Die Kleinstadt Bad Bevensen ist einen Ausflug wert: Der Kurort in der Lüneburger Heide lädt mit einer Jod-Sole-Therme und seiner grünen Umgebung zum Entspannen ein. Gut, dass der Ort mit dem ICE der Deutschen Bahn leicht erreichbar ist – zumindest bisher. Ab Dezember entfallen alle Fernverkehrshalte in der Stadt, die auf den Tourismus angewiesen ist. Die Bahn stellt auf einen neuen Fahrplan um und streicht die Halte in dem Kurort.

So wie in Bad Bevensen ergeht es vielen kleinen und mittelgroßen Städten in Deutschland. Um wieder pünktlicher und wirtschaftlicher zu fahren, dünnt die Bahn im neuen Fahrplan Verbindungen in ländliche Regionen aus. Bevorzugt werden die Metropolen. Mehr Großstädte als je zuvor sollen im Halbstundentakt an den Fernverkehr angebunden sein, wirbt die Bahn für die Änderungen.

Das Unternehmen begründet die Umstellung mit der geringen Auslastung der Züge aufs Land. „Wir bauen unseren Fahrplan mit Blick auf Nachfrage und Kapazität auf dem Schienennetz gezielt aus“, sagt DB-Fernverkehrsvorstand Michael Peterson. Das bedeutet aber: Die Bahn lässt das Flächennetz im Stich. Mit gravierenden Folgen für die angeschlossenen Regionen.

Bahn streicht Verbindungen mit geringer Auslastung

Der Konzern muss sparen – trotz des milliardenschweren Sondervermögens, das der Bund für Infrastruktur aufgelegt hat. Im ersten Halbjahr hat die DB einen Verlust von 760 Millionen Euro eingefahren. Auch deswegen streicht die Bahn Strecken, die sich wirtschaftlich nicht mehr lohnen. Schwach ausgelastete Verbindungen entfallen im neuen Fahrplan.

Es trifft beispielsweise die Züge zwischen Leipzig und Nürnberg über Jena. Dort wird die Fahrtenanzahl pro Richtung von fünf auf zwei reduziert. Während es in Großstädten weiterhin Alternativen im Fernverkehr gibt, bleiben Kleinstädte wortwörtlich auf der Strecke.

Bad Bevensen steht beispielhaft hierfür. Vor Ort stößt der Wegfall des Fernverkehrs auf Unverständnis: Die Stadt sei als einer der bedeutendsten Kurorte im norddeutschen Raum auf eine gute Anbindung über den Fernverkehr der DB angewiesen, heißt es auf Nachfrage von der Stadt: „Der Wegfall der Halte würde hier zu ernsthaften Nachteilen führen.“ Pendler, die nach Hannover oder Hamburg fahren, müssten Umwege nehmen und viele ältere Gäste, die den Kurort besuchen, auf das Auto umsteigen. Von der Streichung habe die Kleinstadt aus der Pressemitteilung der Bahn erfahren. Gespräche habe es vorher nicht gegeben.

Verkehrsminister fordert Anbindung des ländlichen Raums

Ab wann ein Zug als nicht mehr wirtschaftlich gilt, hängt laut Bahn von verschiedenen Faktoren ab. „Etwa vom Fahrzeugeinsatz oder den befahrenen Strecken in Kombination mit der durchschnittlichen Auslastung über den gesamten Laufweg eines Zuges“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens. Angebot und Nachfrage müssten sich im Fahrplan in jedem Jahr neu bewähren.

Den Bund, der Eigentümer der Bahn ist, stürzt das in einen Konflikt. Der Konzern soll gewinnorientiert arbeiten. Gleichzeitig ist die Deutsche Bahn als mit Abstand größter Anbieter von Fernzügen für die Anbindung der Städte und Regionen verantwortlich. Werden Verbindungen und Halte gestrichen, vernachlässigt der Bund als Eigentümer die Daseinsfürsorge für die Bürger.

Erst im September hat Verkehrsminister Patrick Schnieder seine „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“ vorgestellt. Die Anbindung des ländlichen Raums wird darin als eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Deutschen Bahn benannt. Der Umstieg vom Auto auf die Bahn fällt gerade dort schwer, wo es nur wenige Verbindungen gibt – und diese auch noch unzuverlässig sind. Dabei ist die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene ein erklärtes Ziel der Bundesregierung.

Auf Nachfrage heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium: „Ein flächendeckendes und verlässliches Angebot ist Grundlage dafür, dass mehr Personen die Bahn nutzen.“ Allerdings sei die Erstellung der Fahrpläne eine operative unternehmerische Entscheidung des Konzerns. „Dass das Unternehmen Verbindungen, die im Schnitt teils nur zu zehn Prozent ausgelastet sind, hinterfragt, ist nachvollziehbar“, heißt es.

