Fassungslosigkeit und Frust nach Schließungsplänen in Bad Blankenburg und Bernsdorf
- Das Glaswerk Bernsdorf wurde 2024 erst erweitert, nach mehr als 150 Jahren soll das Traditionswerk nun schließen.
- DIW-Experte Martin Gornig zufolge braucht es für eine stabilere Wirtschaft Kompetenzzentren in der Region.
- Continental will das ContiTech-Werk in Bad Blankenburg zum Jahresende schließen, Kündigungen sind jedoch noch nicht ausgesprochen worden.
Das Glaswerk in Bernsdorf in der Lausitz soll schließen. Anfang Oktober haben die Beschäftigten davon erfahren. Mehr als 100 Menschen haben am Montag gegen die geplante Schließung protestiert.
Das Werk gehört seit 2004 zum amerikanischen Weltmarktführer für Glasbehälter Owens Illinois, kurz O-I. 100 Mitarbeiter sind in Bernsdorf von der geplanten Schließung betroffen. "Ich persönlich find's ganz großen Mist. Wo ist die Landespolitik? Wo ist die Bundespolitik? Friedrich Merz hat gesagt, wir müssen alle mehr arbeiten. Ich würd' ja gern, darf aber nicht", erklärt Mitarbeiter Robert Neumeier.
Ein Familienvater sorgt sich, wie er in der Nähe einen neuen Job bekommt. Ein junger Auszubildender erzählt, dass er jeden Tag darüber nachdenkt. "Du bist zwar noch jung, du hast noch überall Chancen, was du machen kannst. Aber ja, es ist schwierig."
O-I will Geschäft "optimieren"
Der deutsche Unternehmenssitz von O-I ist in Düsseldorf. Neben dem Werk im sächsischen Bernsdorf gibt es noch die Standorte Rinteln und Holzminden in Niedersachsen. Vom sächsischen Standort in Bernsdorf will sich der Konzern nun trennen.
Das Unternehmen teilte auf Anfrage mit: "Einige Marktsegmente der Containerglasindustrie in Deutschland stehen derzeit vor erheblichen Herausforderungen (...). In Verbindung mit einem zunehmend intensiveren Wettbewerbsumfeld unterstreicht dies die Notwendigkeit für O-I, agiler und leistungsfähiger zu werden. Vor diesem Hintergrund muss O-I sein Geschäft gezielt optimieren." Warum ausgerechnet das sächsische Werk schließen soll, bleibt unklar.
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) teilte MDR INVESTIGATIV mit, das Werk habe schwarze Zahlen geschrieben. Man sei entsetzt über die Pläne des Glasherstellers, "das Werk in Bernsdorf stillzulegen. Die Gewerkschaft kritisierte zudem, dass die Glaswanne schon in dieser Woche abgelassen werden soll. "Was hier passiert, ist ein Skandal – ein Traditionswerk mit 152 Jahren Geschichte soll in zwei Wochen abgewickelt werden", erklärt die Bezirksleiterin der IGBCE Lausitz, Reni Richter.
Experte sieht Standortnachteile

Sind Unternehmens-Niederlassungen im Osten stärker von Schließungen betroffen? Der Forschungsdirektor Industriepolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW Berlin, Martin Gornig sieht, dass ländliche Regionen häufiger im Nachteil sind. In Ballungszentren könne man die Vorteile der Ballung von Industrie nutzen. In den Städten gebe es mehr Auswahlmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt und man könne mit den besten Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten.
Gornig führt an, dass die ostdeutschen Bundesländer relativ dünn besiedelt sind, es "wenig große Zentren gibt und in der Folge dann im Durchschnitt ein ökonomischer Nachteil entsteht".
Erst Werkserweiterung, dann Produktionsstopp
In Bernsdorf wird seit mehr als 150 Jahren Glas hergestellt. Erst Konservengläser, im zweiten Weltkrieg Glasminen. Zu DDR-Zeiten haben dort mehr als 850 Menschen in der Glasindustrie gearbeitet. Nach der Wende kaufte ein Düsseldorfer Glas-Unternehmen das Werk.
Die Bernsdorfer produzierten zuletzt jeden Tag 400.000 Flaschen. Einer ihrer größten Abnehmer ist Jägermeister im benachbarten Kamenz. Das Glaswerk wurde erst 2024 ausgebaut, eine neue Halle entstand. Jetzt steht der Traditionsstandort vor dem Aus. Die Flaschenproduktion steht bereits still. Kündigungen für die insgesamt 100 Mitarbeiter gibt es noch nicht.
Der Bürgermeister von Bernsdorf, Harry Habel (CDU), kritisiert die Ungewissheit für die Belegschaft: "Entweder man schließt ein Werk oder man schließt es nicht, aber das muss man klar kommunizieren."
Produktionsstopp auch in Bad Blankenburg
Eine ähnliche Situation erleben rund 185 Mitarbeiter eines Traditionswerks in Bad Blankenburg. Seit mehreren Jahren gehört der Betrieb zu Continental. Zuletzt wurden dort Förderbänder für den Abbau von Rohstoffen hergestellt. Seit August herrscht nun Stillstand. Laut der Gewerkschaft IGBCE wurde den Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung mitgeteilt, dass der Betrieb zum Ende des Jahres schließen soll.
Daniel Kuske ist Betriebsrat in dem Werk im Thüringer Wald. Er arbeitet dort seit 1999, hat seine Ausbildung dort absolviert. Kuske erinnert sich an sein Vorstellungsgespräch bei der damaligen Personalchefin. Sie habe damals "sozusagen versprochen, dass, wenn man sich nichts zu Schulden kommen lässt oder so, man bis zur Rente einen sicheren Arbeitsplatz hat, weil Fördergurte immer gebraucht werden".
Die Personalchefin hat damals sozusagen versprochen, dass, wenn man sich nichts zu Schulden kommen lässt, man bis zur Rente einen sicheren Arbeitsplatz hat.
Auch für die Beschäftigten war und ist diese Entscheidung des Vorstandes der Continental laut der IGBCE nicht nachvollziehbar. Das Werk habe keine negativen Betriebsergebnisse erwirtschaftet. Aber seit dem 30. Januar wissen Kat Bärnt und seine Kollegen nicht, ob es hier weitergeht. "Und dann kam halt so, ja es werden fünf Werke geschlossen und ihr seid dabei", erzählt Kuske. "Das war ein Nebensatz. Das war der richtige Hammer eigentlich", findet Bärnt.
Auch Bürgermeister Thomas Schubert (CDU) kennt keine Begründung für die Schließungspläne, erzählt er MDR INVESTIGATIV. Und er sieht die damit einhergehenden Folgen. "Das macht einfach was mit der ganzen Region, (...) weil es sind hochbezahlte Mitarbeiter." Für die Facharbeiter sei es schwierig, woanders so eine Arbeit zu finden. "Und die Leute fahren nicht sonst wohin, um in der Gummi-Industrie weiterzubleiben. Also es muss halt schon hier am Standort bleiben."
Verlagerung von Produktion nach Niedersachsen
Das Werk in Bad Blankenburg gehört zur Continental-Tochtergesellschaft ContiTech. Der Firmensitz ist in Hannover. Insgesamt 22 Standorte gibt es in Deutschland. Fünf Werke will der Konzern schließen. Ein Großteil der Produktion aus Bad Blankenburg soll nach Niedersachsen verlagert werden.

