrastrukturprojekte“, sagt Ploß, der auch maritimer Koordinator des Bundes ist. „Sie kann auch für die schnelle Verlegung von Truppen und militärischem Gerät zwischen Mitteleuropa und Skandinavien von entscheidender Bedeutung sein.“
Ganz anders sieht das der Branchenverband Die Güterbahnen mit Sitz in Berlin. Der vertritt – in Abgrenzung zur Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn – die Interessen der privatwirtschaftlichen Güterbahnbetreiber: „Ein strukturelles Problem bleibt, dass die Bundesregierung Projekte priorisiert hat, die auf jahrzehntealten Staatsverträgen mit Nachbarländern beruhen“, sagt Geschäftsführer Peter Westenberger. „Das sind oft eher europapolitische als verkehrliche Entscheidungen. So ist etwa die Hinterlandanbindung des Fehmarnbelttunnels für den Güterverkehr weniger bedeutend als andere Projekte, zumal die bestehende Route über Flensburg und Århus nicht überlastet ist.“
Auf Fehmarn lässt sich der Bauingenieur Gregory Formichella unterdessen nicht durch Verzögerungen an anderen Stellen des Großprojektes beirren. An der weitläufigen Baustelle neben dem Fährhafen von Puttgarden ist gut zu erkennen, mit welcher Logistik das Projekt umgesetzt wird. Das Baumaterial – Steine, Sand und Zement – wird über den Arbeitshafen direkt neben der Baustelle herangeschafft. Etwa 87.000 Kubikmeter Beton werden in Puttgarden verbaut, rund 16.000 Kubikmeter davon fehlen derzeit noch. Aus topografischen Gründen ist das Tunnelportal auf der deutschen Seite wesentlich größer als das Gegenstück auf der dänischen Insel Lolland. Seit Juli 2023 bis zum Herbst 2025 sind schon mehr als 500.000 Tonnen Material über den Arbeitshafen angeliefert worden. Neben der Kaianlage des Arbeitshafens stehen Silos für Zement und weitere Lagerflächen für das Baumaterial.
Auf dem Seeweg kam auch Sediment nach Puttgarden, das bei der Aushebung des Tunnelgrabens in der Ostsee gewonnen wurde und das schrittweise verbaut wird. „Wir hatten hier auf der deutschen Baustelle zeitweise bis zu 730.000 Kubikmeter Aushub aus dem Tunnelgraben gelagert. Ein Drittel davon ist mittlerweile schon verbaut, etwa für die Rampen der künftigen Autobahn“, sagt Formichella. „Auch für die seitliche Verfüllung und das Abdecken des landseitigen Tunnels wird der Geschiebemergel aus dem Tunnelgraben verwendet.“
Am Rand der Portalbaustelle steht auf einer Aussichtsplattform ein Informationscontainer, der auch an diesem trüben Oktobertag gut besucht ist. Die Großbaustelle, der viele Fehmaraner skeptisch und ablehnend gegenüberstanden, hat sich zur Touristenattraktion entwickelt. Rund um die weite Betonstruktur herum fährt schweres Gerät – Radlader, Bagger und Muldenkipper –, um die notwendigen Erdarbeiten fortzusetzen. Mit Grünpflanzen bewachsen sind mittlerweile die „Mieten“, die Lagerstätten mit der kostbaren „Fehmaraner Schwarzerde“. Der besonders fruchtbare Ackerboden soll nach dem Ende der Bauarbeiten wieder auf den Flächen der jeweiligen Landwirte ausgebracht werden.
Nachdem das erste Tunnelelement am Portal auf Fehmarn abgesenkt worden ist, werden Arbeiter die doppelte Reihe der Stahlschotts stückweise herausnehmen. Ein Element nach dem anderen wird dann, von Lolland und Fehmarn aus, in den Tunnelgraben auf der Ostsee abgesenkt und an das vorangegangene angeschlossen. Femern A/S stellt insgesamt 79 der jeweils 217 Meter langen, gut 73.000 Tonnen schweren Standardelemente in seiner eigens gebauten Betonagefabrik auf Lolland her. Hinzu kommen zehn kürzere Spezialelemente. Sobald alle Elemente am Meeresgrund liegen, wird das Innere des Tunnels eingerichtet.
Von den Problemen bei der Straßen- und Schienenanbindung auf der deutschen Seite will sich Femern A/S nicht bremsen lassen. Für die Fertigstellung der Straßenanbindung ist in Deutschland die Deges zuständig, ein Unternehmen, das Bund und Ländern gehört. „Mit den Projektpartnern Deges und Deutsche Bahn sind wir für die Schnittstellen auf deutscher Seite im Austausch“, heißt es von Femern A/S. „Die Verzögerungen bei der Schienen-Hinterlandanbindung nehmen wir zur Kenntnis, auf den Bau des Tunnels hat das derzeit jedoch keinen Einfluss.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtert seit vielen Jahren regelmäßig über die Fortschritte beim Bau des Fehmarnbelttunnels.
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