Der verstaatlichte Energieriese Uniper aus Düsseldorf hat zu Beginn der Heizsaison beantragt, den drittgrößten deutschen Gasspeicher Breitbrunn am Chiemsee in Bayern im übernächsten Jahr stillzulegen. „Die Erlöse reichen nicht aus, um die laufenden Kosten für Speicherentgelte, Betrieb und Netze zu decken“, teilt der führende deutsche Gasversorger mit.

Nach WELT-Informationen wollen auch andere Betreiber bei der Bundesnetzagentur Stilllegungen beantragen. Die Entscheidung verheißt für die Versorgungssicherheit nichts Gutes. Weil Deutschland unter anderem wegen des sogenannten Frackingverbots kaum eigenes Erdgas produziert, sind die Speicher zur Wärmeversorgung in Herbst, Winter und Frühjahr unverzichtbar.

Bislang ist Deutschland weltweit der viertgrößte Betreiber von unterirdischen Gasspeichern, nach den USA, Russland und der Ukraine. An kalten Wintertagen werden bis zu 60 Prozent der deutschen Wärmeversorgung aus den Speichern abgedeckt. Wenn die Betreiber jetzt mitten in einer geopolitisch heiklen Versorgungslage aus dem Lagergeschäft aussteigen wollen, hat nicht nur die Bundesrepublik ein Sicherheitsproblem: Ganz Europa ist auf die hierzulande gelagerten Vorräte angewiesen.

Kalter Winter, Speicher leer

Erdgas wird in Kavernen gelagert, die aus unterirdischen Salzstöcken gespült wurden. Auch werden natürliche poröse Gesteinsschichten im Untergrund, sogenannte Porenspeicher, zur Lagerung genutzt. Aktuell sind diese Reservoirs in Deutschland zu 77 Prozent gefüllt. Laut Verordnung des Bundes müssen die Speicher zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt sein.

Diese Vorgabe wird voraussichtlich auch erfüllt. Ein akutes Versorgungsproblem ist damit im kommenden Winter höchst unwahrscheinlich. Doch im Vergleich zu früheren Jahren entwickeln sich die Füllstände sehr zäh: 90 Prozent wären zu dieser Jahreszeit eigentlich üblich. 80 Prozent reichen zwar bei einem normalen oder sogar warmen Winter. Gibt es jedoch eisige Temperaturen wie etwa im Jahr 2010, wären die deutschen Speicher Ende Januar leer, warnt die Energiespeicher-Initiative INES.

In einem solchen Fall wäre der Bund gezwungen, seine Agentur „Trading Hub Europe“ (THE) loszuschicken, um auf dem Weltmarkt kurzfristig Flüssiggas aufzukaufen und per Tankschiff herbeibringen zu lassen. Nach den Erfahrungen der von Russland ausgelösten Versorgungskrise vor drei Jahren weiß man: Das würde den Bundeshaushalt Milliarden kosten.

Doch das wünschenswerte Aufstocken der Vorräte auf 90 Prozent oder mehr gestaltet sich in diesem Jahr sehr schwierig. Die Gasversorger wollen keinen Speicherplatz mehr buchen. Der Uniper-Speicher Breitbrunn war am 30. September erst zu knapp 58 Prozent gefüllt. „Nach mehreren erfolglosen Vermarktungsversuchen kann das Füllstandsziel von 80 Prozent bis zum 1. November nicht mehr zuverlässig erreicht werden“, teilt Uniper mit.

Der Grund dafür liegt in den strukturellen Verwerfungen des Gasmarktes, die durch den russischen Lieferstopp entstanden sind. Früher war das Gasspeicher-Geschäft ein Selbstläufer: Im Sommer wurde das stetig fließende, billige Pipeline-Gas aus Russland in die Kavernen und Porenspeicher gefüllt, im Winter dann teuer verkauft: Die Preisdifferenz zwischen Sommer und Winter („Sommer-Winter-Spread“) sorgte bei Gasversorgern und Speicherbetreibern gleichermaßen für gute Gewinne.

