Vom 25. bis zum 27. September übt die Bundeswehr in Hamburg die Verlegung von Truppen in Richtung Osteuropa. Rund 500 Soldatinnen und Soldaten und 50 Radfahrzeuge nehmen daran teil. Landeskommandeur Kapitän zur See Kurt Leonards, 57, sagte WELT, welche Erkenntnisse sich die Bundeswehr vom Manöver „Red Storm Bravo“ erhofft. Die Ausspähung kritischer Infrastruktur und militärischer Anlagen durch Drohnen nimmt aus seiner Sicht auch in Hamburg zu.

WELT: Herr Kapitän, welche wesentlichen Ziele verfolgt die Bundeswehr mit dem geplanten Manöver Red Storm Bravo?

Kurt Leonards: Wir wollen hier im Landeskommando Hamburg zusammen mit anderen militärischen Einheiten Fähigkeiten erproben, zum Beispiel die Kolonnenführung. Wir wollen uns Gedanken machen, wie sieht eigentlich die Drohnenszenerie aus? Welche Fähigkeiten haben wir? Welche Bedrohungen haben wir? Wir wollen aber auch üben, wie können wir bei einem Massenanfall von Verletzten unterstützen? Das Besondere dabei ist, dass wir das nicht abgeschirmt, isoliert auf einem Truppenübungsplatz machen wollen, sondern wir sind ja das Landeskommando Hamburg in der Großstadt Hamburg. Deshalb möchten wir diese Szenare gerne in einem städtischen Umfeld und vor allen Dingen in der Zusammenarbeit mit anderen zivilen Blaulichtorganisationen durchführen, um in der Resilienzbildung, auch in der gesamtstaatlichen Verteidigung hier einen Beitrag leisten zu können. Es ist wichtig, dass wir mit der Polizei, mit der Feuerwehr, mit dem THW und mit anderen eine gemeinsame Sprache sprechen, ein gemeinsames Verständnis haben, dass diese Menschen, die dann in diesen unterschiedlichen Organisationen zusammenkommen, sich auch vorher schon kennen. Meine Aufgabe ist es ja, einen Beitrag zu leisten zur gesamtstaatlichen Verteidigung in Hamburg.

WELT: Diese Schnittstellen haben im Kalten Krieg vermutlich funktioniert – und müssen jetzt wieder neu belebt werden und aktiviert werden.

Leonards: Sicherlich waren wir vor 40 Jahren auf externe Bedrohungen anders und auch besser vorbereitet als heutzutage. Allerdings muss ich natürlich darauf hinweisen, dass das zukünftige Szenario, was wir erwarten, nicht eins zu eins mit dem Kalten Krieg zu vergleichen ist. Das Szenario bis 1990 war ja, dass ein mögliches Operationsgebiet auf deutschem Boden gelegen hätte. Heute gehen wir davon aus, es gibt eine theoretische Wahrscheinlichkeit, dass das Testen der Nato im Nordosten Europa stattfinden könnte, im Baltikum, in Finnland, in Polen. Das würde bedeuten, dass auch die Bundeswehr die Kräfte in diese Länder verlegen würde, wo dieses Testen der Nato als Erstes erwartet wird. Im Kalten Krieg war die Nato in Deutschland. In Szenarien, mit denen wir uns jetzt beschäftigen, könnte es sein, dass große Teile der Bundeswehr in den Operationsgebieten stehen, außerhalb von Deutschland, im Baltikum oder in Skandinavien.

WELT: Geht es bei Red Storm Bravo auch um die logistischen Abläufe, die man testen muss, um größere Truppenkontingente durch die Stadt zu bringen?

Leonards: Was passiert eigentlich, wenn eine Militärkolonne durch eine Stadt fährt? Welche Aufgaben haben dabei die Polizei und die Feldjäger, also die Militärpolizei? Wie ist das Zusammenspiel von Feldjägern und Landespolizei? Wie überwacht man eine Kolonne aus der Luft? Das sind alles Dinge, die wir vor allem im urbanen Gebiet, zumindest in Hamburg, lange nicht mehr trainiert haben. Und deshalb wollen wir die Übung Red Storm Bravo nicht abgeschirmt, isoliert auf einem Truppenübungsplatz stattfinden lassen, sondern in unserem urbanen Gebiet in Hamburg.

WELT: Wird Hamburg in den Szenarien der Nato und der Bundeswehr zukünftig auch ein Anlandehafen sein, so wie etwa Bremerhaven für die USA und für die Nato?

