„Künstliche Intelligenz muss dem Menschen dienen“
Nicht einmal Sam Altman glaubt, dass man die inzwischen 300 Jahre alte Magie von Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mit künstlicher Intelligenz (KI) hätte verbessern können. „Es ist schwer vorstellbar, dass es besser geworden wäre“, sagt der OpenAI-Chef am Mittwochabend in Berlin, nachdem er gerade einen Teil der Berliner Philharmoniker mit dem „Sommer“ von Vivaldi gehört hat.
Es werde immer einen Unterschied machen, ob Menschen oder Maschinen musizieren. „Wenn das Stück von Robotern vorgetragen worden wäre, hätte es uns nicht berührt“, sagt Altman. „Menschen sind besessen von anderen Menschen.“
Und doch hat keine Technologie der letzten Jahrzehnte die Welt so verändert, wie die künstliche Intelligenz der Supercomputer von OpenAI. Gerade einmal knapp drei Jahre ist es her, dass Altman mit der Veröffentlichung von ChatGPT den Startschuss für die rasante Entwicklung und den Wettlauf um die Vorherrschaft in der Zukunftstechnologie gegeben hat. Am Mittwochabend nahm er für diese Leistung im Berliner Axel-Springer-Gebäude den Axel-Springer-Award entgegen.
Der Preis soll vor allem Unternehmertum und Risikobereitschaft fördern, sagt Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner. Davon, das bestätigt Altman, gibt es vor allem in Europa derzeit zu wenig. Auch deshalb wird der Kontinent im KI-Rennen abgehängt. „Es gibt viele Dinge, die ich an Europa mag, das ist eine Sache, die ich wirklich nicht mag“, sagt Altman über die mangelnde Risikobereitschaft.
Er selbst gehe keine Risiken nur um des Risikos Willen ein oder um zu zocken. „Ich versuche, den erwarteten Nutzen zu maximieren“, erklärt Altman. Der sei auch dann meist positiv, wenn die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns groß ist. Auch im Silicon Valley scheitere man nicht gern mit einem Start-up, aber es werde toleriert. „Mein erstes Start-up war ein Fehlschlag, mein zweites läuft viel besser“, sagt Altman und schmunzelt.
Die am schnellsten wachsende Anwendung aller Zeiten
Es dürfte die Untertreibung des Jahrhunderts sein. In nicht einmal drei Monaten nach dem Start von ChatGPT meldeten sich mehr als hundert Millionen Nutzer an, der KI-Chatbot wurde zur am schnellsten wachsenden Anwendung aller Zeiten. OpenAI avancierte zum wichtigsten Start-up der Welt, Altman zum Gesicht einer neuen KI-Bewegung. „Altman verkörpert Innovationskraft gepaart mit Reflexion. Seine Arbeit bei OpenAI hat das Denken über Technologie – und wie diese menschliche Fähigkeiten erweitern kann – fundamental verändert“, begründet Döpfner die Entscheidung für den diesjährigen Preisträger.
Vor Altman waren bereits zahlreiche andere Persönlichkeiten wie Tesla-Chef Elon Musk, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Amazon-Gründer Jeff Bezos mit dem Preis ausgezeichnet worden. Altman selbst ist der Trubel um seine Person fast zu viel: „Ich persönlich bekomme zu viel Anerkennung für OpenAI“, schrieb er Ende 2022 bei X. „In unserem Unternehmen sind es die Forscher und die Ingenieure, die die Technik geschaffen haben und mehr Einfluss besitzen als der Chef. Wenn man unbedingt gratulieren will, dann ihnen.“
Und doch ist es Altman, ohne den die rasante Entwicklung der Technologie wohl nicht möglich gewesen wäre. Der Werdegang des 40-jährigen KI-Pioniers ist selbst für Silicon-Valley-Verhältnisse außergewöhnlich. Altman stammt aus einer Arzt-Familie aus St. Louis im US-Bundesstaat Missouri, er betonte in der Vergangenheit öfter den Einfluss seiner jüdischen Identität auf sein Handeln. „Tikkun Olam“, das Prinzip, die Welt verbessern zu wollen, habe ihn geprägt. Zudem sei das freie Internet für ihn der Weg aus der gesellschaftlichen Enge des Mittleren Westens gewesen.
