Wohnungsbau in Mitteldeutschland so langsam wie noch nie
- Private Hausbauten verlangsamten sich am stärksten in Thüringen.
- Der Handwerkermangel sorgt oft für monatelange Verzögerungen.
- Lockerungen des Baurechts blieben laut Branchenvertretern wirkungslos.
Noch nie seit Beginn der Datenerfassung hat es in Mitteldeutschland so lange gedauert, ein Wohngebäude zu bauen. Im Jahr 2024 verlängerte sich die Zeit zwischen Baugenehmigung und Fertigstellung in Thüringen auf 26 Monate, in Sachsen auf 25 Monate und in Sachsen-Anhalt auf 22 Monate.
Damit dauert es im Schnitt etwa ein Dreivierteljahr länger als noch vor zehn Jahren, bis ein Wohngebäude bezugsfertig ist. Das geht aus Daten der Statistischen Landesämter hervor. Dabei wurden Bauten von Privatpersonen, Unternehmen und der öffentlichen Hand berücksichtigt.
Beim privaten Hausbau dauert es in Thüringen am längsten
Die durchschnittliche Dauer des Wohnungsbaus unterscheidet sich dabei je nach Auftraggeber. Privat gebaute Wohnhäuser sind im Durchschnitt früher einzugsbereit als die oft größeren Projekte von Unternehmen und der öffentlichen Hand. 2024 dauerte der Hausbau von Privatleuten zwischen 22 Monaten in Sachsen-Anhalt und 25 Monaten in Thüringen.
Die Verzögerungen treffen private Hausbauer in Mitteldeutschland unterschiedlich stark. In Sachsen mussten sich Privatleute 2024 durchschnittlich neun Monate länger gedulden als zehn Jahre zuvor. In Sachsen-Anhalt dauerte es sieben Monate länger.
Öffentliche und privatwirtschaftliche Projekte verlangsamten sich meist sogar noch stärker. Bei öffentlichen Bauherren verlängerte sich die Bauzeit um sechs Monate (Sachsen) bis 18 Monate (Sachsen-Anhalt). Bauunternehmen benötigten neun Monate (Sachsen-Anhalt) bis 13 Monate (Sachsen, Thüringen) länger als noch 2014.
Handwerkermangel löst Kettenreaktionen aus
Gegenüber MDR Data nennen Genossenschaften und Verbände aus der Baubranche immer wieder ähnliche Ursachen für die Verzögerungen: allen voran den Mangel an Fachkräften und anhaltende Lieferengpässe. Beide Faktoren bremsen Großprojekte ebenso wie private Bauvorhaben.
Der Rückgang an Fachkräften trifft den Osten härter als den Westen, weil nach dem Mauerfall im Osten weniger Kinder geboren wurden und viele potenzielle Eltern in den Westen abwanderten. Diese Generation fehlt heute auf dem Arbeitsmarkt.
Auf den Baustellen lösen die Kapazitätsengpässe von Handwerksunternehmen vielfach Kettenreaktionen aus. "Wenn ich die Firma, die die Fußbodenheizung verlegt, nicht erreiche oder die zu spät liefert, dann kann ich natürlich auch den Fußboden nicht machen", sagt Alexander Müller, Direktor des sächsischen Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vdw). Durch den Ausfall eines Handwerks verzögerten sich Baustellen oft um Monate.
Heute laufen unsere Geschäftsführer mit einem Stollen oder einer Flasche Sekt zu den Handwerksbetrieben.
Ein Beispiel zeige, wie sehr sich die Beziehung zwischen Bauherren und Handwerkern durch den Fachkräftemangel verändert habe. Früher wollten sich die Handwerksbetriebe zum Jahresende mit Wandkalendern bei den Baufirmen in guter Erinnerung halten. Das habe sich laut Müller umgekehrt: "Heute laufen unsere Geschäftsführer mit einem Stollen oder einer Flasche Sekt zu den Handwerksbetrieben."
MDRfragt-Teilnehmer berichten von ihren Baustellen
Viele Teilnehmende des Meinungsbarometers "MDRfragt" klagen darüber, dass sie als private Hausbauer im Ringen um die knappen Fachkräfte benachteiligt seien. "Stets werden Kapazitäten jongliert und manchmal scheint es, dass andere, größere Aufträge und Kunden attraktiver sein könnten und bei Engpässen bevorzugt bedient werden", sagt beispielsweise ein Hausbauer aus Leipzig. Auf seiner Baustelle hätten Krankheitsfälle immer wieder zu wochenlangen Verzögerungen geführt.
Eine Magdeburgerin erlebte Ähnliches: "Die Aufträge waren für einen selbstständigen Handwerker zu klein. Es gibt viele Fachfirmen, die bestimmte Aufgaben einfach nicht verbauen wollen und können."
