Wie Chinas Autobauer an Überkapazitäten ersticken
Chinas Autoindustrie steckt in der Sackgasse: Überproduktion, Preiskampf und Autofriedhöfe prägen den Markt. Händler verramschen Neuwagen, während Hersteller stur an ihren Produktionszielen festhalten. Es ist ein Teufelskreis. Der Traum vom globalen E-Auto-Marktführer wird zum Albtraum.
Das ganze Elend der chinesischen Autobranche zeigt sich bei einem Händler am Rand der Stadt Chengdu. Hier gibt es Neuwagen made in China zum Schnäppchenpreis. Ein neuer Audi wird zum halben Preis verkauft, ein siebensitziges SUV des chinesischen Herstellers FAW sogar mit einem Nachlass von mehr als 60 Prozent. Auf dem Parkplatz fährt Wang Lihong mit einem E-Scooter an den Fahrzeugen vorbei und filmt sie für die Social-Media-Kanäle von Zcar. Das Unternehmen ist einer von vielen Händlern in China, die ungewollte Autos en gros aufkaufen und zum Dumpingpreis an die Kunden weitergeben. "Es gibt kein Auto, das nicht verkauft werden kann, es gibt nur einen Preis, der nicht passt", sagte Wang bei einem seiner Livestreams im Juli.
Zcar bekommt seine Autos von Autohändlern, die die Fahrzeuge lieber für wenig Geld als Tageszulassung in den Graumarkt geben, als sie gar nicht zu verkaufen. Gerade größere Vertragshändler bekommen von den Herstellern oft mehr Fahrzeuge auf den Hof gestellt, als sie selbst verkaufen können, damit die Produktionsziele erreicht werden, erzählt Chen Keyun, Autohändler im Ruhestand aus der Provinz Jiangsu. Er sieht die Wurzel der Probleme darin, dass das Wirtschaftsmodell in China ganz auf die Produktion ausgerichtet ist. Autobauer würden sich nach Produktionszielen richten, nicht nach der Nachfrage.
Masterplan für E-Autoproduktion
Dahinter steht ein jahrzehntealter Plan aus Peking. Führende Politiker haben bereits in den 1990er Jahren Elektroautos als Chance für die chinesischen Hersteller gesehen, den Weltmarkt zu erobern. 2009 wurde ein erstes milliardenschweres Programm aufgelegt, mit dem der Bau und Verkauf von Elektroautos gefördert wurde. 2017 verfasste die Regierung das entscheidende Dokument, das die Revolution ins Rollen brachte: Der "Mittel- und langfristige Entwicklungsplan für die Autoindustrie" zeichnete auf, wie bis 2025 die jährliche Fahrzeugproduktion auf 35 Millionen Stück gesteigert werden sollte. 2024 liefen in China nach Daten des Branchenverbandes CAAM 31 Millionen Autos vom Band - von Herstellern wie SAIC, BYD, Geely und einer Reihe von Newcomern wie Xpeng oder Leapmotor. Nach Angaben der Beratungsfirma Gasgoo Automotive Research Institute sind die Kapazitäten aber weitaus höher, Verbrennerfabriken eingeschlossen.
China kämpfte 2017 mit einem überhitzten Immobiliensektor. Für Provinzverwaltungen kam daher die Vorgabe aus Peking gerade recht, das Geld von Immobilien in Autowerke umzuleiten. Viele Kommunen gingen gezielt auf Elektroautobauer zu. Sie lockten mit billigem Land im Gegenzug für Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Für die Autobauer war es wichtig, die Produktionsvorgaben einzuhalten. Die Profitabilität rückte für viele in den Hintergrund. Unternehmen, die im Westen längst pleite wären, wurden zum Teil von den lokalen Behörden am Leben gehalten, um die Arbeitsplätze nicht zu verlieren.
Jahrelang ging das gut. 2021 etwa lockte die Gemeinde Changfeng in der Provinz Anhui den Autohersteller BYD mit billigem Baugrund an. Amtlichen Unterlagen zufolge lag der Preis für BYD 40 Prozent unter dem Marktpreis. Im Gegenzug erhielt der Landkreis, der bislang für sein traditionelles Fladenbrot bekannt war, ein modernes Elektroautowerk. 2023 lief die Produktion an. Die Wirtschaft in Changfeng wuchs in der Folge 9,1 Prozentpunkte schneller als die Gesamtwirtschaft. 2024 war das Wachstum um 5,6 Prozentpunkte höher. Die staatliche Zeitung "Renmin Ribao" lobte Changfeng im März für sein Wirtschaftswachstum und erwähnte dabei explizit BYD.
