Alt, arbeitslos, abgeschrieben?
Die Wirtschaftskrise belastet weiterhin den deutschen Arbeitsmarkt. In vielen Branchen wachsen die Sorgen - gerade bei älteren Arbeitnehmern. Wie sind ihre Chancen, wenn der Job wegfällt?
"Es ist ein komisches Gefühl. Ich könnte gleich wieder anfangen zu schaffen. In fünf Minuten würde der Laden hier wieder laufen", sagt Thomas Hoffmann mit nachdenklichem Blick. Für die Berichterstattung durch den SWR ist er nochmal an seinem ehemaligen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Bei "Nolte Möbel" in Germersheim hat er fast 30 Jahre gearbeitet. Die Traditionsfirma ging vor knapp zwei Jahren in die Insolvenz. Vor fünf Monaten war dann endgültig Schluss.
Mit Thomas Hoffmann mussten etwa 400 weitere Beschäftigte gehen. In Spitzenzeiten arbeiteten bis zu 1.700 Menschen bei dem Möbelhersteller. Nolte produzierte Schlafzimmermöbel - vom Schrank über Kommoden bis hin zu Betten.
Thomas Hoffmann ist Mitglied bei der IG Metall und war auch im Betriebsrat bei Nolte Möbel. Der 60-Jährige war Ansprechpartner und Vertrauter für viele Kollegen. Vor allem nach der Kündigung gab es viele Gespräche. "Die Kollegen sind hergekommen und haben mich umarmt. Da war das Hemd nass - von den Tränen."
Sanierung gescheitert
Insolvenzverwalter Steffen Rauschenbusch kann die Enttäuschung nachvollziehen. "Es ist bedauerlich, dass es am Ende nicht gereicht hat. Aber die Rahmenbedingungen haben am Ende nur eine Schließung zugelassen." Anderthalb Jahre hatte Rauschenbusch versucht, die angeschlagene Firma zu sanieren. Dennoch blieben die Verkäufe zu niedrig, die Fixkosten zu hoch.
"Die Möbelbranche in Deutschland ist ein extrem schwieriger Markt", so der Insolvenzverwalter. Für die Belegschaft und Thomas Hoffmann besonders bitter: "Wir haben jahrelang auf Geld verzichtet, um das Unternehmen zu retten - bei der Auszahlung von Überstunden und auch auf Weihnachtsgeld. Das tut dann am Ende besonders weh, wenn das nicht geholfen hat."
Welche Rolle spielt das Alter?
Die Job-Perspektiven für die ehemaligen Beschäftigten sind sehr unterschiedlich. Viele Jüngere hätten schnell etwas Neues gefunden, erzählt Hoffmann. "Andere, die sogar noch bei Nolte gelernt haben, da wird es mit 58 Jahren problematisch. Ich habe mit einigen älteren Kollegen gesprochen. Die haben sich zigmal beworben, aber bislang nichts bekommen. Viele waren jahrzehntelang in der Firma und haben auch nie was anderes gesehen."
Auch Thomas Hoffmann ist mit seinen 60 Jahren weiter auf Jobsuche. In zwei Jahren kann er in Rente gehen. Hoffmann sucht aber intensiv eine neue Stelle. Einen Job als Fahrer könnte er sich gut vorstellen. "Ich habe aber schon mehrere Absagen. 15 Bewerbungen laufen noch." Bis auf Weiteres arbeitet er als Hausmeister für ein paar Stunden die Woche. Große Hoffnungen auf eine reguläre Arbeit macht sich Hoffmann aber kaum noch.
Schlechte Aussichten auf dem Jobmarkt
Holger Schäfer ist beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Experte für den Arbeitsmarkt. Er beobachtet eine grundsätzliche Entwicklung: "Drei Jahre Rezession und Stagnation machen sich deutlich bemerkbar: Seit Anfang 2023 sehen wir fast jeden Monat einen Aufwuchs an Arbeitslosen."
Es sehe für die Zukunft nicht gut aus. Die Unternehmen besetzten freiwerdende Stellen seltener nach, etwa wenn Arbeitnehmer in Rente gehen.
"Von dieser negativen Entwicklung sind besonders Jüngere betroffen: Weil Einstiegsmöglichkeiten fehlen, schaffen viele den Einstieg in den Arbeitsmarkt nicht", sagt Schäfer. Bei Arbeitslosen, die über 50 Jahre alt sind, sei die Lage auch schwierig. "Auch sie haben zunehmend Probleme, in den Jobmarkt zurückzukehren."
Insgesamt sei die Situation für ältere Menschen am Arbeitsmarkt aber in Ordnung, so Schäfer. Ihre Arbeitslosigkeit sei in den vergangenen Jahren im Vergleich zu anderen Altersgruppen sogar stärker gesunken. Auch im internationalen Vergleich sei die Beschäftigungsquote hierzulande bei Älteren hoch. "Ältere haben ein deutlich geringeres Risiko, arbeitslos zu werden. Ein Grund: tarifvertragliche und gesetzliche Absicherungen", so Schäfer. Wenn es aber zur Entlassung kommt, haben es Ältere oft deutlich schwerer.
Potenziale von Älteren nicht verschenken
Das sieht auch Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber von der Universität Regensburg im Grundsatz so. So liegt die Arbeitslosenquote für Menschen über 50 Jahren nur knapp über der allgemeinen Rate. Mit Blick auf die älteren Arbeitssuchenden in Germersheim räumt Weber aber auch ein, dass es immer wieder Härtefälle gebe.
Zwar hätten im Vergleich zu den 1990er-Jahren ältere Arbeitnehmer heute viel bessere Chancen. Dennoch blieben besondere Hürden, sagt der Wirtschaftsprofessor: "Sie haben in den Unternehmen im Vergleich zu den Jüngeren eine potenziell kürzere Beschäftigungsdauer. Auch sind ihre Ansprüche meist höher. Und: Ältere sind zwar nicht häufiger, aber dafür länger krank", analysiert Weber. Zudem gebe es einen zusätzlichen Effekt über die Sozialleistungen: Je länger die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld, desto länger auch die Arbeitslosigkeit.
Ein Umdenken ist nötig
"Wir müssen Ältere stärker im Berufsleben halten. In den kommenden 15 Jahren verlieren wir aus Alterungsgründen sieben Millionen Arbeitskräfte." Um diesen Trend abzuschwächen, hat Weber einen konkreten Vorschlag. Er plädiert für Anreize, einen neuen Job auch anzunehmen: "Denkbar wäre, bei Abfindungen für jedes Jahr, das in einem neuen Job weitergearbeitet wird, ein Fünftel der Summe steuerfrei zu stellen." Und: Bei körperlich belastenden Jobs sollten Beschäftigte frühzeitig weitergebildet werden, um dann in ähnlichen Tätigkeiten langfristig weiterarbeiten zu können.
Die Chancen für ältere Arbeitslose sind also gar nicht so schlecht. Dazu ist aber ein weiteres Umdenken nötig - bei Arbeitgebern, dem Gesetzgeber und auch den Betroffenen selbst. Durch den demografischen Wandel werden Ältere immer wichtiger für den Arbeitsmarkt.
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