Leonards: Um den Aufmarsch der Nato durch Deutschland durchführen zu können und organisieren zu können, ist der Operationsplan Deutschland entwickelt worden. Dieser Operationsplan Deutschland beschreibt die logistische Drehscheibe in Deutschland und welche Rolle einzelne Bundesländer dabeihaben. Dabei müssen wir auch wieder lernen, dass es Dokumente gibt, die nicht öffentlich diskutiert werden können. Dazu gehört natürlich auch, wo werden welche Truppen landen, auf welche Weise, zur See, zu Land oder an Flughäfen. Deshalb kann ich dazu nur begrenzt Aussagen treffen.

WELT: Können Sie sagen, welche Erkenntnisse Sie aus Red Storm Alpha im vergangenen Jahr gezogen haben, die jetzt hilfreich sind, um sie in einer nächsten Übung einzubringen und anzuwenden?

Leonards: Bei Red Storm Alpha haben wir die Sicherung eines Checkpoints geübt, mit Reservisten, und zwar im Hafengebiet. Dabei haben wir gelernt: Wir brauchen eine gemeinsame Sprache. Die militärische Sprache kann anders sein als die Sprache der Polizei und der Feuerwehr und des THWs. Wir müssen wissen, mit wem können wir wie in Verbindung treten. Wie kommt man überhaupt in den Hafen rein, sodass niemand überrascht ist und alle das auch wollen? Dafür muss man sich heutzutage eng verbinden. Es hilft, wenn man dann in einem stetigen Austausch steht, sich gemeinsam Gedanken über Bedrohungslagen macht, sich austauscht und gemeinsam darüber unterhält, wie der einzelne Bereich resilienter werden kann. Ich glaube, das haben wir bei Red Storm Alpha mitgenommen. Deshalb läuft Red Storm Bravo jetzt nicht mehr nur im Hafen, sondern auch an der Schnittstelle von Hafen und Stadtgebiet und findet in beiden Bereichen statt.

WELT: Werden Sie solche Übungen jährlich machen?

Leonards: Jedes Landeskommando ist verantwortlich dafür, um mit der jeweiligen Landesregierung gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie man die gesamtstaatliche Verteidigung im zivil-militärischen Bereich weiterentwickeln kann. Da sind wir in Hamburg froh, dass wir mit den Behörden, hier vor allen Dingen mit der Behörde für Inneres und Sport, in einem sehr guten Einklang stehen und uns auf wöchentlicher oder auf täglicher Basis austauschen. Gemeinsam mit den Landesbehörden des Bundeslandes Hamburg werden wir dann auch überlegen, ob wir ein Red Storm Charlie weiterentwickeln wollen und ein Red Storm Delta. Ich denke, die Entwicklung geht dahin.

WELT: Das Manöver kommandieren Sie von hier aus?

Leonards: Ja, wir bauen in unserer Kaserne hier einen Gefechtsstand auf. Man kann auch sagen, eine Operationszentrale. Diese Operationszentrale ist mit anderen Zentralen der zivilen Blaulichtorganisationen verbunden. Wir haben Verbindungsoffiziere in den anderen Führungszentralen. Bei uns sind Verbindungspersonen der anderen Blaulichtorganisationen in unserer Operationszentrale. Und deshalb ist Red Storm Bravo für uns eine Übung, die im Grundsatz schon im Januar begonnen hat, denn seither haben wir gemeinsame Planungskonferenzen. Wir nennen so etwas Initial Planning Conference, Main Planning Conference, Final Planning Conference: Wie setzen wir eigentlich etwas auf? Welche Übungsziele bringt eine Entität mit in diese Übungsgemeinschaft? Wie können wir sicherstellen, dass die Polizei ihre Übungsziele erreichen kann? Andere Blaulichtorganisationen, sogar zivile Firmen und die Bundeswehr. Das ist auf diesen Konferenzen besprochen worden. Seit Januar sind wir in einem konstanten Gesprächsprozess. An den zwei Tagen im September erfolgt dann lediglich die Ausführung der Übung, übrigens mit etwa 400 bis 500 Soldaten der Bundeswehr. Die Hauptarbeit ist vorher geschehen.

WELT: Seitdem der Operationsplan Deutschland im vergangenen Jahr aktiviert worden ist – wie gut hat sich in Hamburg die Zusammenarbeit zwischen allen daran Beteiligten entwickelt?

