Die massive Zunahme von Zöllen in verschiedenen Regionen belastet den Welthandel, verändert Handelsrouten – und begünstigt zugleich eine Reihe von Staaten in ihrer künftigen Rolle als Drehkreuze des Warenaustausches. Zu diesem Ergebnis kommt in einer neuen Studie der weltweit führende Export- und Kreditversicherer Allianz Trade mit Sitz in Paris, zu dem auch das frühere deutsche Unternehmen Euler Hermes in Hamburg gehört. Die Studie liegt WELT exklusiv vor. Allianz Trade gehört zum Münchner Versicherungskonzern Allianz.

„Allein im vergangenen Jahr hat sich das durch Handelsbeschränkungen betroffene Handelsvolumen fast verdreifacht und betrifft Waren im Wert von schätzungsweise 2,7 Billionen US-Dollar. Das sind fast 20 Prozent der weltweiten Importe“, sagt Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade. Haupttreiber seien vor allem neu eingeführte Importzölle. „Bis Mitte Oktober wurden 309 neue Zölle eingeführt, das sind fast doppelt so viele wie im Gesamtjahr 2024. Dies fördert zunehmendes ,Friendshoring‘ und Regionalisierung.“

Für dieses Jahr erwartet Allianz Trade ein Anstieg des weltweiten Handelswachstums von nur rund zwei Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 war der globale Austausch von Waren und Dienstleistungen um 3,7 Prozent gewachsen. Allein die Hälfte des bereits deutlich geringeren Wachstums in diesem Jahr geht nach Einschätzung der Allianz-Trade-Experten auf eine Umleitung von US-Importen weg von China, eine Vorverlagerung von Lieferungen vor der Einführung höherer US-Zölle sowie auf eine stärkere Diversifizierung des Handels zurück. Zusammen tragen diese Faktoren rund 1,3 Prozentpunkte des prognostizierten Gesamtwachstums bei.

Für die Jahre 2026 und 2027 erwarten die Allianz-Trade-Volkswirte einen weiteren Rückgang des globalen Handels mit Waren und Dienstleistungen auf 0,6 Prozent beziehungsweise 1,8 Prozent. „Dies verdeutlicht die verzögerten Auswirkungen des Handelskriegs und die Herausforderungen, denen sich die derzeitige Handelsinfrastruktur stellen muss“, heißt es in der Studie.

Deutschland als drittgrößte Außenhandelsnation ist von der Zunahme der Zölle besonders betroffen: 2023 waren laut Allianz Trade nur rund zwei Prozent der deutschen Exporte von neuen Zollmaßnahmen betroffen, 2024 waren es bereits sieben Prozent. „Mitte November dieses Jahres lag der Anteil bei rund 25 Prozent der deutschen Ausfuhren“, schreibt Allianz Trade.

Die stark zunehmende Zahl von Zöllen – verursacht maßgeblich auch durch die Handelspolitk von US-Präsident Donald Trump – führt zur Herausbildung neuer Handelswege. Diese Entwicklung wiederum stärkt Hafen- und Logistikstandorte vor allem am Persischen Golf und in Asien. Unternehmen nehmen mittlerweile deutlich längere Handelswege in Kauf, wenn dadurch ihre Lieferkette gestärkt wird.

„Die Lieferketten von Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert: Resilienz kommt inzwischen vor Effizienz“, sagt Allianz-Trade-Volkswirtin Gröschl. „Unternehmen haben auf die harte Tour gelernt, dass Waren besser später als gar nicht ankommen. Längere Transportwege sind inzwischen häufig das kleinere Übel.“

Der Handel zwischen geopolitisch ähnlich ausgerichteten Volkswirtschaften gewinne im Kontext des Handelskriegs, zunehmender Spannungen und wachsendem Protektionismus an Bedeutung: „Die politische Ausrichtung spielt im Welthandel inzwischen eine sehr große Rolle“, sagt Gröschl. „Das bedeutet auch: Lieferketten müssen sich anpassen.“

Geopolitische Risiken, aber auch Einflussfaktoren des Klimawandels wie Stürme und Hochwasser, führen zur Herausbildung neuer, internationaler Logistikzentren. „Das aktualisierte Allianz Trade Ranking der Handelszentren der nächsten Generation zeigt, dass sich die Volkswirtschaften in drei Ebenen – multimodal, logistisch und intermediär – neu positionieren, da Zölle, Sanktionen und Veränderungen in der Lieferkette die globalen Ströme neu gestalten“, schreibt Allianz Trade.

Die Versicherung stellt in ihrem Ranking fest: „Die Vereinigten Arabischen Emirate auf Platz 1 und Malaysia auf Platz 3 führen als konsolidierte multimodale Kraftzentren, gestützt durch die gute Hafeninfrastruktur von Häfen wie Jebel Ali und Port Klang, die Asien, den Nahen Osten und Europa verbinden. Vietnam springt auf Platz 2, getragen von steigenden Exporten und einem neuen Zollabkommen mit den USA, das seine Rolle im Zentrum der Umverteilung der Produktion in Asien festigt“. Auf Platz 4 des Rankings steht Saudi-Arabien. Das Land verzeichne mit einem Sprung um elf Plätze „den stärksten Anstieg, da niedrigere Zölle und wachsende Nicht-Öl-Exporte sein Handelspotenzial erweitern“.

Besonders unter Druck sieht Allianz Trade zwei Wasserstraßen, durch die heutzutage ein wesentlicher Teil des Welthandels transportiert wird: „Das Risiko politischer oder klimatischer Schocks für internationale Handels-Drehkreuze wächst“, sagt Lluis Dalmau, Volkswirt bei Allianz Trade. „Der Suez- und der Panamakanal führen die Liste der Hochrisiko-Engpässe an: Kapazitäten und Alternativen sind begrenzt, politische Risiken in fast allen Meeresengen sehr hoch und die klimatischen Risiken steigen fast überall.

Auch für Deutschlands größten Seehafen könnte der Klimawandel aus Sicht von Allianz Trade negative Folgen haben: „Niedrige Wasserstände könnten auch für den Hamburger Hafen perspektivisch ein klimatisches Risiko darstellen, sagt Dalmau. „Als Tidehafen ist er besonders stark von Wasserstand und Gezeiten abhängig, zusätzlich zu möglichen Sturmfluten.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die maritme Wirtschaft – Schifffahrt, Häfen und Werften – und auch über den Außenhandel.

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