"Heizkosten in Polen könnten durch ETS-2 um 150 Prozent steigen"
2027 zündet die EU die nächste Stufe des Emissionshandels: Sie nimmt Wärme und Verkehr auf, greift Privathaushalten also beim Tanken und Heizen in die Tasche. Speziell in Osteuropa droht ein Schock beim Blick auf die Zapfsäule oder die Heizkostenrechnung. "Dort heizen viele Haushalte nach wie vor mit Holz oder Kohle", sagt Epico-Chef Bernd Weber im "Klima-Labor" von ntv. "Die stoßen besonders viele Emissionen aus. Diese Haushalte werden den CO2-Preis besonders schnell spüren." Fünf EU-Staaten fürchten grassierende Energiearmut, sie möchten die Einführung des ETS-2 verhindern. Dabei stellt die EU ihnen viele Milliarden Euro aus dem Emissionshandel zur Verfügung, um einkommensschwache Haushalte zu entlasten. Doch die meisten EU-Staaten - auch Deutschland - haben eine Frist zum Abrufen der Gelder verfallen lassen.
ntv.de: Was ist der ETS-2? Was steht da drin?
Bernd Weber: Der ETS ist der europäische Emissionshandel. Der bestimmt die CO2-Preise. In der Industrie und im Energiebereich sind unsere Emissionen seit der Einführung des ETS-1 vor 20 Jahren um 48 Prozent gesunken. Der ETS-2 deckt zwei weitere Sektoren ab: Wärme und Verkehr. Heizen und Tanken sind für ungefähr 40 Prozent unserer CO2-Emissionen verantwortlich, dort kommen wir bisher aber kaum voran. Deshalb soll der Erfolg des Emissionshandels ab 2027 auf diese Bereiche übertragen werden. Das Preissignal soll Anreize für mehr Effizienz, saubere Technologien wie Wärmepumpen oder schlicht weniger Verbrauch schaffen.
Das betrifft jeden Haushalt und jeden Autofahrer?
Ja, damit greift die CO2-Bepreisung erstmals europaweit direkt in die Geldbörsen privater Haushalte. Es ist aber nicht so, dass Privatpersonen in Zukunft CO2-Zertifikate kaufen müssen, wenn sie eine Gasheizung haben oder einen Verbrenner fahren. Das übernehmen die Lieferanten: beim Tanken also Shell oder Total, beim Heizen der Gasversorger. Die sind verpflichtet, für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein CO2-Zertifikat zu kaufen. Die Kosten geben sie anschließend an die Endverbraucher weiter.
Wie teuer wird das?
Das hängt von mehreren Variablen ab. In Deutschland wird man das anfangs kaum spüren, da wir bereits CO2-Preise für Wärme und Verkehr eingeführt haben. Aktuell werden 55 Euro pro Tonne CO2 fällig. Sobald das deutsche System durch den ETS-2 abgelöst wird, erwarten wir ohne Reformen einen Preis von 50 bis 75 Euro. Es wird also keinen Schock an der Zapfsäule oder auf der Gasrechnung geben. Die Zahl der verfügbaren CO2-Zertifikate wird jedoch jedes Jahr reduziert. Anfang der 2030er Jahre könnte der Preis daher auf mehr als 100 Euro pro Tonne CO2 steigen.
Kann man die Zusatzkosten auf einen normalen Haushalt mit Gasheizung herunterbrechen?
Kann man, aber die Unterschiede zwischen den Ländern sind groß. Wir haben uns das für Polen angeschaut, denn dort könnte die Einführung des ETS-2 einen enormen Unterschied machen: Etwa drei Millionen polnischen Haushalten droht eine Preissteigerung von bis zu 150 Prozent. Deshalb ist Polen einer der entschiedensten Gegner des ETS-2.
Weil diese Haushalte mit Gas heizen?
Nein, bei Gasheizungen ist die Veränderung anfangs überschaubar. Die sind auch nicht so weit verbreitet. In Polen heizen viele Haushalte noch mit festen Brennstoffen wie Holz oder Kohle. Diese stoßen besonders viel CO2 aus - und werden die Auswirkungen des ETS-2 daher besonders schnell spüren.
Deutschland ist also gut vorbereitet, in Polen steigt die Belastung dagegen von null auf 100?
Deutschland spielt beim Emissionshandel eine besondere Rolle. Unser heimisches System ist gewissermaßen der Prototyp für das europaweite. Selbst wenn die EU den ETS-2 nicht wie geplant 2027 einführt, sind Brennstoffe wie Benzin, Erdgas oder Heizöl im deutschen Handel erfasst. Wir spielen aber auch deshalb eine wichtige Rolle, weil sich auf europäischer Ebene speziell CDU und CSU für den ETS-2 eingesetzt und gegen Bedenken anderer Länder durchgesetzt haben. Die Union ist überzeugt: Dies ist der effizienteste Weg, die Emissionen in den Bereichen Wärme und Verkehr zu senken.