Altman studierte nach seinem Highschool-Abschluss zunächst Informatik an der Universität Stanford, brach sein Studium aber ab, um ein Social-Media-Start-up zu gründen. Das verkaufte er 2012, anschließend leitete er das Gründerzentrum „Y Combinator“. Dort entdeckte er erstmals das Potenzial künstlicher Intelligenz für sich, als er versuchsweise einer KI die Auswahl von Start-ups zur Förderung zu überlassen.
2015 gründete Altman zusammen mit dem KI-Ingenieur Ilya Sutskever von Google und dem Start-up-Manager Greg Brockman OpenAI als gemeinnütziges Start-up zur Entwicklung künstlicher Intelligenz. In den folgenden Jahren entwickelte OpenAI, finanziert unter anderem durch die Seriengründer Peter Thiel und Elon Musk, mehrere KI-Systeme. Doch erst nach dem Einstieg von Microsoft, das vor allem mit Rechenleistung das Training großer Sprachmodelle unterstützte, gewann OpenAI an Momentum.
Altmans genialer Schritt, den Chatbot ChatGPT weltweit kostenlos anzubieten, gilt als Wendepunkt der KI-Entwicklung. Plötzlich konnten sich Firmen, Investoren und gewöhnliche Nutzer selbst vom Potenzial der großen Sprachmodelle überzeugen. Altman stieß damit einen Wettlauf der großen Netzkonzerne um KI-Daten, Rechenleistung, Forscher und Finanzmittel an. Doch kein Konkurrent kann bislang die Strahlkraft von ChatGPT einholen, die aktuelle Version GPT-5 ist die meistgenutzte KI der Welt.
„Werden in den nächsten Jahren viele Krankheiten heilen“
Das neueste Modell von OpenAI bringe zum ersten Mal echtes neues Wissen hervor, Wissenschaftler machten mit der KI Entdeckungen, die bislang nicht möglich waren. „Wir sind jetzt wirklich in einer neuen Ära“, sagt Altman. Und die Technologie stehe gerade erst am Anfang, er sei überzeugt, dass noch eine große Entwicklung folgen werde. Insbesondere in der Medizin erwarte er große Fortschritte. „Viele Forscher sagen, dass wir in den nächsten Jahren viele Krankheiten heilen werden“, sagt Altman. In den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten würden wohl die allermeisten Krankheiten ihren Schrecken verlieren durch die neuen Erkenntnisse, die KI möglich macht.
„Ich denke, ich bin mit einem sehr menschenzentrierten Weltbild aufgewachsen“, sagt Altman. „KI muss dem Menschen dienen.“ Seine Eltern hätten ihn zu Hilfsbereitschaft und Leistungsbereitschaft erzogen. Ob er manchmal die Sorge habe, dass die Menschen ihn überschätzen, ob auch Sam Altman das sogenannte Imposter-Syndrom (Hochstapler-Syndrom) kenne, will Döpfner wissen. Der OpenAI-Chef gibt zu, dass auch er sich hinterfrage. Vor allem die gewaltigen Investitionen, die für die KI nötig seien, lassen auch ihn zweifeln.
Zur Weiterentwicklung braucht Altman deshalb finanzkräftige Partner – und konnte vor wenigen Tagen einen 100-Milliarden-Dollar-Deal mit dem Chip-Pionier Nvidia verkünden. Auch in Deutschland schloss OpenAI gerade Partnerschaften ab. Gemeinsam mit Microsoft und dem deutschen Software-Konzern SAP will Altmans Firma künftig Verwaltungen, Schulen und Universitäten sowie andere öffentliche Einrichtungen in Deutschland mit KI-Anwendungen versorgen. Die Unternehmen betonten, bei dem Projekt werde sichergestellt, dass die KI unter den strengen deutschen Vorgaben für Datensouveränität, Datenschutz und rechtliche Rahmenbedingungen eingesetzt werden kann.