Kommunen machen Autobauern Produktionsvorgaben
Ähnliche Geschichten gibt es aus anderen Provinzen. Im Juni veröffentlichten die Behörden in Guangzhou eine Vorgabe, aus der hervorgeht, dass die Stadt bis zu drei Autobauer fördern will. Diese sollen jeweils 500.000 Elektroautos oder Hybridfahrzeuge pro Jahr bauen. Jedes Unternehmen, dem es gelinge, binnen drei Jahren eine Fabrik für mindestens 100.000 Autos zu bauen, solle jährlich umgerechnet knapp 60 Millionen Euro erhalten. Die Stadt antwortete nicht auf eine Bitte um Stellungnahme. Mindestens sechs andere Kommunalverwaltungen haben zwischen 2023 und 2025 ähnliche Programme aufgelegt.
Doch inzwischen ist der Markt von Überkapazitäten geprägt. Seit drei Jahren tobt ein Preiskrieg. Im Mai steuerte die Regierung in Peking um und warnte, dass die Situation nicht haltbar sei. Im Sommer wies Präsident Xi Jinping Provinzregierungen zurecht und stellte infrage, dass jede Provinz am Rennen um eine Handvoll Technologien wie Elektroautos oder Künstliche Intelligenz teilnehmen müsse.
Die marktwirtschaftliche Antwort auf den Preiskrieg ist es nach Einschätzung von Analysten, die schwächeren Autobauer scheitern zu lassen. Doch chinesische Politiker fürchten Massenarbeitslosigkeit und einen Rückgang des Konsums und scheuen Experten zufolge deshalb diesen Weg. Damit bleibe die Branche in einem Teufelskreis gefangen, sagt Yuhan Zhang, Volkswirt bei der Forschungseinrichtung The Conference Board's China Center. Um zu überleben, müssten die Autobauer ihre Fahrzeuge zur Not auch mit Verlusten verkaufen, weil das Bares in die Kassen spüle, sagt Liang Linhe, Verwaltungsratschef beim Lkw-Bauer Sany Heavy Truck. "Es ist wie beim Fahrradfahren: Solange man strampelt, ist man zwar vielleicht außer Atem, aber fällt nicht um."
He Xiaopeng, Chef und Mitgründer des Volkswagen-Partners Xpeng, sagte 2023 voraus, dass am Ende nur acht Autobauer in China als eigenständige Unternehmen überleben würden. Nur die Hersteller, die mindestens drei Millionen Autos jährlich bauen, haben seiner Einschätzung nach eine Chance. Bislang schaffen nur wenige Autobauer diese Marke. Marktführer BYD schraubte sein Ziel zuletzt auf mindestens 4,6 Millionen Autos pro Jahr zurück. Geely hatte sich für 2027 fünf Millionen verkaufte Autos vorgenommen. Ob dieses Ziel noch steht, ist unklar, eine entsprechende Reuters-Anfrage blieb unbeantwortet. Xpeng selbst baute 2024 rund 190.000 Autos. Auf eine Reuters-Anfrage antwortete das Unternehmen nicht. Die Beratungsgesellschaft Alix Partners geht davon aus, dass von den derzeit 129 Elektroauto- und Hybridmarken lediglich 15 bis 2030 überleben.
Solange die Autobauer an ihren Produktionszielen festhalten, dürfte die Neuwagenflut bei den Händlern anhalten. Was nicht verkauft wird, landet auf Autofriedhöfen, ohne je einen Kilometer auf der Straße gewesen zu sein, oder gerät bei Versteigerungen unter den Hammer. Allein in diesem Jahr etwa wurden auf der Plattform Alibaba mehr als 5100 BYD-Autos versteigert, nach gerade einmal 61 im Vorjahr. Nicht für alle gehen Gebote ein. Häufig stehen Gerichte hinter den Versteigerungen, wenn Händler pleitegehen. Die Auto-Handelsvereinigung aus Henan wandte sich in einem offenen Brief an die Hersteller und forderte bessere Bedingungen. "Wenn die Handelskanäle zusammenbrechen, wird der Markt sterben."
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