Seit 2021 fehlt oft Material zum Bauen
Es fehlt an Personal und Material. Nach der Covid-Pandemie verschärfte sich der ohnehin bestehende Trend zu längeren Bauzeiten spürbar. Zeitgleich erlebte die deutsche Baubranche ab 2021 den stärksten Mangel an Baumaterialien seit 1991, so eine Umfrage des ifo-Instituts.
Bis heute seien die Material- und Lieferengpässe nicht behoben, sagt Müller vom vdw, beispielsweise im Sanitärbereich: "Duschwannen und Duschtüren sind zum Teil immer noch Mangelware, das glaubt man manchmal gar nicht."
Die Finanzierung wurde komplizierter
Daneben wird es vor allem für private Haushalte immer schwerer, einen Neubau finanziell zu stemmen. Steigende Zinsen erhöhen die geplanten Baukosten von vornherein. Mit Verzögerungen beim Bau steigen die Ausgaben dann noch weiter.
"Wir zahlen seit zwei Jahren Bereitstellungszinsen. Dadurch sind im Monat ungefähr 1.000 Euro weg", sagt der Leipziger Hausbauer aus der MDRfragt-Community. Sein Bau dauert nun schon drei Jahre länger als geplant. "Das tut wirklich weh, denn es flattern die Tausender davon, ohne dass wir etwas dafür bekommen. Wir haben enormen finanziellen Druck."
Bei Bauverzögerungen werden Bereitstellungszinsen häufig zur Kostenfalle. Banken verlangen sie für Kreditbeträge, die bereits zugesagt, aber noch nicht abgerufen wurden – denn das Geld steht in dieser Zeit bereit und kann von der Bank nicht anderweitig genutzt werden.
Bei großen Bauprojekten seien finanzielle Förderungen an immer kompliziertere und ständig wechselnde Auflagen gebunden, sagt Alexander Müller vom vdw Sachsen. Die Überprüfung der Auflagen – zum Beispiel im energetischen Bereich – koste zusätzliche Zeit. "Von heute auf morgen wurden Programme eingestellt", sagt Müller. Der permanente Wechsel der Regelungen habe Finanzplanungen häufig umgeworfen.
Immer weniger Baugenehmigungen
Zu viele neue Projekte sind derweil kein Grund für die verzögerten Bauzeiten, denn in ganz Mitteldeutschland schrumpft die Zahl der Baugenehmigungen für Wohngebäude beträchtlich. Im Jahr 2023 erteilten die Bauaufsichtsbehörden in Sachsen-Anhalt 57 Prozent weniger Baugenehmigungen als noch zwei Jahre zuvor. In Thüringen sanken die Bauprojekte im gleichen Zeitraum um 56 Prozent und in Sachsen um 49 Prozent.
Bürokratische Hürden bleiben hoch
In allen drei Bundesländern lockerte der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren Aspekte des Baurechts. Beispielsweise dürfen in Sachsen-Anhalt seit 2021 auch Handwerksmeister kleinere Bauanträge einreichen und nicht mehr nur Architekten und Ingenieure. Sachsen erleichterte 2022 das Bauen mit Holz. In Thüringen gelten seit Juli 2024 großzügigere Bedingungen für den Bau von Garagen. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele.
In der Praxis seien die Lockerungen des Baurechts jedoch kaum zu spüren. "Mit einer Baugenehmigung hat man per se nicht die Genehmigung für den gesamten Bau. Danach fehlen immer weitere Genehmigungen", sagt etwa Ines Jauck, Präsidentin der Architektenkammer Thüringen.
Eines ihrer Bauprojekte für einen privaten Hausbauer stecke gerade fest. "Der Kran für die Baustelle braucht auch noch einmal eine verkehrsrechtliche Anordnung. Der Antrag liegt schon lange beim Tiefbau- und Straßenverkehrsamt, wird aber zurückgehalten und es werden immer weitere Rückfragen gestellt." Die Fenster des Hauses lägen daher seit einem halben Jahr ungenutzt in der Werkstatt.
Bau-Turbo hilft nicht gegen Fachkräftemangel
Der Bundestag beschloss am 9. Oktober das "Bau-Turbo-Gesetz", welches Neubauten beschleunigen und vereinfachen soll. Allerdings entscheiden die Kommunen, ob sie die neuen Freiheiten auch tatsächlich anwenden. Das Gesetz reformiert die Planungs- und Genehmigungsphase von Bauvorhaben, nicht aber den Bauprozess nach der erteilten Genehmigung.
Am Fachkräftemangel und an Materialengpässen ändert das neue Baurecht nichts. Sie zählen weiterhin zu den größten Herausforderungen der Baubranche.
MDR (Tycho Schildbach)
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