„Wir wissen nicht genau, wohin sich diese Technologie entwickelt. Aber wir wissen, dass Länder zunehmend von ihr abhängen werden – wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich“, sagt Altman. Staaten müssten sich auf diese Systeme verlassen können.
Deutschland und Europa könnten es sich nicht leisten, bei der Entwicklung der KI nur an der Seitenlinie zu stehen, sagt auch Bundesdigitalminister Karsten Wildberger (CDU) in seiner Laudatio auf Altman. Man dürfe nicht immer nur über Regulierung nachdenken, sondern müsse KI-Firmen auch Luft lassen, um sich zu entwickeln.
Natürlich dürfe man aber auch die Risiken nicht aus dem Blick verlieren: Es könne zu gewaltigen wirtschaftlichen Umbrüchen kommen, doch auch die Möglichkeiten seien gewaltig. „Der Preis würdigt nicht nur Ihre unglaublichen Leistungen, sondern auch die Werte, die wir weitertragen müssen“, sagt Wildberger. „Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Partnerschaft und Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten, Deutschland, Europa und anderen Ländern auf gemeinsamen Prinzipien beruht – und dass wir diese Technologie für Wohlstand, Freiheit, Demokratie und vor allem für die Menschlichkeit nutzen.“
Zu den weiteren Gratulanten gehörten auch Mercedes-Chef Ola Källenius und der ehemalige Formel-1-Fahrer Nico Rosberg. Der versprach Auto-Fan Altman, dass er ihn als Chauffeur ins Büro fahren würde, wenn er dafür einmal ans Steuer des McLaren F1 des OpenAI-Chefs darf. „Das wird die schnellste Pendelfahrt Deines Lebens“, versprach Rosberg.
Altman selbst schlug aber auch nachdenkliche Töne an. Er sei nicht sicher, dass sich alle Probleme mit Hilfe von künstlicher Intelligenz lösen lassen. „Niemand weiß, was als Nächstes passiert“, sagt der OpenAI-Chef. „Gesellschaften sind schwer vorherzusagen.“ Ob auch er sich Sorgen um den Zustand der Welt mache, fragt Döpfner: „Ist das wirklich der Anfang vom Ende der offenen Gesellschaft?“ Er sei nicht optimistisch, gibt Altman zu. Im Gegenteil: „Ich bin super besorgt“, sagt er. „Ich habe keine Ahnung, wie man diese geopolitische Situation navigiert.“ Er habe die Sorge, dass Demokratie und Meinungsfreiheit immer stärker unter Druck geraten. Zwar habe man nun Jahrzehnte des Friedens erlebt, doch das sei nun ein „beängstigender Moment in der Geschichte“, an dem nicht klar sei, wie die Kehrtwende gelinge.
Zum Glück kann sich auch Sam Altman irren – das gibt der OpenAI-Chef selbst zu, als zum Schluss noch eines seiner Vorbilder, der Quantenphysiker David Deutsch zugeschaltet wird. Beide Männer stellen fest, dass sie jeweils eine Liste der Dinge führen, die sie einst für unmöglich hielten, die jetzt aber Realität sind. Deutsch berichtet, dass auf seiner beispielsweise das Internet steht. Auch eine wirklich kreative KI, die nicht nur vorhandene Daten analysiert, sondern völlig neue Gedanken und Ideen entwickelt, halte er heute für unmöglich. Aber er könne sich natürlich irren.
Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt, IT und Rüstungstechnologie.
Philipp Vetter ist Teamleiter im Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider.
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