Mit dem Stopp russischer Gaslieferungen ist der übliche Sommer-Winter-Spread jedoch aus dem Takt gekommen: Auf einmal war Gas im Sommer sogar teurer als die prognostizierten Winterpreise. Ein Geschäft mit eingespeichertem Gas ließ sich so nicht mehr machen. Um eine Gasmangellage zu verhindern, gab die Bundesregierung der Beschaffungsagentur THE 2022 den Auftrag, im Notfall mit Steuergeld das fehlende Gas am Weltmarkt zu beschaffen.

In dem Wissen, dass im Zweifel die THE kurz vor Beginn der Heizperiode praktisch jeden Preis zahlen würde, um die Heizungen in Deutschland warmzuhalten, spekulierten die Marktteilnehmer gegen die Bundesagentur: Statt einzulagern, speicherten sie sogar aus. Die deutschen Verbraucher mussten deshalb in den vergangenen drei Jahren rund sechs Milliarden Euro als „Gasspeicherumlage“ zahlen, um die hohen Beschaffungskosten der THE auszugleichen.

Um die Bürger und Betriebe von Energiekosten zu entlasten, möchte die neue Bundesregierung die Gasspeicherumlage zwar abschaffen. Die Speicherkosten sollen künftig direkt aus dem Bundeshaushalt oder dem Klima- und Transformationsfonds bezahlt werden.

Doch die Haushaltsprobleme der Bundesregierung lassen eine solche Lösung kaum über längere Zeiträume zu. Weil jetzt weniger Gas stetig per Pipeline geliefert wird, sondern immer größere Mengen nur im Bedarfsfall per Flüssiggas-Tanker angeliefert werden, gibt es keinen verlässlichen Sommer-Winter-Spread mehr, der den Speicherbetrieb bislang so auskömmlich gemacht hat.

Es drohen Folgen, die dem politischen Ziel der „Resilienz“, also der wirtschaftlichen Robustheit zuwiderlaufen. Wenn Kavernen- oder Porenspeicher komplett stillgelegt werden, fallen sie nämlich dauerhaft aus, ohne Rückhol-Option. In einem Gasspeicher muss durchgehend ein gewisser Innendruck aufrechterhalten werden. Deshalb werden sie nie vollständig entleert. Wird jedoch auch noch das sogenannte „Kissengas“ abgelassen, was bei einer Betriebsaufgabe der Fall wäre, droht bei Kavernenspeichern der Einsturz, Porenspeicher würden sich mit Wasser vollsaugen.

Der Bundesregierung dürfte daran gelegen sein, es nicht so weit kommen zu lassen: Sie braucht die Speicher nicht nur als Versorgungsgarantie. Auch der nach wie vor geplante Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft kommt ohne Speicher nicht aus. Da Wasserstoff pro Volumeneinheit nur halb so viel Energie enthält wie Erdgas, sind bei einer Umstellung von dem fossilen Brennstoff auf den klimaneutralen Energieträger rechnerisch sogar doppelt so große Speichervolumen nötig.

In der Gasbranche diskutiert man bereits Lösungsmöglichkeiten. Als ein Vorbild gilt Frankreich. Dort werden Gashändler verpflichtet, einzuspeichern. Der Speicherpreis wird per Auktion ermittelt. Ist das Auktionsergebnis nicht auskömmlich, bekommen die Speicherbetreiber einen staatlichen Zuschuss. Werden jedoch Übergewinne erzielt, müssen sie ihre Einnahmen mit dem Staat teilen.

Mit solchen „Differenzverträgen“ (contracts for difference, cfd) würden sich Speicherbetreiber Risiken und Chancen des Geschäfts mit dem Staat teilen. Ein ähnliches Vergütungsmodell wird auch für Ökostrom erwogen, wenn die beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission für die sogenannte EEG-Vergütung Ende kommenden Jahres in Deutschland ausläuft.

Wie es auch kommt: Saisonale Preisunterschiede am Markt werden wohl nicht mehr automatisch für gefüllte Gasspeicher sorgen: Die Betreiber verlangen mit den „Differenzverträgen“ künftig eine Art Versicherungsprämie für ihre Dienstleistung.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft und Klimapolitik. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.

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