Leonards: Das läuft in Hamburg sehr gut. Weil wir hier von Anfang an als Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr überhaupt keine Berührungsängste erlebt haben. Ganz im Gegenteil. Die Behörde für Inneres und Sport hat sich auch mit Dienstposten neu aufgestellt, hat eine neue Abteilung gegründet. Dort ist das Thema zivil-militärische Zusammenarbeit, aber auch gesamtstaatliche Verteidigung abgebildet. Mit diesen Menschen dort sind wir in Verbindung, aber auch mit den anderen Behörden, die durch die anderen Senatorinnen und Senatoren geführt werden. Wir befinden uns in einer Vortragsserie mit den anderen Behörden, aber, das muss ich auch sagen, auch mit vielen Firmen der Wirtschaft, die selbst initiativ auf das Landeskommando zugekommen sind und gefragt haben, können wir einen Vortrag zur sicherheitspolitischen Lage bekommen? Welche Dinge sollten wir in unserem Unternehmen durchdenken? Wir sind hier in Hamburg in einem sehr intensiven Austausch auch mit der Zivilgesellschaft.

WELT: Haben Sie den Eindruck, dass die Unternehmen Ihnen auch Unterstützung anbieten?

Leonards: Uns sprechen Wirtschaftsunternehmen an und stellen zuerst mal Fragen zum Beispiel nach dem Beschaffungsprozess der Bundeswehr und bieten ihre Fähigkeiten und ihre Produkte an. Aber wir haben auch ganz konkret Menschen – auch aus Führungspositionen –, die zu uns kommen und sagen, wir haben verschiedene Vorträge gehört und wir wollen persönlich einen Beitrag leisten. Sie erkundigen sich nach Reservistenlaufbahnen, nach unterschiedlichen Formen von Wehrdienst. Dort sind wir auch so etwas wie eine Auskunftsstelle und vermitteln Menschen, weil sie wirklich initiativ auf uns zukommen.

WELT: Welchen Eindruck haben Sie über die Qualität der Infrastruktur im Hamburger Hafen oder über mögliche Defizite?

Leonards: Zuerst mal habe ich den Eindruck, dass der Hamburger Hafen ein sehr genaues Bild über die Eigenlage hat, wie wir das im Militärischen ausdrücken würden, eine ganz realistische Sichtweise. Und auch da sind wir in der Lage, uns auszutauschen. Wir sind auch in der Lage, mit verschiedenen Vertretern der Wirtschaft, zum Beispiel der Handelskammer, aber natürlich in allererster Linie auch mit den Behörden der Senatorinnen und Senatoren über eingestufte Dinge des Operationsplans zu sprechen. Der Hamburger Hafen hat ein ganz realistisches Bild von seinen Möglichkeiten und Grenzen.

WELT: Haben Sie diesen Eindruck, dass auch in Hamburg und im Hafen verstärkt Drohnenaktivitäten stattfinden?

Leonards: Wir wissen und nehmen das wahr durch Beobachtungen, durch Meldungen, dass es diese Drohnenüberflüge über Hamburg gibt. Übrigens auch über Hamburger Kasernen. Auch über diese Kaserne, in der wir gerade sitzen, sind in diesem Jahr schon zahlreiche Drohnenüberflüge festgestellt worden. Natürlich weiß man dann nicht immer, was der Ursprung ist. Sind das sehr professionelle, geheimdienstbasierte Tätigkeiten oder sind das einfach Hobby-Drohnenflieger? Da muss man dann immer sehr unterscheiden. Deshalb kommt es darauf an, das ganz genau zu beschreiben, was wir sehen. Ich glaube, wir haben immer mehr Fähigkeiten, Drohnen zu detektieren. Also immer mehr Sensoren. Und sicherlich haben wir auch Effektoren.

WELT: Hamburg hat drei Heimatschutzkompanien aufgebaut. Wie wird sich das hier weiterentwickeln?

Leonards: Hamburg hatte eine Heimatschutzkompanie. Diese Heimatschutzkompanie war groß und aufgefüllt mit rund 300 Soldaten. Diese Heimatschutzkompanien werden und wurden von Reserveoffizieren geführt. Daraus haben wir drei kleinere Kompanien gemacht, einfach, damit das handhabbarer ist. Seit dem 1. April sind die Heimatschutzkompanien den Heimatschutzregimentern unterstellt, sodass der Hamburger Heimatschutz nun vom Heimatschutzregiment 4 in Alt Duvenstedt in Schleswig-Holstein geführt wird. Und diese Heimatschutzregimenter unterstehen der Heimatschutzdivision, die in Berlin liegt.

Kapitän zur See Kurt Leonards, 57, trat 1987 als Wehrpflichtiger in die damalige Bundesmarine ein. Bei der Deutschen Marine diente er in zahlreichen Verwendungen auf See und an Land, unter anderem als Kommandant der Fregatten „Köln“ und „Niedersachsen“. Seit 2024 leitet Leonards das Landeskommando Hamburg der Bundeswehr. Der Rang Kapitän zur See entspricht dem eines Obersts beim Heer und bei der Luftwaffe.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet über die maritime Wirtschaft und auch über die Rüstungsindustrie und über die Bundeswehr.

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