Für Pünktlichkeit müssen Verbindungen entfallen

Nicht nur die roten Zahlen spielen bei den gestrichenen Verbindungen eine Rolle, sondern auch die eigene Unpünktlichkeit. Im September kamen nur 55,3 Prozent der DB-Fernverkehrszüge planmäßig im Bahnhof an. Für das Gesamtjahr 2025 lag das Pünktlichkeitsziel bei mindestens 65 Prozent. Davon hat sich die Bahn bereits verabschiedet.

Helfen soll in Zukunft ein einheitlicherer Fahrplan. Das bedeutet: Alle Fahrten auf einer Strecke sollen jeweils mit der gleichen ICE-Baureihe durchgeführt werden. Die Kopplung von zwei Zügen, ein besonders störanfälliges Manöver, soll vermieden werden. Dadurch entfallen jedoch Direktverbindungen, die vorher möglich waren.

So entfällt etwa das ICE-Zugpaar von Rhein und Ruhr über Paderborn und Kassel nach München. Auch die tägliche Direktverbindung Leipzig/ Lutherstadt Wittenberg nach Binz auf Rügen wird deshalb nicht mehr angeboten.

Die Einführung des neuen ICE L bringt ebenfalls Probleme mit sich. Der Zug ist barrierefrei. Das „L“ im Namen steht für „Low Floor“, also einen niedrigen Einstieg. Doch der Zug passt nicht zu allen Bahnsteigen. So entfallen ab Juli die Fernverkehrshalte auf einer Strecke in Göppingen. Die Stadt mit rund 60.000 Einwohnern im Osten von Stuttgart wird dadurch weiter vom Fernverkehr abgeschnitten. Oberbürgermeister Alex Maier zeigt sich empört: „Die Bahn spricht von einer Mobilitätswende, vollzieht aber in Göppingen eine Mobilitätswende rückwärts.“ Man habe der Bahn sogar angeboten, als Stadt das Bahnhofsgebäude zu kaufen, um die Bahnsteige selbst zu ertüchtigen. Bisher offenbar ohne Erfolg.

Selbst für größere Städte bahnt sich mit dem neuen Fahrplan ein Verkehrschaos an. Bis zur Fertigstellung der neuen Fehmarnbeltquerung entfällt der gesamte Fernverkehr für Lübeck. Das Bauvorhaben sieht eine 17,6 Kilometer lange Tunnelquerung aus Deutschland nach Dänemark vor. Eigentlich sollte der Tunnel bis 2029 fertig werden. Doch die Bahn hat bereits gegenüber dem Ministerium eingestanden, den Termin nicht halten zu können. Auch auf dänischer Seite gibt es Verzögerungen. Mittlerweile ist von einer Eröffnung ab 2032 die Rede.

Die Hansestadt mit über 200.000 Einwohnern wäre auf Jahre vom Fernverkehr abgeschnitten. „Als Stadt bleibt uns nur der Protest“, erklärt Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau. Eigentlich sei ein Ausbau der Kapazitäten notwendig. „Alles andere wäre eine Katastrophe für Lübeck.“

Laut Bahn lasse sich das Problem lösen, indem die Lübecker auf den Hamburger Hauptbahnhof ausweichen. Doch dieser Verkehrsknotenpunkt ist bereits jetzt heillos überlastet. „Die DB wäre daher gut beraten, alles daranzusetzen, diesen Engpass zu entlasten und ihn nicht durch die Verlagerung weiterer Umsteiger noch stärker zu belasten“, erklärt eine Sprecherin der Stadt Lübeck.

Bahn scheitert an Komplexität des Systems

Die Bahn kommt mit der Komplexität des eigenen Systems nicht zurecht. Die Probleme hat das Staatsunternehmen mit dem Bund selbst geschaffen: ein marodes Bahnnetz, fehlende Digitalisierung, zu wenig Neubau. Um den Taktverkehr zu stabilisieren, ziehen kleine und mittelgroße Städte den Kürzeren. Ab Dezember muss der Konzern dann liefern und zeigen, ob die Maßnahmen eine Auswirkung auf die Stabilität des Verkehrs haben.

„Zudem darf das kein Dauerzustand sein“, warnt der Fahrgastverband Pro Bahn. „Wenn der Betrieb wieder erträgliche Pünktlichkeitswerte schreibt, muss die Rückkehr der Direktzüge, insbesondere in die touristischen Regionen, geplant werden.“

Zunächst könnten die Streichungen aber noch weiter gehen. Die steigenden Trassenpreise, eine Art Schienenmaut für Züge, bedrohen viele weitere Verbindungen – vor allem außerhalb der Metropolen. Werden Zugverbindungen gestrichen, steigen Anwohner vermehrt auf andere Verkehrsträger wie das Auto um. Die Auslastung der verbliebenen Bahnen droht dann weiter zu sinken.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.

Klemens Handke ist Wirtschaftsredakteur. Er schreibt über Verkehrspolitik und die Deutsche Bahn.

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