Continental begründet die Werksschließungen mit einer veränderten Marktsituation. Vor allem die Entwicklung in der Automobilwirtschaft und beim Braunkohleabbau in Europa würden das Unternehmen vor Herausforderungen stellen.
Der ContiTech-Mitarbeiter Kat Bärnt meint, es sei nicht das einzige Unternehmen in der Region, bei dem es "nicht gerade rund läuft". "Und die stellen dann auch nicht ein. Das heißt, die Arbeitsplätze, die hier in der Region sind, die sind schon zu suchen."
Die Arbeitsplätze, die hier in der Region sind, die sind schon zu suchen.
Gornig: Es braucht Kompetenzzentren
Tatsächlich sind die Unternehmensinsolvenzen in diesem ersten Halbjahr in allen drei mitteldeutschen Bundesländern im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. In Sachsen und Thüringen gab es mehr als zehn Prozent mehr Insolvenzen als im ersten Halbjahr 2024. Die größte Zunahme hatte Sachsen-Anhalt mit 29 Prozent.

Aber wie kann mehr Stabilität in die Wirtschaft in den mitteldeutschen Bundesländern kommen? Der Industrieexperte Gornig meint, es müssten mehr eigene Kompetenzzentren aufgebaut werden, die unabhängig von Entscheidungen in anderen Regionen sind. "Bei denen man am Anfang vielleicht sogar viel von außen braucht, aber die letztendlich dann auch zum eigenen Technologieführer werden."
So ein Beispiel sieht er auch in der Halbleiterindustrie. "Also das Zentrum der deutschen Halbleiterindustrie liegt eindeutig in Dresden, obwohl die Konzerne oder die Eigentümer vermutlich eher weltweit gestreut sind."
Ungewissheit für ContiTech-Mitarbeiter
Seit dem Produktionsschluss in Bad Blankenburg ist ein regelmäßiger Treff unter den Mitarbeitern entstanden. "Du hast ja die Kollegen schichtweise getroffen", erzählt Andreas Kreidel. "Du wusstest es: Frühschicht, Spätschicht, Schichtübergabe. Man trifft sich, aber das ist ja nicht mehr so. Jetzt hast du nur noch die sozialen Netzwerke und dann treffen wir uns halt mal hier."
Noch immer wurden keine Kündigungen ausgesprochen. Die Mitarbeiter sind mit vollen Bezügen freigestellt. Weiterführungspläne von Continental für diesen Standort gibt es nicht. Derzeit laufen Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite, wie es für die Mitarbeiter ohne den Konzern weitergehen kann. "Manche mögen vielleicht glauben oder hoffen, dass jetzt jemand kommt und sagt, es geht weiter. Aber ich kann es mir nicht vorstellen", erzählt Kreidel.
Bernsdorfer hoffen weiter
In Bernsdorf will man noch nicht an ein Ende glauben. Nach dem Motto "Die Flamme darf nicht ausgehen" werden Laternen aufgehängt. Hier kämpft man noch dafür, dass der Konzern am Standort weiter produziert. Auch Bernd und Gerlinde Miersch sind gekommen. Sie haben viele Jahre im Glaswerk gearbeitet, ihr Sohn heute noch.
"Wir kennen hier so viele, Kollegen, Mitarbeiter. Es geht uns total ans Herz. Sonst würden wir heute hier nicht stehen", erzählt Gerlinde Miersch. "Ich hoffe, es bringt irgendwas, aber die Hoffnung stirbt zuletzt."
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