Weil er ohne Verbote auskommt.
Der Emissionshandel löst zwar nicht alle Probleme auf einmal, aber man sieht in den Bereichen Energie und Industrie: Das Preissignal funktioniert. Inzwischen kopieren andere Länder das System.
Schmutzige Technologien werden durch den steigenden CO2-Preis immer teurer und machen den Umstieg auf saubere Technologien für Unternehmen, Branchen oder Verbraucher attraktiv?
Ja, deshalb ist es auch aus wirtschaftlicher Sicht im deutschen Interesse, dass die CO2-Bepreisung nicht nur hierzulande gilt, sondern europaweit: Investitionen in saubere Technologien kosten Geld, generieren aber auch Wachstum in Zukunftsmärkten. Davon hängen Jobs ab. Für Deutschland wäre es ein böses Erwachen, wenn der ETS-2 nicht wie geplant 2027 eingeführt wird.
Polen, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern möchten die Einführung von 2027 auf 2030 verschieben. Für sie ist es nur ein schwacher Trost, dass Deutschland sich vorbereitet hat, wenn die heimische Bevölkerung plötzlich 150 Prozent höhere Heizkosten hat.
Das ist tatsächlich europaweit ein Problem und eine Parallele zum Heizungsgesetz. Es ist nicht klar definiert, wie die Entlastung für Haushalte aussehen soll, die sich weder ein E-Auto noch eine Wärmepumpe leisten können. Das müssen wir unbedingt angehen, und zwar mit den Einnahmen, die der ETS-2 generieren wird: Ein Viertel davon landet im Klimasozialfonds der Europäischen Union. Der weitaus größere Teil geht an die Mitgliedstaaten und muss zweckgebunden verwendet werden, etwa für Investitionen in saubere Technologien oder Übergangshilfen. In Deutschland fließt das Geld vermutlich in den Klima- und Transformationsfonds.
In Deutschland wird der KTF genutzt, um E-Autos zu fördern. Das bringt Haushalten mit geringem Einkommen nichts. Die Ampel-Koalition wollte sie mit dem Klimageld unterstützen, konnte das aber nicht umsetzen. Schwarz-Rot hat es aus dem Koalitionsvertrag gestrichen.
Es gibt von Land zu Land verschiedene sozioökonomische Strukturen. Wer noch mit einem Kohleofen heizt, kann sich wahrscheinlich kein E-Auto leisten. Genau für diese Menschen ist der Klimasozialfonds der EU gedacht. Er hat von 2026 bis 2032 ein Volumen von 87 Milliarden Euro. Wenn die Mitgliedstaaten dieses Geld nutzen wollen, müssen sie allerdings einen Klima-Sozialplan vorlegen. Die Frist hierfür ist am 30. Juni abgelaufen. Ein Großteil der Länder hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Die osteuropäischen Länder haben die Frist verpasst. Deutschland hat auch keinen Plan eingereicht. Das Geld bleibt 2026 also ungenutzt. Das ist deprimierend.
Deutschland hat Anspruch auf 5,3 Milliarden Euro, Polen sogar auf 11 Milliarden Euro.
Damit kann man nicht jede Investition abdecken, aber ja. Es sind signifikante Größen, um die Belastung zu senken. Warum wird das Geld nicht über einen Klima-Sozialplan abgerufen? Ich weiß es nicht. Vielleicht hofft man, dass der ETS-2 gar nicht eingeführt wird. Immerhin hat ein Konzept von uns parteiübergreifend den Weg ins Europäische Parlament gefunden und wurde vergangene Woche von der EU-Kommission offiziell vorgeschlagen: das Frontloading. Dabei werden einige der zu erwartenden Einnahmen aus dem Emissionshandel vorgezogen und den Ländern bereits jetzt zur Verfügung gestellt. Wir schlagen die Hälfte vor. Selbst bei vorsichtiger Kalkulation könnte die Europäische Investitionsbank auf diese Weise sofort 50 Milliarden Euro für Investitionen oder Dinge wie ein Klimageld bereitstellen.
Eine Art zinsloser Kredit?
Eine Art gedeckter Zwischenkredit. Ich bin optimistisch, dass man die osteuropäischen Länder mit diesem Kompromiss an Bord bekommt und der ETS-2 wie geplant 2027 starten kann, ohne dass die Polen beim Blick auf ihre Heizkostenrechnung oder an der Zapfsäule einen Schock bekommen. Das wäre wichtig für die Planungs- und Investitionssicherheit in Europa, aber natürlich auch für den Klimaschutz.
Das Geld erhalten die Länder aber nur, wenn sie einen Klima-Sozialplan vorlegen?
Die vorgezogenen Einnahmen sollten damit verschränkt werden, denn die Pläne müssen ohnehin alle nachreichen. Das Geld soll schließlich nicht irgendwo im nationalen Haushalt versickern. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn auch Deutschland endlich seine Hausaufgaben macht und das Frontloading mitdenkt.
Mit Bernd Weber sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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